Klingelingeling. "Wer spricht?" – "Na, Ihr Fitnesstrainer!" Auf Wunsch meldet sich der Fitnesstrainer Simon Horowitz bei Kundinnen und Kunden alle paar Tage persönlich. Er fragt nach, wie es sportlich so läuft – und baut auf, wenn sie einen schlechten Tag oder eine schlechte Woche hatten, weil sie doch nicht so aktiv waren wie geplant.

Mehr Bewegen, weniger Sitzen – das wissen die meisten Menschen in der Theorie.
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"Accountability Partner" nennt sich Horowitz, ein gebürtiger Brite, der in Wien lebt. Er weiß, wie es sich anfühlt, wenn man an sich selbst scheitert: Horowitz war selbst früher unsportlich und im Team Fernsehcouch – bis er einen schweren Unfall hatte. Schritt für Schritt kämpfte er sich danach in ein gesünderes Leben zurück. Erst im langsamen Gehtempo, später im Laufschritt, dann über die Marathondistanz. Heute will er mit seiner Geschichte andere zu Bewegung motivieren.

Es ist, wie immer, kompliziert

Das ist kein leichtes Unterfangen. Nicht nur Trainer, auch Sportwissenschafterinnen und Mediziner können ein Lied davon singen. Das Absurde daran: In der Theorie wissen die meisten Menschen nur zu gut, dass sie sich im Alltag mehr bewegen und weniger sitzen sollten, um gesünder zu sein. Bewegung reduziert das Risiko von Herz-Kreislauf- und verschiedenen Krebs-Erkrankungen, Diabetes und sogar Demenz.

Der Benefit ist also klar – die Verwirklichung trotzdem kompliziert. Denn abends gewinnen meist Sofa, Chips und Fernseher, während Laufschuhe, Hanteln und Trainingsmatte in der Ecke liegen. Warum? "Große Studien zeigen: "Am Ende haben die Leute keine Lust darauf", sagt der Sportwissenschafter Albert Gollhofer von der Universität Freiburg.

Sein Kollege Heinz Kleinöder von der Deutschen Sporthochschule Köln bringt das Dilemma auf den Punkt: "Wir haben gar kein Streben nach Gesundheit, solange wir nicht krank sind." Stattdessen gehe es beim Sport heute, dem Zeitgeist entsprechend, hauptsächlich um Leistung. Wer etwas auf sich hält, powert sich aus, bis nichts mehr geht.

HIIT nennen sich solche schweißtreibenden Workouts zum Beispiel, bei denen man an die Belastungsgrenze geht. Das ist bei gesunden Menschen, denen dieses intensive Intervalltraining Spaß macht, kein Problem. Aber was, wenn man schlicht keine Lust auf 30 Squats und 30 Burpees in 30-Sekunden-Intervallen hat?

Die gute Nachricht

Sportwissenschafter Heinz Kleinöder hat eine gute Nachricht: "Man muss sich nicht so quälen", sagt er. Im Gegenteil: "Man kann sogar mit weniger mehr erreichen." Klar: Man sollte sich immer wieder fordern. Wer rastet, rostet. Aber Sport, der nur auf die Gesundheit ausgerichtet ist, muss – ja, sollte – nicht wehtun. Was viel wichtiger ist, sind Regelmäßigkeit und Progression.

Ersteres ist klar: Es geht darum, den Schweinehund zu besiegen, dazu später mehr. Letzteres bedeutet, dass man sich langsam steigern sollte, um Muskeln, Bändern, Sehnen und Knochen Zeit zum Anpassen zu geben. Wer zu früh zu viel will, wird sich vielleicht verletzen. Oder ziemlich wahrscheinlich frustriert aufgeben.

Wie also geht’s besser? Der Weg von der Couch in ein bewegteres Leben kann schon mit einem regelmäßigen, flotten Spaziergang beginnen, bei dem man nach einigen Tagen immer wieder kurz ins Laufen kommt, dann wieder geht – bis man irgendwann 30 Minuten am Stück laufen kann. Und dann? Das reicht, meint Kleinöder und erteilt dem nun bei vielen vorsichtig aufkeimenden Leistungsgedanken gleich wieder eine Abfuhr: Mehr bringe nicht automatisch mehr.

Jeder Schritt zählt

Ausdauertraining wie eben flottes Spazierengehen, Laufen oder Radfahren stärkt das Herz-Kreislauf-System. Zweieinhalb bis fünf Stunden pro Woche sollte man als gesunder, erwachsener Mensch diesem Training widmen, heißt es in der jüngst aktualisierten Empfehlung des Fonds Gesundes Österreich.

Sylvia Titze, Sportwissenschafterin an der Universität Graz, hat die Arbeitsgruppe geleitet. Manche könnten von dem Pensum, das da empfohlen wird, schon abgeschreckt werden, räumt sie ein. Doch das wäre die falsche Reaktion: "Denn jeder Schritt zählt." Auch wenn man von den fünfeinhalb Stunden noch weit entfernt ist. Titze empfiehlt: Mit aktiver Mobilität, also beispielsweise, indem man ins Büro radelt, lassen sich viele Bewegungsminuten sammeln.

Auch das Krafttraining ist in den letzten Jahren in den Fokus gerückt.
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Fokus auf Krafttraining

Doch mit Ausdauertraining allein ist es nicht getan. In den letzten Jahren ist das Krafttraining immer mehr in den Fokus gerückt. "Da gab es einen Paradigmenwechsel", sagt der Freiburger Sportwissenschafter Gollhuber. Muskeln sind wichtig für ein selbstständiges Leben im Alter. Wer diese nicht trainiert, kann sich im Fall eines Sturzes nicht auffangen.

Krafttraining braucht es aber schon viel früher: Ab dem 30. Lebensjahr beginnt der Mensch, Muskelmasse abzubauen. Dem gilt gegenzusteuern, betonen die Expertinnen und Experten. Zweimal pro Woche, so lautet die Empfehlung des Fonds Gesundes Österreich, sollten zusätzlich zum Ausdauertraining daher kräftigende Übungen gemacht werden.

Immer mehr Menschen wagen sich daher an Gewichte. Das hat sich nicht zuletzt im ersten Lockdown gezeigt, als plötzlich bei Online-Shops die Hanteln ausverkauft waren. Die Gewichte sollten so gewählt werden, dass pro Set nur maximal 15 Wiederholungen möglich sind, betont Kleinöder. Das sollte anstrengend, der Muskel danach erschöpft und keine weitere Wiederholung möglich sein.

Die gesündesten Sportarten

Dazu, welche Sportarten denn nun am zuträglichsten für die Gesundheit sind, gibt es mehr Meinungen als Sportarten. Die Grazerin Sylvia Titze ist der Frage als Co-Autorin eines internationalen Teams schon mehrfach nachgegangen. Für eine Studie wurden vor einigen Jahren jährliche Gesundheitsumfragen in England und Schottland zwischen 1994 und 2008 ausgewertet und überprüft, wie hoch die Sterblichkeit von Menschen ist, die unterschiedlichen Sportarten nachgingen. Das Ergebnis: Von jenen, die Tennis oder Squash ausübten, starben über die Jahre die wenigsten, gefolgt von Schwimmen und Aerobic.

Bei einer Metastudie von 2015 zeigte sich wiederum, dass Personen, die Ausdauersport wie Laufen und Fußballspielen ausübten, ihre Herzkreislauf-Fitness verbesserten und eher ein normales Körpergewicht hatten, im Unterschied zu jenen, die diese Sportarten nicht betrieben. Klar ist: "Man kann nur über jene Sportarten Aussagen treffen, über die es Studien gibt", betont Titze. Aber jede Bewegung ist besser als keine.

Letztendlich, meinen Expertinnen und Experten, kommt es darauf an, einen Sport zu finden, der einem Spaß macht.

Dann steht dem sportlichen Leben jetzt ja nichts mehr im Weg, oder? Nun ja: Ein wenig muss man sich am Anfang schon durchbeißen. Es geht nämlich darum, seinen Lebensstil dauerhaft zu verändern. "Den Schweinehund einmal zu besiegen und auf den Berg zu gehen geht ja noch", sagt Albert Gollhofer. Aber die Vorstellung, dass man den Berg von jetzt an sein Leben lang regelmäßig bezwingen muss, hat dann wieder eine andere Dimension.

Die Steinzeit ist Schuld

Ein bisschen darf man seine Trägheit aber auch auf die Steinzeit schieben: "Es gibt schon eine genetische Disposition, faul zu sein", sagt Gollhofer. Eine Theorie besagt, dass faule Menschen früher einen Vorteil hatten. Da sie sich wenig bewegten und mehr Kalorien einsparten, konnten sie länger überleben. So funktioniert das heute aber nicht mehr.

Doch es gibt Tricks, mit denen es eher klappt dranzubleiben. Da wären die Klassiker: sich nicht zu hohe Ziele stecken, zum Beispiel. Das mit den zehn Kilo Gewichtsverlust bis zum Sommer wird sich zumindest für 2021 nicht mehr ausgehen. Gut ist auch, sich mit anderen zum Sport zu verabreden. Fitnesstrainer Simon Horowitz rät dazu, sich die Tage, an denen man Sport geschafft hat, im Kalender zu markieren.

Es gibt unterschiedliche Tricks, um sportlich motiviert zu bleiben. Durchbeißen muss man sich anfangs aber schon.
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Ein Blick darauf motiviert dann eventuell an schwierigeren Tagen. Helfen könne auch, nicht zu viel nachzudenken – sondern einfach mit dem Workout anzufangen und erst fünf, dann zehn Minuten lang zu schauen, wie es läuft. Meistens bleibe man dann dabei. Und wer am Abend laufen gehen will, könne sich schon in der Früh die Laufschuhe zur Tür stellen, um an das Vorhaben erinnert zu werden.

Auf zum Rasenmähen

Vielleicht hilft aber auch eine Neuinterpretation von Sport: "Letztendlich", sagt Sylvia Titze, "macht man sich selbst ein Geschenk damit." Das Ziel sollte also nicht sein, zu denken, dass man Sport machen muss – sondern dass man Sport machen darf. Dabei geht es darum, eine Bewegungsform zu finden, die Spaß macht. Auswahl gibt es genug. "Und wenn einer gar nicht sporteln will, muss er halt seinen Elektrorasenmäher verkaufen und klassisch Rasen mähen, das zählt auch als Aktivität", sagt Sportwissenschafter Gollhofer und lacht. Das Sportoutfit ist dabei optional.

Und wenn trotzdem die Couch ruft? "Sei nett zu dir selbst – und probier es weiterhin", rät Fitnesstrainer Horowitz seinen Kundinnen und Kunden am Telefon. Wenn sie nicht abheben, hinterlässt er ihnen eben eine Nachricht in der Sprachbox. Bisher hätten sie sich daraufhin immer zurückgemeldet, erzählt er. Wirklich dauerhaft abgetaucht sei bisher noch niemand. (Franziska Zoidl, 5.6.2021)