Und dann war das Chaos. Dienstag, zwölf Minuten nach 16 Uhr. Norbert Hofer tippt einen Tweet, der manche in seiner Partei erschüttern wird wie zuletzt das Ibiza-Video: "Heute ist mein erster Tag nach der Reha – und mein erster Tag nach der Tagespolitik. Ich lege meine Funktion als Bundesparteiobmann zurück und wünsche meinem Nachfolger alles Gute." Der FPÖ-Chef sendet die Nachricht, abgesprochen hat er sich nicht.

Norbert Hofers Rücktritt ist ein Etappensieg für Herbert Kickl im blauen Machtkampf.
Foto: APA/ Helmut Fohringer

In seinem Büro bricht Sekunden später Hektik aus. Auch seine Mitarbeiter sind nicht informiert. Sie können den Tweet nicht einordnen: Hat ihn wirklich Hofer verfasst? Was geht in ihm vor? Hat gar jemand den Account gekapert? Hofers Mitarbeiter haben Zugriff auf den Twitter-Kanal ihres Chefs. Sie löschen die Nachricht – zur Sicherheit. Vier Minuten nachdem sie öffentlich wurde, ist sie wieder verschwunden. In den Redaktionen des Landes beginnt das Rätselraten, was da gerade vor sich geht. Es wird eine halbe Stunde dauern, bis die Nachrichtenagentur den Rücktritt des Obmanns der Freiheitlichen als Alarmmeldung verschickt.

Hofers Abgang kennzeichnet den vorläufigen Höhepunkt eines tobenden Lagerkampfes in der FPÖ. So wie es aussieht, wird ihn bald Herbert Kickl für sich entscheiden. Doch das blaue Gezerre um die künftige Ausrichtung der Partei wird mit der neuen Personalie allein nicht geklärt sein. Und als eine vereinende Persönlichkeit galt Kickl, der Kärntner, der unter Jörg Haider in die Politik fand, noch nie.

Der Strippenzieher

Dass Kickl mit aller Kraft die Macht in der FPÖ an sich reißen will, das überraschte in den vergangenen Wochen viele – auch oder vor allem in seiner Partei. Eigentlich war er lange Jahre als Strippenzieher im Hintergrund bekannt, der kantige Reden und markige Sprüche für Haider und Heinz-Christian Strache schrieb. Diese Rolle genügte Kickl. "Der war am Anfang nicht einer, der da nach vorne gedrängt hat", erzählt ein Wegbegleiter. Für die erste Reihe gebe es "Begabtere", sagte Kickl im Jahr 2009 selbst in einem Interview. Strache musste seinen Ex-Generalsekretär drei Jahre zuvor quasi zwingen, überhaupt Nationalratsabgeordneter zu werden. Kickl soll nicht gewollt haben. Doch nach und nach fand er Gefallen an seiner Rolle im Rampenlicht.

In den Augen seiner Kameraden reifte Kickls Machtanspruch in dessen Zeit als Innenminister der türkis-blauen Regierung. Da konnte der Aufwiegler nicht nur die harte Migrationslinie der Freiheitlichen ausleben; Kickl hatte ein Ministerium in der Hand und einen Stab, den er anleiten konnte. In seinem Ressort ließ er einen azurblauen Teppich verlegen und blaue Beleuchtung installieren. Man sollte wissen, wer hier residiert.

Kampf um künftigen Kurs

Noch ist nichts fix entschieden. Am Montag wird sich die Parteispitze zusammensetzen und beraten, wer künftig die Führung der Freiheitlichen übernehmen soll. Die blauen Landeschef von Tirol, Kärnten und dem Burgenland sowie die Salzburger FPÖ-Obfrau Marlene Svazek haben sich bereits für Kickl ausgesprochen. Der mächtigste Kritiker des derzeitigen Klubchefs ist Manfred Haimbuchner, Vizelandeshauptmann in Oberösterreich – einem blauen Kernland, in dem Ende September gewählt wird. Für Haimbuchner kommt der Umbau im Bund deshalb gerade zur Unzeit.

Zum STANDARD sagt Haimbuchner: "Natürlich ist die Wahl eines Bundesparteiobmannes in erster Linie auch eine Abstimmung über den Kurs der FPÖ." Und: "Es ist kein Geheimnis, dass ich eine stabile, konstruktive Rechtspartei gegenüber einer unsteten Fundamentalopposition bevorzuge."

Doch was trennt die beiden Flügel der blauen Familie? Und ist wirklich eine Seite "rechter" als die andere, wie es in manchen Debattenbeiträgen heißt?

"Ich lasse mir nicht jeden Tag ausrichten, dass ich fehl am Platz bin", sagte Ex-FPÖ-Chef Norbert Hofer kurz nach seinem Rücktritt. Dieses Statement war offen an Kickl gerichtet.
Foto: APA/ Hans Klaus Techt

Die FPÖ, könnte man sagen, vereint Rechte aus zwei Welten: Auf der einen Seite stehen die eher bürgerlichen Freiheitlichen, die oft aus dem burschenschaftlichen Milieu kommen. Auf der anderen Seite sammeln sich jene, die sich im Volk zu Hause fühlen, die "Sorgen des kleinen Mannes" erkennen und benennen wollen. Inhaltlich mehr oder weniger "rechts" ist dabei wohl keine der beiden Gruppen – gegen Migration sind im Grunde alle, der Außenfeind vereint die Lager.

Konkret geht es derzeit aber vor allem um die Frage, welche Zielgruppe die FPÖ in Zukunft ansprechen will – und daraus abgeleitet: was ihr Anspruch ist. Oder anders gesagt: Sollen die Freiheitlichen in erster Linie enttäuschte Bürgerliche von der angeschlagenen ÖVP abholen, "salonfähig" sein und so in die Breite gehen – oder eher die Krisengebeutelten einfangen; jene, die auf Anti-Corona-Demonstrationen marschieren; alle, die sich abgehängt fühlen und von der Politik eigentlich die Nase voll haben?

Zurück in eine Regierung?

Haimbuchner, der in Oberösterreich selbst mitregiert, steht für eine FPÖ, die bald wieder regieren soll. Bei Kickl ist klar, dass wohl niemand mehr mit ihm eine Koalition bilden wird. Wobei das Lager rund um Kickl argumentiert: Mit gefälliger Oppositionspolitik ohne klare Ansagen holt man schlussendlich niemanden ab. Durch seine prononcierte Art sei Kickl der Einzige, der Kanzler Sebastian Kurz gefährlich werden könnte.

"Es ist kein Geheimnis, dass ich eine konstruktive Rechtspartei gegenüber unsteter Fundamentalopposition bevorzuge", sagt Manfred Haimbuchner.

Kickl pflegt eine tiefe Abneigung zum türkisen Kanzler. Kurz war es, der nach dem Ibiza-Video Kickls Rücktritt als Innenminister forderte, um die Koalition aufrechtzuerhalten – worauf sich die FPÖ bekanntlich nicht einließ. Schon in der noch funktionierenden Koalition galt Kickl als der größte Skeptiker, was die ÖVP, ihre Führungsmannschaft, auch ÖVP-nahe Beamte im Innenressort betraf.

Kickls Gegner sagen: Der freiheitliche Radikalinski wolle spätestens seit dem Ende von Türkis-Blau die Partei gar nicht mehr zu neuer Stärke führen – davon habe er schließlich nichts, wenn eine Regierungsbeteiligung mit ihm nicht infrage kommt. Kickl reiche es, wenn er den "Narrensaum" stabil halte – und er seine Macht und Posten in der Partei absichern könne.

Nach Ibiza gerierte sich das Duo aus Hofer und Kickl noch als strategische Doppelspitze: der freundliche Freiheitliche und ehemalige Bundespräsidentschaftskandidat auf der einen Seite, der schonungslose Rechte auf der anderen. Doch es wurde recht schnell klar, dass die beiden nicht nur nach außen völlig andere Typen darstellen – sie konnten nicht miteinander.

Man könnte sagen: Auch Hofers Anfang vom Ende begann mit einem Tweet. Hofer, auch Dritter Nationalratspräsident, warf Anfang April jenen, die im Parlament keine Maske tragen, "Selbstüberhöhung" vor. Damit war ganz klar auch Kickl gemeint, ein entschiedener Gegner der neuen Hausordnung im Nationalrat. Doch der Parlamentsklub stellte sich hinter Kickl. Der offene Machtkampf begann.

Kurz darauf ließ sich FPÖ-Bundesrat Johannes Hübner in einem Podcast eines rechtsextremen Magazins über Hofers Ausritt aus – und stellte erstmals eine "Trennung im Vernünftigen" in den Raum. Wenig später machten dann auch noch Gerüchte die Runde, Hofer hätte mit Kurz über einen fliegenden Wechsel verhandelt. Hofer galt spätestens seit diesem Tag in der Partei als angeschlagen – das war im April.

Den Rest erledigte Kickl selbst. Mitte Mai gab er in oe24.tv bekannt, als Spitzenkandidat zur Verfügung zu stehen – und das blaue Katz-und-Maus-Spiel begann. Hofer, zu der Zeit in Reha wegen eines Bandscheibenvorfalls, konterte Kickl: "Wenn die Katze aus dem Haus ist, feiern die Mäuse Kirtag." Kickl schlug prompt zurück: Die Situation erinnere ihn an Tom und Jerry – eine ziemlich brutale Kindersendung, in der die Katze stets das Nachsehen hat. Auch Haimbuchner versuchte noch, Hofer mit einem spöttischen Machtwort zur Seite zu springen: "In Oberösterreich setzt man Katzen zur Mäusebekämpfung ein", erklärte er in Richtung Kickl.

Zermürbungstaktik

Rückblickend wird klar, dass Kickl ganz gezielt Stich um Stich gegen seinen Kontrahenten setzte. Parteiintern beschrieb man schon vor Wochen die Strategie des Klubobmanns so: Kickl werde Hofer so lange mürbe machen, bis dieser aufgebe. Genau so kam es auch – und Kickl hatte Erfolg.

Dabei ging der Kärntner ziemlich gevift vor. Am Tag, nachdem er seine Ambitionen für die Parteiführung kundgetan hatte, erklärte er, dass die Doppelspitze mit Hofer auch deshalb gebildet worden sei, damit sich dieser auf eine neuerliche Kandidatur für die Hofburg vorbereiten könne. Damit nahm Kickl den Pinkafelder de facto aus dem Rennen – obwohl die kommende Bundespräsidentschaftswahl erst 2022 ansteht. Und Hofer immer gesagt hatte, gegen Alexander Van der Bellen nicht noch einmal antreten zu wollen.

Wenig später legte Kickl Hofer den Rücktritt als Dritter Nationalratspräsident nahe, sollte er in der Asfinag-Causa angeklagt werden. Da geht es um den Verdacht der Geschenkannahme rund um die Bestellung eines Aufsichtsrats in der Zeit, als Hofer Minister war.

"Hofers persönliche Entscheidung nehme ich mit Respekt zur Kenntnis. Ich bin selbst bereit, nun meinen Beitrag zu leisten" , so Herbert Kickl.

Als letzten Schlag betonte Kickl, dass sich Hofer durch seine überparteiliche Rolle im Parlament aus der Tagespolitik herausgenommen habe. Die Auseinandersetzung mit der Bundesregierung sei jedoch notwendig und ein "überparteilicher Wahlkampf" ungeeignet, befand er. Eine Woche später war die Reha von Hofer zu Ende – und er trat zurück.

Groll und Gesundheit

Am Dienstag begründete Hofer seinen Schritt noch damit, sich nicht täglich ausrichten lassen zu wollen, "dass ich fehl am Platz bin". Dieses Statement war offen an Kickl gerichtet. Auf Facebook verabschiedete sich Hofer dann milder: Er resümierte seine Krankengeschichte, rückte seinen Gesundheitszustand in den Vordergrund. Diese Begründung griff auch Hofers interimistischer Nachfolger Harald Stefan in einer Pressekonferenz am Mittwoch auf – und verlor kein Wort über den Machtkampf.

Hofers Rücktritt kam für alle überraschend. Es war jedoch nicht das erste Mal, dass er spontan abtrat. Seine Kameraden im Burgenland können ein Lied davon singen. Seit der herben blauen Niederlage bei der burgenländischen Landtagswahl im Jänner 2020 ist Hofers Heimatlandespartei heillos zerstritten. Hofer übernahm den Landeschefposten, um die Lage zu beruhigen. Ein halbes Jahr später schmiss er hin. Sein Stellvertreter und späterer Nachfolger, Alexander Petschnig, erfuhr bei einer Landtagssitzung zwischen zwei Redebeiträgen per Anruf von Hofers Abgang. Hofers Gegner werfen ihm auch heute wieder vor: Er agiere labil und sprunghaft, Führungsqualität sehe anders aus.

Für Oberösterreichs Landesvize Manfred Haimbuchner kommt der Umbau im Bund zur Unzeit. Im September hat er eine wichtige Landtagswahl zu schlagen.
Foto: APA/KERSTIN SCHELLER

Entscheidend wird nun der nächste blaue Parteitag sein – nur dort kann ein neuer Obmann offiziell gewählt werden. Am Montag will die freiheitliche Führungsriege bekanntgeben, wann er stattfinden soll. Bis dahin leitet Stefan als ältester Vizebundesobmann die FPÖ. Der blaue Justizsprecher drängte sich nie in den Vordergrund, ist aber ein blaues Urgestein durch und durch. Der Notar war bereits als Student für die Freiheitlichen aktiv und bis 2018 Mitglied der extrem rechten Burschenschaft Olympia. Zu türkis-blauen Zeiten wurde er als Ministerkandidat für das Justizressort gehandelt. Ambitionen als Parteichef über die Übergangsphase hinaus sagt ihm niemand nach.

Manfred Haimbuchner: "Natürlich ist die Wahl eines Parteiobmannes in erster Linie auch eine Abstimmung über den Kurs der FPÖ."

Dem Vernehmen nach will Harald Stefan mit dem Parteitag keinesfalls ewig warten, auch nicht bis nach der Landtagswahl in Oberösterreich im Herbst. Ein früherer Termin käme Kickl im Kampf um die Parteispitze zusätzlich entgegen, weil sich Haimbuchner davor um die Wahl im eigenen Bundesland kümmern muss. Selbst will der Oberösterreicher nicht kandidieren. Auch er sagt: "Wir werden dem politischen Gegner sicher nicht den Gefallen tun, uns in den kommenden Monaten mit uns selbst zu beschäftigen."

Ein Gegenkandidat zu Kickl ist derzeit also nicht in Sicht. Wobei man aus dessen Umfeld hört: Man könne nicht ausschließen, dass Kickls Gegner noch jemanden aus dem Hut zaubern. Möglich sei alles. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, 5.6.2021)