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Österreichs Justiz muss sich in ihren Grundfesten erschüttert fühlen: Was in den vergangenen Tagen durch die Chats des Spitzenbeamten Christian Pilnacek öffentlich bekannt gemacht wurde, muss jeder Juristin, jedem Juristen die Haare zu Berge stehen lassen. Hier wird eine Denkweise sichtbar, die so gar nichts mit dem vielbeschworenen Ethos und Selbstverständnis von Österreichs Beamtenschaft zu tun hat. Sexismus, Rassismus, das Verächtlichmachen von Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofs: Das ist tiefstes Stammtischniveau und eines Mannes, der eine der Säulen unserer Demokratie stützen sollte, nicht würdig. Selbst wenn man abzieht, dass dies aus persönlicher, in der Situation verständlicher Frustration heraus geschah.

Nun könnte man das abtun als Einzelfall, hätte Pilnacek nicht schon durch frühere Chats offenbart, wie gewillt er war, politisch erwünschte Entscheidungen zu treffen – und wie sehr er, kraft seiner Superfunktion im Justizministerium, dazu auch in der Lage war. Dass Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter als enger Freund Pilnaceks obendrein eine hinterfragenswerte Rolle spielte, ist umso brisanter – ebenso wie die Tangente, die das in ÖVP-Regierungskreise zieht.

Macht statt Weltbild

Angesichts der 300.000 Textnachrichten des jetzigen Öbag-Chefs und Kurz-Vertrauten Thomas Schmid hatte man bisher den unangenehmen Eindruck, dass hier eine Partie junger Männer mit übersteigertem Selbstbewusstsein meint, sich das Land einverleiben zu können. Schlimm genug. Jetzt freilich muss man erkennen: Da haben die Jungen von den Alten gelernt – oder auch umgekehrt.

Um links oder rechts, konservativ oder progressiv geht es hier schon lange nicht mehr. Es geht um Macht, nicht um ein bestimmtes Weltbild. Offenbar gibt es einflussreiche Kreise und (Männer-)Seilschaften in Österreich, die nicht dulden wollen, wenn Dinge nicht so passieren, wie sie sich das vorstellen. Diese Denkweise wird durch die vielen, geleakten Chats klar sichtbar. Darüber muss man sich ernsthaft Gedanken machen. Ob es auch eine strafrechtliche Komponente gibt, werden die Ermittlungen zeigen, bis dahin gilt diesbezüglich die Unschuldsvermutung.

Widerstand gegen Einflussnahme

Das Positive an den Vorgängen in der Justiz ist freilich, dass sich auch zeigt, wie widerstandsfähig Österreichs Judikative aus sich heraus gegen aggressive Einflussnahmeversuche ist. Der Verfassungsgerichtshof erweist sich als unverzichtbares, stets alertes Korrektiv, die rasche Reaktion seines Präsidenten hat wohl auch den freiwilligen Rückzug von Brandstetter aus dieser Institution maßgeblich beschleunigt. Die Staatsanwaltschaft lässt sich bei ihren Ermittlungen augenscheinlich nicht beirren, unterstützt von der Richtervereinigung, deren Präsidentin Sabine Matejka sich erst vor kurzem dagegen verwahrt hat, die Justiz zum "Spielball der Politik" werden zu lassen. Am Freitag haben auch vier Vorsitzende der Oberlandesgerichte jeglichen Versuch politischer Einflussnahme abgewehrt.

Solche klaren Worte sind beruhigend – und sollten auch das Parlament entsprechend inspirieren. Die Vorgänge rund um das Ibiza-Video müssen lückenlos aufgeklärt werden, ohne Ansehen von Parteien und deren Interessen. Justizministerin Alma Zadić hat vor allem eine Aufgabe: Sie muss jene in der Justiz stützen, deren Berufsethos intakt ist und deren Loyalität ausschließlich der Verfassung gilt – mit ihrer Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Justiz. Das Gute ist: Diese Menschen gibt es in Österreichs Justiz, man muss sie nur wahrnehmen. (Petra Stuiber, 4.6.2021)