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Innsbruck – Die Tiroler Landesregierung hat angekündigt, mit Ende des Jahres die Kindertherapie-Einrichtungen des Vereins Eule sowie die Einrichtung For Kids der Diakonie zu schließen. Derzeit werden mehr als 1.300 Kinder aus ganz Tirol, die Entwicklungsdefizite oder -störungen aufweisen, in diesen Einrichtungen betreut. Dementsprechend groß ist die Verunsicherung bei den betroffenen Familien. Aber auch die in den Zentren angestellten rund 100 Therapeutinnen – der Großteil sind Frauen, oft in Teilzeitanstellungen – bangen um ihre berufliche Zukunft.

Denn geht es nach den Plänen von Soziallandesrätin Gabriele Fischer (Grüne), sollen sie ihre Therapieleistungen künftig als Freiberuflerinnen anbieten. Fischer bietet für die Übergangszeit 2022 Zuschüsse für die Anmietung von Räumlichkeiten an. Gemäß einem Regierungsbeschluss wird dafür ein Finanzrahmen von "maximal 100.000 Euro" zur Verfügung stehen.

Einrichtungen chronisch unterfinanziert

Hintergrund der geplanten Schließung ist Geldmangel. Seitens des Landes wird kritisiert, dass der Verein Eule seit Jahren negativ bilanziert. Die Angaben dazu gehen auseinander. Aus dem Umfeld der Eule heißt es, es handle sich um Beträge um die 600.000 Euro, die jährlich fehlen. Allerdings nicht wegen Misswirtschaft, sondern weil die Fördergeber – Land Tirol und Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) – die Einrichtungen unterfinanzieren, so die Angaben von Eule-Mitarbeiterinnen.

Dem gegenüber heißt es vom Land: "Als Tochtergesellschaft des Vereins Lebenshilfe wurde die Eule großteils vom Land Tirol finanziert und erhielt pro Jahr 1,5 Millionen Euro. Die Finanzierung erfolgte durch die ÖGK und das Land Tirol, rund 400 Kinder im Zuständigkeitsbereich des Landes und rund 900 Kinder in der Zuständigkeit der ÖGK." Man habe dem Verein in Gesprächen eine entsprechende Indexierung für die nächsten drei Jahre und weitere Finanzmittel für die Eule angeboten.

Landesrätin bedauert Entscheidung der Lebenshilfe

Die Lebenshilfe sah sich dennoch nicht in der Lage, mit diesen zusätzlichen Mitteln den Betrieb fortzuführen – und steht daher nicht mehr als Träger zur Verfügung. "Diese Entscheidung der Eule ist schade, aber selbstverständlich zu respektieren. Wir werden in den nächsten Wochen den nahtlosen Übergang und die weitere Vorgehensweise bis November in aller Ruhe besprechen", sagt dazu Landesrätin Fischer.

Allerdings stützt die Erklärung der Diakonie, deren Einrichtung For Kids in Kitzbühel ebenfalls mit Jahresende schließt, die Darstellung der Eule. Denn die Diakonie habe in den fünf Jahren seit Bestehen von For Kids immer wieder das Land darauf hingewiesen, dass die vertraglich vereinbarten Tarifsätze nicht ausreichen, um den Betrieb des Zentrums aufrechtzuerhalten. Nachdem For Kids als Pilotprojekt für fünf Jahre angelegt war und das Land die Tarife nicht erhöhen will, wird die Diakonie ebenfalls nicht weitermachen.

Kritik der Opposition

Markus Sint von der oppositionellen Liste Fritz sieht die Schuld für das Aus ganz klar bei der Landesregierung: "Das Land Tirol hat gemäß Teilhabegesetz den Auftrag, für Kinder mit Behinderung da zu sein. Dieser Versorgungspflicht kommt es aber nicht nach, wenn es zu geringe Tarife bezahlt." Sint kritisiert, dass man nun die bestehenden Strukturen auch noch zerschlage und die über 100 Therapeutinnen in prekäre Selbstständigkeit dränge: "Das ist nicht nur sozialpolitisch, sondern auch frauenpolitisch ein Skandal."

Leidtragende seien am Ende die betroffenen Kinder und Familien, sagt Sint: "Schon jetzt sind rund 100 Familien bei der Eule vom Selbstbehalt befreit, weil sie sich den nicht leisten können. Viele dieser Familien müssen mit sozialen Schwierigkeiten kämpfen und haben dazu noch Kinder mit teils schweren Defiziten zu versorgen. Wie sollen sie sich nun selbstständig Therapien bei freiberuflichen Therapeuten organisieren?" Das Land bezahle im Moment rund 70 Euro pro Therapiestunde an die Einrichtungen. "Seit zehn Jahren gab es keine Indexanpassung. Um kostendeckend arbeiten zu können, wären etwa 90 Euro pro Stunde nötig", erklärt Sint. Die Summen, um die es dabei gehe, seien angesichts anderer Ausgaben des Landes, etwa für Repräsentation oder PR, vernachlässigbar, kritisiert der Liste-Fritz-Abgeordnete.

Landesrätin verspricht Lösungen

Landesrätin Fischer sichert indes zu, dass man für jede betroffene Familie eine individuelle Lösung finden werde. Dazu kontaktiere ihre Abteilung alle einzeln und berate mit ihnen, was die beste Lösung sei. Kommende Woche sollen die Gespräche mit den Einrichtungen sowie der ÖGK zur geplanten Umstrukturierung starten.

Während das Land Tirol den Versorgungsauftrag für etwa 400 Kinder mit Behinderung trägt, zahlt die ÖGK die Therapie für etwa 900 Kinder mit Reha-Bedarf. Gegenüber der "Tiroler Tageszeitung" äußerten sich ÖGK-Vertreter skeptisch, was die Pläne der Landesregierung anbelangt. Sie bezweifeln, dass die Umstrukturierung weg von Zentren hin zum niedergelassenen Beriech bis Ende des Jahres umsetzbar ist. Zudem äußerten sie Bedenken, ob und wie die Versorgungssicherheit in der Peripherie gewährleistet werden kann.

Krankenkasse erhöhte Tarife

Die ÖGK habe heuer angesichts der notorischen Geldknappheit in den Zentren eine Nachzahlung und Anpassung des Leistungskataloges in der Höhe von 125.000 Euro vorgenommen. Das Land Tirol hat einen Regierungsbeschluss gefasst, wonach man dem Verein Lebenshilfe, Träger der Eule, heuer eine zusätzliche Unterstützungsleistung von 700.000 Euro bezahlt. Für Oppositionspolitiker Sint ist diese Zahlung nicht nachvollziehbar: "Ein Zuschuss zur Schließung? Warum verwendet man dieses Geld nicht dafür, die Tarifsätze zu erhöhen und den Fortbestand der Zentren zu sichern?"

Insgesamt herrscht bei Experten – von der ÖGK bis zu Diakonie – Unverständnis, welchen Zweck die Verlagerung in den niedergelassenen Bereich verfolgt. Denn österreichweit und auch in Europa seien derartige Zentren gelebter Standard. Sie bieten den Vorteil der Sicherheit für alle Beteiligten. Für die dort angestellten Therapeutinnen bedeuten sie einen Arbeitsplatz mit Angestelltenverhältnis. Für die betreuten Familien und Kinder eine Anlaufstation mit Expertinnen aus diversen Bereichen, die bei komplexen Problemstellungen interdisziplinäre Hilfe bieten. Ohne diese Strukturen bestehe die Gefahr, dass viele Familien nicht die für sie passenden Therapieangebote finden oder nicht die Ressourcen haben, sie in Anspruch zu nehmen.

Rote Kritik, grünes Unverständnis

Auch Tirols SPÖ-Chef Georg Dornauer kritisiert das geplante Ende der Therapiezentren scharf: "Man drängt die Therapeutinnen und Therapeuten in die Selbstständigkeit und will durch die Errichtung eines 'Therapeutennetzwerkes' die etablierten und gut funktionierenden Strukturen fahrlässig zerstören. Das werden wir nicht akzeptieren und im nächsten Landtag eine entsprechende Initiative einbringen." Er wisse, dass die Lebenshilfe den Verein Eule seit Jahren querfinanziere, weil das Land seinem Versorgungsauftrag nicht nachkomme. Dornauer sieht Landesrätin Fischer und VP-Landeshauptmann Günther Platter in der Pflicht, die er "für ihre Untätigkeit kritisiert und zum Handeln auffordert".

Mit Unverständnis reagierte die grüne Behindertensprecherin Stephanie Jicha auf die Kritik: "Die geplante neue wohnortnahe und dezentrale Struktur ist ein moderner und kostenverschiebender Zugang, so wie er von allen Seiten im Teilhabegesetz gelobt wird. Statt für einen großen Verwaltungsapparat Geld auszugeben, kommen bei einem wohnortnahen Angebot die Gelder für die Therapiekosten besser an." Jicha fühlt sich "an andere Debatten im Sozialbereich erinnert", weil immer wenn es um eine Veränderung gehe, der Aufschrei vorprogrammiert sei. (ars, 2.6.2021)