Österreichs größter Industriekonzern OMV steht vor dem tiefgreifendsten Umbau seiner Geschichte: statt Öl und Gas mehr Kunststoffe und Chemie.

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Öl und Gas versus Chemie und Kunststoff, altes Geschäft gegen ein neues oder zumindest erweitertes: Das waren, vereinfacht gesagt, die zwei Optionen, die in den vergangenen Monaten in und außerhalb von Österreichs größtem Industriekonzern heftig diskutiert wurden. Mit der Bestellung von Alfred Stern zum künftigen OMV-Chef ist die Entscheidung für mehr Chemie unter dem OMV-Dach gefallen.

Auf Stern, der aus Wagna bei Leibnitz in der Südsteiermark stammt, kommt eine Mammutaufgabe zu. Will er beim Umbau des Öl- und Gaskonzerns mit angehängter Petrochemie in ein auf hochwertige Kunststoffe fokussiertes Unternehmen reüssieren, muss er die Öl- und Gasfraktion einbinden. Die ist alles andere als glücklich und hätte lieber Johann Pleininger, den Upstream-Vorstand, im Chefsessel gesehen.

"Feindliche Übernahme"

Schon ist von einer feindlichen Übernahme der OMV durch Borealis die Rede. Mit Stern hat ab September der Exchef der Kunststofftochter bei der deutlich größeren OMV das Sagen. Mark Garrett, der als OMV-Aufsichtsratschef bei der Nachbesetzung von Seele eine Schlüsselrolle gespielt hat, war Sterns Vorgänger bei Borealis. Ein weiterer Borealis-Mann zieht spätestens mit 1. Juli in den OMV-Vorstand ein: Martijn van Koten, ein gebürtiger Niederländer, wird dort den Raffineriebereich übernehmen.

Der designierte OMV-Chef Alfred Stern kommt von Borealis und wird die Entwicklung zu mehr Kunststoff und Chemie beschleunigen.
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Dass beim Umbau des Konzerns, der zu 31,5 Prozent der Republik gehört, nun ein Zahn zugelegt wird, hat mit dem Klimawandel und den zunehmend restriktiveren Umweltgesetzen zu tun. Öl und Gas wird in der OMV weiter eine Rolle spielen, der Großteil der Investitionen aber in Chemie und Kunststoffe gehen. Statt Öl in Form von Benzin, Diesel oder Heizöl zu verbrennen, soll es in weitaus größerem Ausmaß als bisher zu Ausgangsmaterial für Kunststoffe veredelt werden. Stern will es dabei aber nicht bewenden lassen, sondern das von Kunden produzierte Plastik auch wieder recyceln. Kreislaufwirtschaft nennt man das.

Borealis als Ergebnisbringer

Im ersten Quartal 2021 hat Borealis, das Herz der neuen OMV, bereits rund die Hälfte zum operativen Konzernergebnis beigetragen. Zudem könnte es deutlich höhere Synergien durch die Integration von Borealis in die OMV geben als ursprünglich gedacht: 800 statt 700 Millionen Euro bis 2025. Die Weichen in Richtung Chemie sind im Vorjahr unter Seele durch Aufstockung der Anteile an Borealis von 36 auf 75 Prozent gestellt worden.

Seite Ende Oktober 2020 findet sich Borealis voll konsolidiert in den OMV-Zahlen. Die Übernahme der verbleibenden 25 Prozent, die von Mubadala, dem Staatsfonds aus Abu Dhabi, gehalten werden, könnte unter Stern über die Bühne gehen.

Fragen über Fragen

Bei der Hauptversammlung der OMV am Mittwoch war der Führungswechsel kein Thema, die künftige Ausrichtung des Konzerns aber sehr wohl. Vertreter von Umweltgruppen, die bereits im Vorfeld der Hauptversammlung von der OMV einen radikalen Schnitt bei Öl und Gas verlangt hatten, stellten die Nachhaltigkeit der aktuellen Strategie infrage.

Der scheidende OMV-Chef Rainer Seele verteidigte bei der virtuell abgehaltenen Aktionärsversammlung die Weichenstellung Richtung mehr Chemie und Kunststoffe.
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Seele verteidigte bei seinem letzten Auftritt auf der virtuellen Hauptversammlung den Kurs. Hochwertige Kunststoffe, auf die sich die OMV konzentriert, seien nicht mehr wegzudenken. Ob Smartphones, Windräder, Solarpanels oder E-Autos: Überall steckten Kunststoffe drin. Und die Wachstumsraten seien enorm.

Seele, der 2015 Gerhard Roiss als CEO abgelöst und die OMV zu Rekordergebnissen geführt hat, verlässt den teilstaatlichen Konzern Ende August und damit schneller als angekündigt. Der aus Deutschland stammende Manager hat nach massiven Angriffen und Intrigen Ende April angekündigt, mit Auslaufen seines Vertrags im Sommer 2022 das Unternehmen zu verlassen. Die Option um Verlängerung seines Vertrags um ein weiteres Jahr wollte er nicht mehr ziehen. Mit der raschen Bestellung von Stern haben sich die Dinge offensichtlich beschleunigt.

Hauptversammlung mit Rekordlänge

Die Corona-bedingte Verlagerung der Hauptversammlung ins Internet hat hingegen alles andere als eine Beschleunigung bewirkt. Mit rund achteinhalb Stunden wurde ein neuer Längenrekord aufgestellt. Um 22.40 Uhr sagte Aufsichtsratschef Garrett: "Die Hauptversammlung ist erledigt, und ich bin es auch."

Am Donnerstag stiegen OMV-Chef Seele und dessen designierter Nachfolger Stern gemeinsam in ein Flugzeug. Ziel: St. Petersburg. Dort findet bis Samstag das von Präsident Wladimir Putin einberufene Wirtschaftsforum statt. Mit dabei, wenn auch nicht vor Ort, ist heute, Freitag, auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Er wird per Video zugeschaltet und hält eine Rede. (Günther Strobl, 4.6.2021)