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Chow Hang-tung wurde vor ihrem Büro festgenommen, nachdem sie in einem Interview bekanntgegeben hatte, zu dem Park zu gehen, wo die Mahnwache gewöhnlich stattfindet.

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Hongkong/Peking – Angesichts der US-Äußerungen zum Tiananmen-Gedenken hat China zum verbalen Gegenschlag ausgeholt und die Menschenrechtslage in den USA scharf kritisiert. Peking forderte Washington auf, "in den Spiegel zu schauen" und "sich den eigenen ernsten Menschenrechtsproblemen zu stellen", wie Außenamtssprecher Wang Wenbin am Freitag sagte. Zuvor hatte US-Außenminister Antony Blinken erklärt, sein Land werde "die Opfer derjenigen ehren, die vor 32 Jahren getötet wurden".

Blinken lobte "die mutigen Aktivisten, die ihre Bemühungen heute angesichts der anhaltenden Repressionen der Regierung fortsetzen". Die chinesische Armee war in der Nacht zum 4. Juni 1989 mit Panzern gegen Studenten vorgerückt, die auf dem Tiananmen-Platz für mehr Demokratie demonstrierten. Hunderte, nach einigen Schätzungen sogar mehr als tausend Menschen wurden getötet. Die Vorfälle von 1989 sind in China bis heute ein Tabuthema, alle Gedenkveranstaltungen auf dem chinesischen Festland sind verboten.

Chinas Außenamtssprecher Wang Wenbin kritisierte die US-Einmischung.
Foto: imago images/Kyodo News

Wang betonte am Freitag, die USA müssten für eine Reihe von Missständen zur Rechenschaft gezogen werden – von Minderheiten bis zur Behandlung von Migranten. "In Anbetracht ihrer unwiderlegbaren Missetaten in Sachen Menschenrechte: Was qualifiziert die Vereinigten Staaten dazu, andere zu belehren?", sagte er.

Verbot auch in Hongkong

Während in der Volksrepublik ohnehin nicht öffentlich an dieses dunkle Kapitel erinnert werden darf, haben die Behörden in Hongkong im zweiten Jahr in Folge die sonst jährliche Kerzenandacht verboten. Eine bekannte Demokratieaktivistin wurde bereits festgenommen. Bis zum späten Freitagabend sprach die Polizei von mindestens sechs Festnahmen wegen Verstößen gegen das Versammlungsverbot und anderer Delikte.

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Mobiltelefone statt Kerzen: einige Hongkonger wagten es, das Verbot zu missachten.
Foto: REUTERS/Lam Yik

Als Grund für das Verbot der Gedenkfeier nannten die Behörden der chinesischen Sonderverwaltungsregion die Pandemie. Doch vermuten Kritiker politische Motive dahinter. Die Demokratieaktivistin und Juristin Chow Hang-tung wurde am Freitagmorgen vor ihrem Büro in Hongkong von vier Polizisten in Zivil vorläufig festgenommen, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Die Aktivistin wurde in einer schwarzen Limousine weggebracht.

Zehntausende protestierten im Vorjahr

Chow ist eine der stellvertretenden Vorsitzenden einer Allianz, die jedes Jahr am 4. Juni eine Mahnwache zum Gedenken an die Opfer der brutalen Niederschlagung von 1989 organisiert. Wie die AFP aus Polizeikreisen erfuhr, wurde Chow unter Paragraf 17a einer Verordnung festgenommen, die die Bekanntmachung ungesetzlicher Versammlungen verbietet. Chow hatte zuvor in einem Interview angedeutet, sie werde sich am Freitag zum Victoria-Park begeben, wo die Tiananmen-Mahnwache für gewöhnlich stattfindet.

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Tiananmen-Gedenken in Hongkong, 4. Juni 2019.
Foto: REUTERS/Tyrone Siu

Im vergangenen Jahr hatten sich anlässlich des Jahrestags der Niederschlagung der studentischen Pro-Demokratie-Proteste zehntausende Menschen in Hongkong dem Versammlungsverbot widersetzt. Mehrere Demokratieaktivisten wurden wegen ihrer Teilnahme verurteilt, darunter auch Joshua Wong, einer der bekanntesten Vertreter der Demokratiebewegung.

Wie im vergangenen Jahr wollten sich auch heuer einige Hongkonger nicht abschrecken lassen, obwohl ihnen Gefängnisstrafen drohen. Um die sonst übliche Kerzen-Mahnwache zu unterbinden, begann ein Großaufgebot der Polizei am Nachmittag damit, den Victoria Park komplett abzuriegeln. Auf Hinweisschildern wurde gewarnt, dass das Betreten des Parks gegen das Versammlungsverbot verstoße und geahndet werde.

Gegen den wachsenden Einfluss Pekings hatte es in Hongkong 2019 monatelang Massenproteste gegeben. Als Reaktion darauf erließ die chinesische Führung im vergangenen Jahr das sogenannte Sicherheitsgesetz, das den Behörden ein hartes Vorgehen gegen alle Aktivitäten erlaubt, die nach ihrer Auffassung die nationale Sicherheit Chinas bedrohen.

Tabu

Bei dem Einsatz der Volksbefreiungsarmee gegen Demonstranten um den Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen) in Peking waren vor 32 Jahren einige Hundert Menschen ums Leben gekommen. Die genaue Zahl ist bis heute nicht bekannt. Tausende wurden verletzt und inhaftiert. Auch heute ist das Thema in China noch tabu und wird von der Regierung totgeschwiegen.

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Das Bild des Demonstranten, der allein eine Panzerkolonne aufhielt, ging 1989 um die Welt.
Foto: AP/Jeff Widener

Familien der Opfer verlangen eine gerechte Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels. Die in dem Netzwerk der "Mütter von Tiananmen" zusammengeschlossenen Angehörigen forderten in einem offenen Brief die Offenlegung der Wahrheit über das Massaker und Entschädigung. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, heißt es in dem Schreiben, das die Menschenrechtsorganisation Human Rights in China zum Jahrestag am Freitag veröffentlichte.

"Aber 32 Jahre später sehen wir noch immer keinen offiziellen Versuch, die Informationen über das Blutbad zu entsiegeln und zu enthüllen", so die Kritik in dem Brief. Das Massaker bleibe "ein Tabu für die Regierung".

Wie jedes Jahr erinnerte in China am Freitag – außer strengen Sicherheitsvorkehrungen um den Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen) – nichts an den Militäreinsatz 1989. (APA, 4.6.2021)