Der frühere Neos-Chef Matthias Strolz hat anlässlich des Kampfes um die österreichische Justiz diesen Tweet abgesetzt: "Mit dem öffentlichen Angriff auf einzelne Staatsanwälte betritt die NVP das Feld strukturell faschistischer Methoden. Österreich wird das nicht akzeptieren. Breite bürgerliche Kreise werden sich vom System Kurz abwenden."

Werden sie? Oder anders formuliert: Wann reicht es den "ordentlichen" Bürgerlichen in diesem Land? Wobei "bürgerlich" ja ein Begriff mit einiger Bandbreite ist: Das reicht von katholisch-konservativ bis liberal-boboesk. Viele Bürgerliche haben Sebastian Kurz gewählt, weil er einen Zug zum Tor vermittelte, weil er die moribunde ÖVP wiedererweckt hatte, weil die lange dominierende Sozialdemokratie den Kompass verloren hatte und weil Kurz ein Bollwerk gegen den Aufstieg des wüsten FP-Rechtspopulismus schien. Wie Letzteres ausging, ist bekannt.

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Wann reicht es den "ordentlichen" Bürgerlichen in diesem Land mit der ÖVP?
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Nun kommt aber das Innenleben von Türkis ans Tageslicht, und das ist nicht schön. Wenn sich die Hauptakteure mit eher peinlichen Bussi-Bussi-Chats die Topposten der Republik untereinander ausmachen, wird das noch als Austriakum empfunden. Wenn Kurz Beschuldigter wegen falscher Zeugenaussage wird, macht das schon nachdenklich. Aber wenn daraus ein Einschüchterungs- und Vernichtungsfeldzug gegen die Justiz wird, wenn der Kanzler selbst verantwortungslos von "roten Netzwerken" in der Staatsanwaltschaft spricht, wenn der Mistgabel-Beauftragte der ÖVP, der Abgeordnete Andreas Hanger, einzelne Staatsanwälte attackiert – dann wird es unangenehm. Und vollends verstörend wird es, wenn bekannt wird, in welchem Ton ein ehemaliger Spitzenfunktionär der Justiz (Pilnacek) und ein ehemaliger Justizminister und nunmehriger Verfassungsrichter (Brandstetter) sich über den Verfassungsgerichtshof, dortige Richterinnen ausgelassen haben. Und wenn klar wird, dass diese türkis-schwarzen Netzwerke massiv die Justiz behinderten.

Praktisch-österreichisches Leben

Reden wir gar nicht vom Rechtsstaat, von demokratischer Kultur und so weiter. Reden wir vom praktisch-österreichischen Leben des Bürgertums. Ein gewisser Eliten-Zynismus ist schon okay in Österreich, aber das geht an die Substanz. Jeder von uns hat schon böse gespottet – aber nicht jeder ist höchster Justizfunktionär. Wie wichtig ist das dem "ordentlichen" Bürgertum, das zwar für manches "sich richten" Verständnis hat – wir leben in Österreich –, aber doch will, dass der Staat und seine Institutionen halbwegs fair und gesetzmäßig funktionieren und jedenfalls nicht unter einer Clique aufgeteilt werden?

Ob es schon "faschistisch" (Strolz) ist, wenn die Justiz parteipolitisch ausgehebelt werden soll? Es ist jedenfalls autoritär, und auch in Polen und Ungarn hat es klein angefangen, wie die Richterpräsidentin Sabine Matejka sagte. Ein Staat, in dem die Institutionen gekapert werden und ein Pilnacek zum Verfassungsrichter Brandstetter sagt, man brauche einen Trump, da werden sich auch Konservative nicht wohlfühlen. Es ist ein Unterschied zwischen konservativ und reaktionär.

Beim liberalen Bürgertum löste Kurz relativ bald Irritation aus, aber das zeigte sich eher in reservierter Distanz. Aber was ist mit gestandenen Konservativen? Auch denen, die dem Staat dienen? Finden konservative Bürgerliche mit Anstand das normal? Wollen sie in einem solchen Staat, in einer solchen Atmosphäre leben? Ist das die Rechtssicherheit, auf deren Grundlage sie ihren Geschäften nachgehen wollen? Wollen sie auch in ihrem Berufsleben abhängig sein von völlig bedenkenlosen Zynikern? (Hans Rauscher, 4.6.2021)