Dem ORF bei der Generalswahl ein "ÖBAG-Schicksal ersparen: Stiftungsrat Heinz Lederer (SPÖ) appelliert an seine Kollegen im obersten ORF-Gremium.

In zehn Wochen steht der Alleingeschäftsführer von Österreichs größtem Medienkonzern ab 2022 fest: Ein Bewerber hat sich deklariert, der seit 2007 amtierende ORF-General Alexander Wrabetz. Heinz Lederer, von der SPÖ in den Stiftungsrat entsandt, rechnet mit Gegenkandidaten – und wundert sich im Gespräch mit dem STANDARD, dass sie sich bisher nicht deklariert haben.

"Raus aus den Verstecken!"

"Visier hochklappen", ruft ihnen Lederer zu, er spricht auch von "Heckenschützen", und: "raus aus den Verstecken". Zehn Wochen vor der entscheidenden Sitzung "wissen wir nicht, welche Alternativen es geben wird". Wir meint die 35 Stiftungsräte des ORF, die mit einfacher Mehrheit am 10. August entscheiden werden. Die Mehrheit im Stiftungsrat liegt bei ÖVP-nahen Mitgliedern.

Vom amtierenden Generaldirektor und bekennenden Bewerber Wrabetz erwartet Lederer in der letzten Sitzung des Stiftungsrats vor der Bestellung, er tagt am kommenden Donnerstag, "ein klares Statement über seine Schwerpunkte und Pläne für die nächsten fünf Jahre".

"Gespart ist genug"

Die 3.000 Mitarbeiter hätten zudem "ein Recht darauf zu erfahren, was sie in Zukunft erwartet" – das gelte insbesondere auch für andere Bewerber. Der Umgang mit dem Sparstift sei keine Kernkompetenz dafür, der sei in den vergangenen Jahren im ORF schon zur Genüge zum Einsatz gekommen. "Gespart ist genug", findet Lederer.

Solange sich Kandidaten nicht deklarierten, entzögen sie sich dem Diskurs über ihre Vorstellungen und ihre Qualifikation, sagt der rote Stiftungsrat. Er findet es "eigenartig", dass man sich einer solchen "Professionalisierung" der Diskussion entziehe, Lederer spricht von einem "ORF-Wahlkampf", der kein offener Wahlkampf sei.

Lederer erinnert die Situation an die Bestellung von Thomas Schmid zum Alleinvorstand der Staatsholding Öbag, deren Umstände seit Wochen bemerkenswerte Chatprotokolle vermitteln, nämlich: Die Bestellung – und die passende Besetzung des Öbag-Aufsichtsrats – wurde im Hintergrund an der Partei- und Regierungsspitze ausgemacht.

"Öbag-Schicksal ersparen"

"Dem ORF sollte so ein Öbag-Schicksal erspart bleiben", sagt Lederer. Er appelliert an die 35 Stiftungsrätinnen und -räte, am 10. August "nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden und nicht auf Zuruf".

Der SPÖ-Stiftungsrat warnt in diesem Zusammenhang auch vor "den letzten ein oder zwei Steinen zur Orbánisierung". Eine Anspielung auf Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, der rasch den öffentlichen Rundfunk auf Linie gebracht hat und seither den größten Teil der ungarischen Medien insgesamt.

Lederer rechnet mit Gegenkandidaten. Im Vergleich zum amtierenden Generaldirektor könnten sie sich aber als "gewogen und zu leicht befunden" herausstellen – offenbar eine Anspielung etwa auf Roland Weißmann, stellvertretender Finanzdirektor, Chefproducer und ORF.at-Geschäftsführer.

"Keine Lehrstube"

Bei externen Bewerbern sorgt sich Lederer um ihre Sachkenntnis und Erfahrung im Kerngeschäft des ORF. Der Kommunikationsberater: "Der ORF ist keine Lehrstube." An der Spitze des ORF müsse "ein Profi" stehen, ob Mann oder Frau. Die Herausforderungen für den ORF von Streaming bis Human Resources ließen keine Zeit, sich "einzuarbeiten", findet er. Es gehe um einen "Change-Prozess" im ORF, aber etwa auch um die Zukunft der "Regionalität".

Der nächsten ORF-Führung dürften jedenfalls nicht weniger Frauen angehören als bisher, erklärt Lederer. Direktoren und Landesdirektoren des ORF ab 2022 werden Mitte September bestellt. Derzeit besteht das ORF-Direktorium unter dem General aus zwei Männern und zwei Frauen. Unter den neun Landesdirektoren sind zwei Frauen. (fid, 4.6.2021)