In Israel ist nun tatsächlich das gelungen, was viele nicht für möglich gehalten hätten. Acht politische Akteure haben sich bis zur Überstreckung gedehnt, um über ideologische Gräben hinweg ihre Rivalen an den Händen zu fassen und gemeinsam auf ein Ziel zuzugehen: das Ende der Ära Benjamin Netanjahu.

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Wenn die Knesset für die neue Regierung stimmt, sind Benjamin Netanjahus Tage als Premier (vorerst) gezählt.
Foto: REUTERS/Amir Cohen

Das war schon öfter versucht worden, aber dann doch immer misslungen. Zu schwach, zu zerklüftet war der Anti-Netanjahu-Block. Eine Koalition, die nichts gemeinsam hat außer dem Wunsch, Netanjahu loszuwerden: So etwas kann es nicht geben – so dachte man.

Bis zum Mittwochabend, bis ganz kurz vor Mitternacht.

Da gelang dem liberalen Oppositionsführer Yair Lapid das Unvorstellbare. Nur vierzig Minuten vor Ablauf der Frist griff er zum Handy, übermittelte dem Präsidenten die frohe Botschaft, reichte das Handy kumpelhaft an jenen Mann weiter, der neben ihm saß: Rechtsaußen-Politiker Naftali Bennett von der Jamina-Partei. Der hatte seinen Wählern geschworen, niemals mit Lapid zu koalieren und auf keinen Fall mit Arabern zu paktieren.

Beide Versprechen hat Bennett nun gebrochen. Von Netanjahu-Gegnern wird er dafür gefeiert. In seinem eigenen Lager riskiert er viel. Das gilt auch für die arabische Kleinpartei Raam, die sich dafür schelten lassen muss, dass sie mit einem Politiker paktiert, der noch weiter rechts steht als Netanjahu.

Allianz der Gegensätze

Und das sind nicht die einzigen Bruchstellen. Israels erster Premier mit Kippa koaliert mit dem radikalen Antireligiösen Avigdor Lieberman. Siedlungskritische Parteien regieren mit Siedlerlobbyisten.

Sozialdemokratie trifft auf Neoliberalismus, Gesellschaftsliberalismus auf Islamisten, deren zentrale Koalitionsbedingung es war, im Vertrag nur ja nichts von Rechten gleichgeschlechtlicher Paare und Transgenderpersonen zu erwähnen. Kann das gutgehen?

Niemand weiß es. Wer aber meint, es wäre trotz aller Kritik doch besser gewesen, bei Netanjahu zu bleiben, da man bei ihm immerhin weiß, was man bekommt, der irrt. Abgesehen davon, dass es diese Alternative gar nicht gab, weil der Likud-Chef ja selbst keine Regierung zustande brachte. Bei Netanjahu weiß man eben nicht, was man bekommt.

Er hat das Land in den vergangenen zwei Jahren von Neuwahl zu Neuwahl gezerrt. Spitzenpositionen blieben unbesetzt, Probleme ungelöst, Budgets undefiniert. Dafür gab es mitten in der Corona-Krise eine Rekordzahl an Ministerämtern, und auf dem Höhepunkt der dritten Epidemiewelle ließ Netanjahu die Koalition platzen. Was Netanjahu verlässlich liefert, ist Unzuverlässigkeit.

(Kurze) Verschnaufpause

Israel bekommt jetzt eine Regierung, die vielleicht nicht einmal das Vertrauensvotum übersteht. Selbst wenn, dann rechnen die wenigsten damit, dass sie vier Jahre lang hält. Wichtige Fragen wird auch diese Regierung nicht antasten können. Trotzdem ist sie das, was das Land jetzt braucht. Nach wochenlanger Gewalt in den Straßen, die auch von Netanjahus Verbündeten mit angeheizt wurde, ist das Bild, das den Chef einer arabischen Partei beim Unterzeichnen eines Vertrags mit zionistischen Parteien zeigt, für viele eine Wohltat. Weil damit alle Gräben überwunden sind?

Im Gegenteil. Aber die Gräben gab es auch unter Netanjahu. Er arbeitete daran, sie zu vertiefen, das Land weiter zu spalten. Damit könnte vorerst Schluss sein. Und wenn auch nur für kurze Zeit. (Maria Sterkl, 3.6.2021)