Schmerzen im unteren Rücken sind häufig. Während in vielen Fällen Fehlhaltungen oder der Mangel an ausgleichender Bewegung Auslöser sein können, sind es zunehmend auch seelische Belastung. Die innere Anspannungen kann dann vom Kiefer bis zum Becken ausstrahlen.

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Psychischer Druck, Stress, Anspannung und Ängste – auch das sind unerwünschte Nebenwirkungen der Covid-Pandemie. Für viele ist eine symptomatische Überforderung im Homeoffice sogar zum täglichen Begleiter geworden. Als Konsequenz sucht der Körper nach einem Ventil, um die Anspannung wieder loszuwerden und Erlebtes zu verarbeiten.

Der sogenannte Bruxismus, also das Knirschen oder Pressen mit den Zähnen, ist einer der Mechanismen, die der Körper nutzt, um nervliche oder seelische Anspannung im Schlaf zu bewältigen. Nicht von ungefähr lautet die gängige Redewendung: "Zähne zusammenbeißen und durch". Letztendlich ist das Knirschen aber ein aussagekräftiges Alarmzeichen des Körpers, um uns wissen zu lassen, dass im Gesamtsystem etwas nicht in Ordnung ist.

Stress ist die häufigste Ursache für das Knirschen mit den Zähnen. Negative Emotionen werden so unterbewusst abgebaut – zum Teil im Schlaf, manchmal auch auch im wachen Zustand.
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Rückenschmerzen: Kiefer schuld?

Der Zusammenhang zwischen Psyche, Kau- und Bewegungsapparat wird aber auch von Fachleuten oft nicht gleich erkannt. Da das Zähneknirschen und Pressen vorwiegend in der Nacht stattfindet, fühlen sich Betroffene morgens gerädert und unausgeglichen. Nach und nach setzen Schmerzen im Kiefergelenk ein. In letzter Instanz sind es aber die Zähne, die durch das nächtliche Malmen Verschleißerscheinungen aufweisen.

Während anhaltender Stress und psychische Belastung den Kiefer zum Pressen und Zähne zum Knirschen bringt, kann eine Fehlfunktion oder -stellung des Kieferbereichs sogar Verspannungen oder Rückenschmerzen auslösen. "Unklaren Kiefer- und Gesichtsschmerzen liegen oft Verspannungen oder Fehlfunktionen der Kiefer- und Kaumuskulatur zugrunde", heißt es aus dem Trinicum, dem Zentrum für Integrative Medizin und Schmerztherapie in Wien.

Diese können in Folge über Muskelketten und Nervenverbindungen am gesamten Körper Schmerzen auslösen und sogar die Körperstatik deutlich verändern. Die Diagnose: Craniomandibuläre Dysfunktion – kurz: CMD. Doch was genau ist CMD und wie lässt sich gegensteuern?

Frauen öfter betroffen

Mit craniomandibulärer Dysfunktion wird eine Funktionsstörung des Kausystems, also der Kiefergelenke, der Kaumuskulatur oder des Zusammenbisses der Zähne, bezeichnet. Während "cranio" für den Schädel steht, wird mit "mandibula" der Unterkiefer und "Dysfunktion" die Fehlfunktion bezeichnet. Untersuchungen zufolge haben bis zu 80 Prozent der Frauen und bis zu 50 Prozent der Männer Beschwerden durch eine craniomandibuläre Dysfunktion. Diese treten zumeist im Alter zwischen 20 und 40 Jahren zum ersten Mal auf. Nahezu alle Betroffenen leiden unter starken Verspannungen der Kaumuskulatur.

CMD tritt in unterschiedlicher Intensität auf. So kann es durchaus sein, dass die Funktionsstörung bei einigen nahezu beschwerdelos verläuft, da das ganz fein aufeinander abgestimmte System des Kauapparates Abweichungen über die Muskulatur und die Gelenke ausgleichen kann. Erst wenn diese Grenzen überstrapaziert werden, treten leichte oder auch stark ausgeprägte Beschwerden auf.

Während Schmerzen im Kieferbereich, Zahnschmerzen aber auch Gesichts- oder Kopfschmerzen zu den leichten Beschwerden zählen, können massiv Betroffene ihren Mund kaum noch richtig öffnen oder schließen, klagen über eine Kiefersperre oder so starkes Zähneknirschen, das der Zahnschmelz schmerzhaft abzunutzen droht.

Nicht leicht zu diagnostizieren

Schwierig gestaltet sich die Diagnostik bei Betroffenen, bei denen die Beschwerden außerhalb des eigentlichen Kieferbereichs auftreten, da sie auf den ersten Blick nichts mit dem Kausystem zu tun haben. Dazu zählen: Verspannungen in Nacken, Schulter und Rücken, Bandscheibenprobleme, Beckenschiefstand, Knieschmerzen, Taubheitsgefühle in Arm und Fingern, aber auch Ohrengeräusche (Tinnitus).

Auslöser der Beschwerden sind Gelenke im Kopf, Kiefer und Beckenbereich – wobei der Kiefer unser stärkstes Gelenk ist. Alle Gelenke sind durch Nerven miteinander verbunden. Tritt bei einem Gelenk eine Fehlstellung auf, können andere Gelenke zu schmerzen beginnen. Das ist in beide Richtungen möglich: Das Kiefergelenk kann Beschwerden im Lenden-Becken-Bereich auslösen – in solchen Fällen spricht man von einer absteigenden Belastung.

Umgekehrt können Probleme mit dem Rücken und Nacken, Haltungsschäden oder eine Fehlstellung der Wirbelsäule zu einer aufsteigenden Belastung des Kiefergelenks führen.

Bei einem Beckenschiefstand kann die Abweichung an der Wirbelsäule bis nach oben auf die Halswirbelsäule und so auf das Kiefergelenk übertragen werden. Die eigentliche Ursache für die CMD liegt unterhalb des Kiefergelenks.
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Was dagegen hilft

Wer auf professionelle Unterstützung zurückgreifen will, geht zum Kiefergelenkstherapeuten. Eine gezielte Therapie kann schonend, vor allem aber auch nachhaltig zu einer Verbesserung führen, sagen Experten. "Im Rahmen einer Kiefergelenktherapie gilt es Haltungsgewohnheiten und Spannungsmuster im gesamten Körper zu durchschauen und die Mechanik des Gelenks langfristig zu verbessern", erklärt Kiefergelenktherapeutin Elvira Deim aus dem Trinicum.

Manuelle Therapietechniken – außerhalb und innerhalb des Mundraumes – sowie aktive Übungen zur Zentrierung des Kiefergelenks, der Haltungsoptimierung sowie Entspannung des Kopf- und Nackenbereiches verschaffen Linderung.

Oft zählen aber auch die Aufbissschienen – auch Michiganschiene, Stabilisierungsschiene oder Relaxionsschiene genannt – zu den wirkungsvollen Sofortmaßnahmen. Sie sollen die Kiefergelenke entlasten, den Zahnschmelz schützen, zur Entspannung der Kaumuskulatur beitragen und letztendlich das Knirschen vermindern. Dazu wird die Kunststoffschiene sorgfältig angepasst, damit das Kiefer wieder der idealen (physiologischen) Position angenähert und der Heilungsprozess eingeleitet werden kann.

Während Schienen die Symptome behandeln, helfen die speziellen Entspannungsübungen, dem Knirschen vorzubeugen. Damit beheben sie zwar die Ursache nicht, helfen aber zumindest den Muskeln, sich zu entspannen, und lindern so die Symptome.

Erste Maßnahmen zum Gegensteuern

Um CMD behandeln zu können, ist oft eine fachübergreifende Herangehensweise notwendig. Während Zahnärzte oder Kieferorthopäden Störungen oder Ungleichheiten im Mund korrigieren können, sind Auswirkungen auf den Stützapparat, die Körperhaltung und -statik von den entsprechenden Fachärzten behandelbar:

  • Therapieformen wie Physiotherapie, Akupunktur sowie Osteopathie werden bei Bewegungseinschränkungen der Muskeln und Gelenke erfolgreich eingesetzt. Aber auch die Craniosakraltherapie – die alternativmedizinische Schädel-Kreuzbein-Therapie – scheint bei manchen Menschen anzuschlagen.
  • Wärme kann Schmerzen in Gelenken und Muskeln lindern. Auch Rotlicht und Infrarot haben eine schmerzlindernde oder entzündungshemmende Wirkung. Ein warmes Vollbad kann zur Entspannung beitragen.
  • Sollte anhaltender Stress der Auslöser für körperliche Verspannungen und Zähneknirschen sein, können Yoga, Autogenes Training und Muskelrelaxion hilfreich sein.
  • Nicht zuletzt kann ein Check-up auf CMD mittels Funktions- und Kiefergelenksdiagnostik rasch Auskunft über eine mögliche Fehlstellung geben. Spezielle Kiefergelenkstherapeuten können durch manuelle Therapien – außerhalb, aber auch innerhalb des Mundraumes –, aber auch aktive Übungen zur Zentrierung des Kiefergelenks, der Optimierung der Haltung sowie Entspannung des Kopf- und Nackenbereiches positiv unterstützen. (Julia Palmai, 13.6.2021)