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Roman Protassewitsch und seine Freundin wurden im Mai festgenommen, nachdem ihr Flugzeug zu einer Landung in Minsk gezwungen worden war.

Foto: Reuters / Stringer

Minsk – Fluggesellschaften aus der ehemaligen Sowjetrepublik Belarus (Weißrussland) dürfen seit Samstag nicht mehr in den Luftraum der EU fliegen und damit auch nicht mehr auf Flughäfen in EU-Staaten starten oder landen. Mit der Strafmaßnahme reagiert die EU darauf, dass belarussische Behörden vor rund zwei Wochen eine Ryanair-Passagiermaschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius zur Landung in Minsk zwangen und einen an Bord befindlichen Regierungskritiker und dessen Freundin festnahmen. Der Blogger Roman Protassewitsch und seine Partnerin Sofia Sapega sind seitdem in Haft.

In dem am Freitag gefassten Sanktionsbeschluss der EU heißt es, der Vorfall mache die Unzuverlässigkeit der belarussischen Luftfahrtbehörden deutlich und stelle einen weiteren Schritt zur Repression der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition in Belarus dar. Unter Verweis auf eine von Belarus behauptete Bombendrohung gegen die Ryanair-Maschine ist von gefälschten Beweisen die Rede.

Das belarussische Verkehrsministerium bezeichnete die Sanktion am Samstag als Verstoß gegen internationales Recht. Unter Umgehung internationaler Verträge werde der belarussischen Fluggesellschaft Belavia verboten, den Luftraum der EU zu nutzen und Flughäfen dort anzufliegen. "Diese Sanktionen sind eine gewaltsame Übernahme des Marktes und des Geschäfts", sagte der Direktor der Luftfahrtabteilung des Verkehrsministeriums am Samstag dem Staatsfernsehsender ONT in Minsk.

Keine Flüge seit einer Woche

Für Reisende bedeutet der Beschluss, dass sie künftig vermutlich nur noch über Umwege von der EU nach Belarus oder von Belarus in die EU fliegen können. Bereits vor dem Sanktionsbeschluss waren nämlich auch alle Fluggesellschaften mit Sitz in der EU aufgefordert worden, Flüge in den Luftraum von Belarus zu vermeiden.

Die staatliche belarussische Fluggesellschaft Belavia hatte infolge der angekündigten Strafmaßnahmen bereits am 27. Mai von sich aus angekündigt, alle Flüge nach Deutschland, Polen, Italien, Österreich, die Niederlande, Spanien und Belgien vorerst einzustellen. In Deutschland waren zum Beispiel Verbindungen nach Frankfurt, Berlin, Hannover und München betroffen.

Der Dachverband der Fluggesellschaften (Iata) in Genf kritisierte das Vorgehen der EU. "Die Sicherheit des Flugbetriebs darf niemals politisiert werden", sagte Iata-Chef Willie Walsh. Der Verband verurteile die Umleitung der Ryanair-Maschine, das Verbot sei aber ebenfalls eine Politisierung. "Unrecht und Unrecht ergibt kein Recht. Politiker sollten niemals unter dem Mäntelchen der Luftfahrtsicherheit eine politische oder diplomatische Agenda verfolgen."

Weitere Sanktionen

EU-Ratspräsident Charles Michel teilte nach dem Sanktionsbeschluss vom Freitag mit, dass weitere Strafmaßnahmen schnell folgen würden. Er spielte damit darauf an, dass nach einer Einigung der Staats- und Regierungschef vom 24. Mai auch Wirtschaftssanktionen sowie Strafmaßnahmen gegen Personen und Einrichtungen vorbereitet werden.

Nach Angaben des deutschen Außenministers Heiko Maas (SPD) könnte bei den Wirtschaftssanktionen zum Beispiel die Kali- und Phosphatindustrie ins Visier genommen werden. Andere EU-Politiker brachten zudem Hersteller von Ölprodukten ins Spiel. Beides sind Bereiche, in denen es starke belarussische Staatsunternehmen gibt. Einigkeit besteht in der EU darüber, dass Branchen oder Unternehmen ausgewählt werden sollen, mit denen man die Staatsführung möglichst hart und die Bevölkerung möglichst wenig trifft.

In der Ex-Sowjetrepublik Belarus gibt es seit der Präsidentenwahl am 9. August vergangenen Jahres Proteste gegen Machthaber Alexander Lukaschenko, der mittlerweile bereits seit fast 27 Jahren regiert. Auslöser sind Vorwürfe der Fälschung der Wahl, nach der sich Lukaschenko mit 80,1 Prozent der Stimmen zum Sieger hatte erklären lassen. Sicherheitskräfte gehen gegen Demonstranten oft gewaltsam vor. Bei den Protesten gab es bereits mehrere Tote, Hunderte Verletzte und Tausende Festnahmen.

Der Fall Protassewitsch

Große Sorgen gibt es deswegen in der EU auch um das Schicksal des nach der Zwangslandung festgenommenen Bloggers. Die Menschenrechtsgruppe Wjasna prangert das nach ihren Angaben unter Zwang aufgezeichnetes Fernsehinterview mit Protassewitsch an. "Was auch immer er jetzt sagt, es ist reine Propaganda", sagte Wjasna-Chef Alex Bjaljazki am Donnerstag der Nachrichtenagentur AFP. Der Journalist sei mit "unfairen, aber sehr ernsten Anschuldigungen" konfrontiert und so "mindestens psychologisch bedroht" und unter Druck gesetzt worden, meinte Wjasna.

Der 26-Jährige erschien zuvor unter Tränen im Staatsfernsehen und gestand seine Rolle in den Antiregierungsprotesten. Er sprach in einem eineinhalbstündigen "Interview" unter anderem darüber, dass es "Aufstände" gegeben habe, die zum Ziel gehabt hätten, Machthaber Alexander Lukaschenko zu stürzen, den er bewundere, so Protassewitsch.

Ukrainische Separatisten wollen Auslieferung

Massive Angst zeigte Protassewitsch vor einer etwaigen Auslieferung an die abtrünnige ukrainische "Luhansker Volksrepublik" (LNR), die im Zusammenhang mit einem Aufenthalt des Bloggers beim rechtsradikalen "Asow"-Regiment im ostukrainischen Frontgebiet ein "Strafverfahren" eingeleitet hat.

Es falle ihm schwer, dazu etwas zu sagen, erklärte Protassewitsch in dem Interview und blickte dabei auf den Boden. "Verständlich, dass ich das (die Auslieferung, Anm.) fürchte. Ich hoffe einzig, dass Alexander Grigorewitsch (Lukaschenko, Anm.) genug politischen Willen und Entscheidungskraft findet, mich nicht auszuliefern." In der selbsterklärten "Volksrepublik" im Osten der Ukraine, die bisher von keinem anderen Staat anerkannt wurde, wäre durchaus auch eine Exekution des Bloggers möglich.

Protassewitschs in Polen lebende Mutter Natalia bezeichnete das Interview am Freitag als Ergebnis von Folter im Gefängnis. "Ich kann mir nicht einmal vorstellen, welchen Foltermethoden – sowohl psychischen als auch physischen – mein Sohn momentan ausgesetzt ist", sagte die 46-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. "Eine größere Qual kann man als Mutter vermutlich nicht erleiden."

"Es ist schmerzhaft, das 'Geständnis' von Roman Protassewitsch zu sehen. Seine Eltern glauben, dass er gefoltert wurde. Das ist nicht der Roman, den ich kenne", sagte Franak Wjatschorka, der außenpolitische Berater von Protestführerin Swetlana Tichanowskaja. Er sei offenbar eine "Geisel des Regimes, und wir müssen alles Mögliche unternehmen, um ihn und die anderen 460 politischen Gefangenen zu befreien", schrieb Wjatschorka auf Twitter.

Auch die Oppositionsführerin Tichanowskaja selbst meint, dass das Interview unter Folter zustande gekommen sei. Diese Aufnahmen entstünden immer unter Druck. Daher hätten die Aussagen keine Bedeutung. "Die Aufgabe eines politischen Gefangenen ist das Überleben."

Sie verlangte von Europa und den USA nun mehr Druck auf Staatschef Lukaschenko. Dabei sollten die EU, Großbritannien und die USA gemeinsam vorgehen, sagte die Politikerin am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters in Warschau. Tichanowskaja setzt demnach darauf, dass sich die G7-Staaten bei ihrem Treffen in Großbritannien mit dem Thema beschäftigten. Sie selbst habe aber noch keine Einladung erhalten. Der G7-Gipfel ist vom 11. bis 13. Juni in Cornwall geplant.

Belarus schweigt, Europa äußert Kritik

Das Präsidialamt in Belarus war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Bei vorigen im Fernsehen übertragenen Geständnissen von Oppositionellen hatte die Regierung betont, dass diese freiwillig erfolgt seien. Protassewitsch war bereits das dritte Mal zu sehen, seit er vor knapp zwei Wochen festgenommen worden war.

Deutschland und Großbritannien äußerten Kritik an Belarus. Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von einer "Schande für den Sender [...] und für die belarussische Führung, die nochmal ihre ganze Demokratieverachtung, und eigentlich muss man auch sagen, Menschenverachtung zeigt." Der britische Außenminister Dominic Raab bezeichnete das Interview als "verstörend". Es sei eindeutig unter Zwang und in Gewahrsam entstanden. (red, APA, 5.6.2021)