Will, bitte, nicht Brecht spielen, sondern einen Tanzfilm drehen: Kathrin Angerer.

Foto: Luna Zscharnt

It's Showtime! Mit der steilen Behauptung, Hollywood hätte 1938 vorgehabt, Bertolt Brechts Theaterstück "Die Gewehre der Frau Carrar" zu verfilmen, öffnet René Pollesch in seiner Wiener-Festwochen-Produktion Tür und Tor zur beschwingten Glamourwelt der Filmindustrie. Schon beim Betreten des Saales im Theater an der Wien hebt dynamische Orchestermusik (vom Band) an. Auf der Bühne: Filmset-Betriebsamkeit. Eine Krankamera kreist um eine Bar, in der Stars mit Federboas ihre bunten Cocktails schlürfen.

Diese Stars sind heilfroh, dass hier nicht wirklich Brecht gespielt wird ("Ey, echt nicht!"), sondern ein Tanzfilm entsteht. Ein siebenköpfiger Tanzchor stiebt im Commercial-Style immer wieder über die Bühne. Die Stars indes sind auf dem Parkett noch nicht wirklich firm. Als Möchtegern-Stepptänzer legen Martin Wuttke und Thomas Schmauser zu Beginn des Abends an der Rampe eine Slapsticknummer allererster Sahne hin. Besser stürzen sieht man die Ränder ihres Berufs erforschende Mimen nirgends. Tanz wird zudem mit dem Thema Wrestling verbunden. Warum? Das steht nirgends geschrieben, passt aber zum fingierten Drehjahr 1938, als nämlich der populäre Schaukampf erstmals als Fake identifiziert wurde. Ein typischer Pollesch-Schachzug: Hol herein, was niemand erwartet!

Kathrin Angerers Grazie

Zudem nennt Pollesch sein Stück "Die Gewehre der Frau Kathrin Angerer". Damit löst der Volksbühnen-Regisseur und designierte Leiter der Berliner Kultbühne ein weiteres Prinzip seiner Arbeit ein, nach dem jede Inszenierung auch ein wenig Platz für die Star-Persona der Schauspielerinnen und Schauspieler schafft. Mit Kathrin Angerer ist es die durch einige Arbeiten am Burgtheater (zuletzt "Deponie Highfield", 2019) auch in Wien bekannte Volksbühnen-Darstellerin, deren Zusammenarbeit mit Pollesch im vergangenen Jahrzehnt zentral geworden ist und deren Grazie im auch noch so deftigen Auftritt ihresgleichen sucht.

Ihr vor allem gehört die breite Showtreppe mit Flutlicht, die von der Bar herabführt und auf der sie mit divenhaften Roben bedächtig ihre Schritte setzt und den reflektorisch über den Szenen schwebenden Text spricht. Es sind Gedanken über den hier am Set vorherrschenden Zustand: Gleichberechtigung, die gleich wieder unterhöhlt wird; Nicht-Erzählbarkeit von Biografien; Rivalität unter Filmstars ("Ich bestimme, wo du dich auf der Treppe positionierst!"); das Absterben von Szenen; die Umkehrung gegebener Konstellationen; die Flucht aus den eingefahrenen Narrationen.

Wortspiel "Filmdreh"

Dafür verwurstet die lebhafte, mitunter auch holprig inszenierte Aufführung (die Tanzszenen des Chors kommen nur so lala zur Geltung) Thesen und Situationen aus Büchern (z. B. Kenneth Angers "Hollywood Babylon") und Filmen wie "All about Eve" von Joseph Mankiewicz. Die vielschichtigen, manchmal unergründlichen Pollesch-Baupläne sind nach wie vor aufregend und inspirierend. Die Diskrepanz zwischen dem Wie und dem Was des Gesagten macht die Spannung aus.

Dafür sorgt auch das zentrale Wortspiel des Abends: Den Begriff "Filmdreh" hat Bühnenbildnerin Nina von Mechow wörtlich in ein mechanisches Bild übersetzt, denn die Bar samt ihren Möbeln und Flaschen dreht sich um die eigene Achse. Eingespannt in eine Maschine von Ulrich-Rasche-Ausmaßen rotiert sie bei Bedarf. "Wo wart ihr?", fragt Wuttke. "Wir haben gedreht", antwortet Angerer, nachdem sie mit ihrer "Zweitbesetzung" (Rosa Lembeck), goldglänzendem Silikonbier und Magnettüren kopfüber stand.

Gute Laune

Ein spektakuläres und sinnfälliges Bühnenbild wie einst jenes von Márton Ágh für Kornél Mundruczós Drama "Látszatélet / Scheinleben" bei den Festwochen 2016, eine der damals am meisten unterschätzten Inszenierungen.

Die maschinelle Bewegung "massiert" den Text. Dazwischen wechseln die Spieler aber wieder an die Rampe und frönen ihren Texthängern. Das Ringen um Worte entwickelt dabei seine eigene Kraft. Und bevor die Luft raus ist, fährt schneidige Filmmusik in beachtlicher Lautstärke in die Szene. Dramatik mit guter Laune – davon lässt man sich gern ins Theater zurücklocken. (Margarete Affenzeller, 6.6.2021)