FPÖ-Wahlwerbung muss jene erreichen, die Politik und Politikern mit Distanz begegnen – weil sie sich nicht verstanden fühlen.

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Linz – Dass die FPÖ Migration ablehnt und sich damit in weitestgehender Übereinstimmung mit ihrer Wählerschaft befindet, bedarf keiner besonderen Erörterung. Dieses Faktum ist schließlich auch durch viele Umfragen belegt. Das Ausländerthema reicht allerdings nicht aus, um das Milieu zu beschreiben, in dem der Nachfolger von Norbert Hofer um Anhängerschaft buhlen muss.

So zeigen die Umfragen, die DER STANDARD seit vielen Jahren durch das Linzer Market-Institut durchführen lässt, dass jene Wahlberechtigten, die sich zur FPÖ bekennen, in einem überdurchschnittlich hohen Maß von sich sagen, dass sie keine glücklichen Menschen sind. Im April, als dies zuletzt abgefragt wurde, sagten 24 Prozent der Freiheitlichen, dass sie überwiegend nicht als glücklich zu bezeichnen wären. Sechs Prozent nennen sich sogar völlig unglücklich – der Bevölkerungsschnitt für diese Aussage lag bei drei Prozent, und in der Gesamtbevölkerung bezeichnen sich auch nur 18 Prozent als überwiegend unglücklich.

Umgekehrt betrachtet: Nur 15 Prozent der Freiheitlichen, aber 21 Prozent der Grundgesamtheit deklarieren sich als rundum glücklich.

"Unter den FPÖ-Wählern findet man regelmäßig besonders viele Menschen, die weder Optimismus noch persönliches Glückgefühl bekunden", sagt Market-Institut-Leiter David Pfarrhofer – DER STANDARD berichtete das mehrfach.

Unglückliche Freiheitliche

In den Befragungswellen während der FPÖ-Regierungsbeteiligung 2018/19 war das etwas ausgeglichener, da hatte sich ein Teil der zur FPÖ-neigenden Befragten bei den Fragen nach Optimismus oder Pessimismus und persönlichem Glück oder Unglück auf die abwartende neutrale Position ("unentschieden" oder "weiß ich nicht") zurückgezogen. Seit Regierungsantritt von Türkis-Grün ist aber das alte Muster wiederzuerkennen, "da hat es gar kein Corona gebraucht". Anfang Februar 2020, Corona war für die meisten Österreicher eine weitgehend unbekannte Infektionskrankheit im fernen Asien, war nur jeder fünfte Wahlberechtigte, aber jeder zweite FPÖ-Anhänger ein Pessimist.

Im Auftrag des STANDARD erhob Market in den folgenden Monaten weitere Dimensionen der Grundhaltung von Wählerschaften – und stellte in vielen Bereichen eine deutlich von anderen Wählergruppen abweichende Ausrichtung der Freiheitlichen fest.

Anliegen zu wenig berücksichtigt

Im heurigen März wurde erhoben, ob in Österreich "Anliegen von Menschen wie ich selbst" zu wenig, angemessen oder zu stark berücksichtigt würden. Von den 800 Befragten sahen nur 21 Prozent ihre Anliegen zu wenig berücksichtigt, 69 Prozent empfanden ihre Interessen angemessen wahrgenommen, und drei Prozent meinten sogar, dass sie zu viel Aufmerksamkeit bekämen. Von den FPÖ-Wählern sagten aber 34 Prozent, dass ihre Interessen zu wenig berücksichtigt würden, nur 55 Prozent waren zufrieden. Diese Verteilung ist ähnlich wie bei den politisch Unentschiedenen – und dies ist das Segment der Wahlberechtigten, das die FPÖ bei Wahlen jeweils mehr oder weniger gut für sich aktivieren kann.

Dazu kommt ein allgemein großes Misstrauen gegenüber Politikern. In einer Umfrage im vergangenen Dezember – also vor den Auseinandersetzungen um die Vorgänge, die der Ibiza-Untersuchungsausschuss prüft – wurde einer (wie immer: repräsentativ zusammengesetzten) Stichprobe von 800 Wahlberechtigten die Aussage vorgelegt: "Ich glaube, dass die meisten Politiker, egal von welcher Partei, gute Absichten haben." Dies konnte mit Schulnoten von eins für völlige Zustimmung bis fünf für völlige Ablehnung bewertet werden. Von allen Befragten gab es die Durchschnittsnote 3,26 – nur 14 Prozent glauben gar nicht, dass die meisten Politiker gute Absichten haben. Ganz anders die Einschätzung durch FPÖ-Anhänger, von denen gibt es fast doppelt so oft einen Fünfer – und die Durchschnittsbeurteilung ist mit 3,84 noch schlechter als jene durch politisch Indifferente.

In derselben Umfrage wurde das Statement abgefragt: "Ich habe den Eindruck, dass sich Politiker im Allgemeinen dafür interessieren, was Menschen wie ich denken." Diese Volksnähe wird von 56 Prozent der Freiheitlichen rundweg bestritten – ein doppelt so hoher Wert wie im Bevölkerungsschnitt.

Ähnlich ist es, wenn man fragt, ob man genügend Mitsprachemöglichkeiten hat – da sagt jeder zweite FPÖ-Wähler, dass er gar keine habe.

Die FPÖ sei relativ gut darin, diese in hohem Maße unzufriedenen und sich unverstanden fühlenden Menschen, die zwischen Nichtwählen und zeitweiliger freiheitlicher Parteibindung schwanken, zu mobilisieren, sagt Pfarrhofer. Voraussetzung ist dabei, dass sie ein entsprechendes Angebot mache. Und das können in gewissem Maß auch andere Parteien machen. Die SPÖ, historisch aus der Vertretung der im 19. Jahrhundert weitgehend rechtlosen, unzufriedenen Arbeiterschaft entstanden, konnte speziell während der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz (ÖVP) zeitweise viele Pessimisten, Unglückliche und Unverstandene erreichen. Diese dauerhaft bei der Stange zu halten ist aber für jede Partei schwer. (Conrad Seidl, 7.6.2021)