Oft wird am Anwendungsfeld der Politik viel von unterschiedlichen Fachrichtungen herumgedoktert. Auch die Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen kann von der Allgemeinen- bis hin zur Differentiellen Psychologie Modelle liefern, um politische und vor allem politpsychodynamische Prozesse von mehreren Perspektiven fachlich zu beleuchten. Gerade das breite Feld der vielen politischen Gruppierungen liefert mannigfaltige Optionen die Lupe der Humanwissenschaft auszupacken. Anhand der drei stimmenstärksten Fraktionen im Nationalrat sollen einige paradigmatische Ansätze angedeutet werden.

Die Parteien auf der Couch.
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Die Familiendynamik der FPÖ

Verlässt eine Person eine Familie, dann hinterlässt erstere nicht nur ein emotionales Loch, sondern kann als Moderator- und vor allem Mediatorvariable im weitesten Sinne ausfallen. Dadurch kommt es oft zu Konflikten, die diese Person sonst als Blitzableiter, Ventil oder Vermittler verhindert hätte. In der freiheitlichen Familienaufstellung hatte Heinz-Christian Strache neben seiner Funktion als Parteichef eine nicht unwesentliche Rolle als psychodynamisches Element, welches die Partei vom ganz rechten bis zum moderateren wirtschaftsliberaleren Lager zusammenhielt. Ein Bindeglied und kraft seiner klaren Autorität als "Familienvater" ein ausgleichender Faktor, der bei Konflikten, wenn nötig, sein Gewicht zu deren Lösung in die Waagschale werfen konnte. Mit seinem Abgang hinterließ er ein Machtvakuum, welches bis heute besteht.

Der ewige Schattenmann in der zweiten Reihe, Herbert Kickl, machte erste Gehversuche als Nummer eins und dies scheint ihm zu gefallen. Fest steht, dass es für ihn an der Spitze nicht mehr möglich sein wird im Hintergrund alle Fäden zu ziehen und in aller Ruhe aus der Vogelperspektive die Auseinandersetzungen beobachten zu können. Selbst in den Ring zu steigen, ist etwas anderes als Trainer oder Berater zu sein. Sein aktueller Vorteil ist, dass es am Politspielfeld kaum Gegenüber gibt, die ihm mit ähnlicher Brachialrhetorik entgegentreten, aber irgendwann findet jeder seinen Meister. Vor allem dann, wenn es um Nehmerqualitäten geht.

Das Fremd- und Wunschbild der SPÖ

Die Sozialdemokratische Partei Österreichs befindet sich wie kaum eine andere Partei in einem tieferen inneren wie äußeren Konflikt. Selbst-, Fremd- und Wunschbild sind immer schwerer in Konvergenz zu bringen. Die Parteichefin sieht sich im Selbstbild als bürgernahe Sozialdemokratin. Die Wähler sehen sie, die es durch die Errungenschaften der Kreisky-Ära geschafft hat sozial aufzusteigen, aber - je nach Fremdbild der jeweiligen Wählergruppe - als Provokation und Spiegel dessen, was sie selbst nicht geschafft oder erreicht haben. Hinzu kommt dann noch das Wunschbild der SPÖ in dem diese sich schon, nach einem Absturz der neuen Volkspartei als stimmenstärkste Bewegung, nach dem Vorbild der Demokraten unter Joe Biden, im Kanzleramt sieht.

Nicht jedem ist bewusst, dass die eigene Einschätzung oftmals stark von der Wahrnehmung anderer abweicht. In der Psychologie spricht man in diesem Zusammenhang von Selbstbild-Fremdbild-Inkongruenz. Je differenzierter und selbstkritischer das eigene Selbstbild ist und je besser jenes mit den Fremdbildern übereinstimmt, desto wirkungsvoller können wir mit anderen umgehen. Verdrängt eine Partei aber offensichtliche Signale der Außenwelt und die damit verbundenen Fremdbilder der potenziellen Wähler, dann kann sie ihr Wunschbild der Rückeroberung des Kanzleramts kaum verwirklichen.

Die ÖVP und das Phänomen der Projektion

Wunschvorstellungen und Schemata prägen unser aller Leben. Erstere dienen als Motivation und letztere helfen uns die Komplexität der Realität zu reduzieren. Beide können aber zu Fehlschlüssen führen. Vor allem wenn wir unsere Wünsche auf Politiker projizieren. Dann werden nach geschlossenen Balkanrouten durch Lockdowns Wirtschaftskreisläufe unterbrochen und die "konsequente Linie" trifft nicht nur die anderen, sondern, wie ein Bumerang, uns selbst. Der Traum vom edlen Politiker wird schnell zum Albtraum für die einst geneigte Wählerschaft. Der Märchenprinz zeigt sich von seiner "schwarzen" Seite und die neue Volkspartei ist wieder ganz die alte Partei. Aber wer weiß, vielleicht geht das Märchen mit neuer Erzählung weiter. (Daniel Witzeling, 14.6.2021)

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