Christian Pilnacek galt jahrzehntelang als Eminenz im Justizministerium.

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Die publik gewordenen Chats zwischen dem suspendierten Sektionschef Christian Pilnacek und Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter haben für letzteren ein flottes Nachspiel. Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs Christoph Grabenwarter hat den früheren Justizminister zu einem Gespräch "vor Ablauf des kommenden Wochenendes" ins Höchstgericht gebeten. Dort könne Brandstetter "zu den Vorgängen Stellung nehmen".

Wie aus den Protokollen, die dem U-Ausschuss übermittelt wurden und prompt den Weg an die Öffentlichkeit gefunden haben, hervorgeht, hat sich Brandstetter mit Pilnacek auch über Entscheide des Höchstgerichts ausgetauscht, konkret zum Thema Sterbehilfe. Zudem waren in den Unterhaltungen seitens Pilnaceks abwertende Aussagen über Verfassungsrichterinnen gefallen und der Sektionschef hatte davon gesprochen, dass man den VfGH nach Kuba exportieren könnte.

Brandstetter lehnte Rückzug zuletzt ab

Brandstetter steht als Verfassungsrichter schon länger in der Kritik, weil gegen ihn wegen des Verdachts der Verletzung des Amtsgeheimnisses ermittelt wird. Zuletzt ließ er sich krankheitsbedingt am Höchstgericht vertreten, einen Rückzug lehnt er ab. Allerdings könnte er auch vom VfGH selbst aus dem Amt entfernt werden, nämlich mittels Zwei-Drittel-Mehrheit. Diese Möglichkeit besteht, wenn sich ein Mitglied des Höchstgerichts des Amtes "unwürdig" gezeigt hat.

Gespräche fordern auch die Oppositionsparteien SPÖ und Neos, allerdings zwischen Justizministern Alma Zadic (Grüne) und dem Regierungspartner ÖVP: An den Grünen liege es jetzt, entschieden zu handeln und den Rechtsstaat vor dem Zugriff der ÖVP zu schützen, appellierten SPÖ und Neos. Justizministern Alma Zadic (Grüne) müsse tätig werden und die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) mit mehr Ressourcen ausstatten.

Zadic wiederum forderte am Mittwoch Respekt vor rechtsstaatlichen Institutionen ein und meinte in Richtung Pilnacek, ohne diesen namentlich zu nennen, dass sie sich von Spitzenbeamten der Justiz erwarte, "dass sie allen Institutionen des Rechtsstaats und insbesondere dem Verfassungsgerichtshof den gebührenden und gebotenen Respekt entgegenbringen".

Herabwürdigung und Ausgrenzung

Zudem müssten Justizvertreter wachsam gegenüber jeder Form von Diskriminierung, Herabwürdigung und Ausgrenzung sein. "Wer rassistische und frauenfeindliche Ansichten vertritt, wer andere Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts herabwürdigt, beschädigt das Ansehen der unabhängigen Justiz und damit das Vertrauen der Menschen in diese wichtige Säule der Demokratie", so Zadic in Anspielung auf einen Chat Pilnaceks, indem er sich abfällig über Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) äußert.

Pilnacek, gegen den wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs ermittelt wird, hatte zudem die WKStA unter anderem als "missraten" bezeichnet sowie den VfGH für dessen Entscheidungen zur Sterbehilfe und zum Kopftuchverbot an Volksschulen kritisiert, wie Chatnachrichten zu entnehmen ist.

"Rechtsstaat ins Wanken gebracht"

Die Chefin der Richtervereinigung Sabine Matejka zeigte sich in der "ZiB 2" am Mittwoch "sehr schockiert". Diese Chat-Aussagen böten "kein sehr gutes Bild". Auch die Angriffe der ÖVP auf die Justiz wies sie zum wiederholten Mal zurück. Kritik sei möglich, das sei aber eine Frage des Wie. Derzeit werde der Rechtsstaat immer wieder ins Wanken gebracht.

Sabine Matejka, Vorsitzende der Richtervereinigung, analysiert, was Sektionschef Christian Pilnacek und Höchstrichter Wolfgang Brandstetter in Chats über Vorgänge in der Justiz meinen.
ORF

Appell an Bundespräsident

Eine Neuaufrollung aller Verfahren, an denen Pilnacek und sein Chatpartner, der ehemalige Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP), beteiligt waren, fordert der freiheitliche Fraktionsführer im Ibiza-Untersuchungsausschuss, Christian Hafenecker: "Es ist davon auszugehen, dass die beiden seit eh und je so gefuhrwerkt haben." Darüber hinaus kritisierte Hafenecker Bundespräsident Alexander Van der Bellen: "Hat er sich etwa schon damit abgefunden, dass die ÖVP so ist, wie man in den erschütternden Chatverläufen nachlesen kann?"

Neos verteidigen Veröffentlichung der Chatprotokolle

Apropos U-Ausschuss: Die Neos haben die Veröffentlichung der als vertraulich klassifizierten Chatprotokolle von Pilnacek verteidigt. Diese sei im "Interesse der Republik notwendig gewesen, um die Integrität der Justiz und des Verfassungsgerichtshofes sicherzustellen", so Generalsekretär Nick Donig. Zuvor hatte ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger für morgen zu einer Pressekonferenz mit dem Titel "Nachweisliche Chat-Leaks durch Opposition" geladen. (red, APA, 3.6.2021)