Der Widerspruch ist keiner. Meint jedenfalls Egon Theiner. Auch wenn das auf den ersten Blick vielleicht schwer verständlich scheint. Denn zum einen lud mich der Lauf- und Sportbuchverleger dazu ein, mit ihm gemeinsam eine Wettkampfstrecke zu laufen. Gleichzeitig zitiert der Mann, der in Österreich längst als Grandseigneur des Trail- und Ultralaufs gilt, aber immer wieder eine ganz zentrale Wahrheit des Jedermenschsportelns: "Der Wettkampf ist der Tod des Glücks."

Wie das zusammenpasst? Noch dazu unter einem Signet, dem seit Corona-Beginn praktisch die gesamte Ultra- und Geländelaufwelt nachrennt – und das per se schon für Wettkampf, Wettbewerb und Einander-Übertrumpfen steht?

Denn: Eindeutiger als "Fastest Known Time" kann man eine Challenge ja wohl kaum benamsen …

In dem Punkt ist auch Theiner bei mir. Trotzdem.

Philipp Reiter

Aber der Reihe nach: Der Begriff "FKT" – nur Nichtauskenner sagen oder schreiben "Fastest Known Time" ganz – fliegt jedem und jeder, der oder die sich nicht nur auf dem Asphalt bewegt, seit geraumer Zeit um die Ohren. Wofür das Kürzel steht, erklärt sich von selbst: Wenn es schon keine Wettkämpfe gibt (oder – je nach Gegend – gab), woll(t)en viele Läuferinnen und Läufer aus dem Alleinelaufen halt doch eine Challenge machen. Gerade "Klassiker"-Strecken bieten sich da ja an – auch wenn bei einem Solo andere Regeln gelten: Man kann zum bestmöglichen Zeitpunkt oder beim bestmöglichen Wetter laufen. Der Versuch ist wiederholbar. Auf schmalen Pfaden blockieren keine MitbewerberInnen den Weg.

Vergangenen Herbst erlebte ich so den FKT-Versuch eines der besten Trailläufer der Welt ein bisserl mit. Pau Capell wollte in Chamonix seine eigene (Wettkampf)-Bestzeit beim UTMB (noch so ein Kürzel – es steht für den "Ultra-Trail du Mont-Blanc", eins der berühmtesten Rennen überhaupt) unterbieten.

Thomas Rottenberg

Was aber auch in der Laufwelt (noch) nicht Allgemeinwissen ist: FKT ist mittlerweile ein Eventformat – und das gibt es auch in Österreich. Unter FKT Austria sind da – nach Bundesländern aufgeschlüsselt – zahllose Trailstrecken angeführt (und auch downloadbar), die nachzulaufen jeder und jede eingeladen ist. Die getrackten Läufe werden dann hochgeladen – und der und die Schnellste jeder angeführten Strecke gewinnen feine Preise.

Ob man alleine oder "unsupported" unterwegs ist, ist einem freigestellt – die Exaktheit der Strecken und die Plausibilität der Zeiten werden allerdings überprüft.

Eine feine Sache – aber im Grunde nichts, was viele Läuferinnen und Läufer, die sich Routeninspirationen von den zahllosen Routen-Apps holen, nicht ohnehin längst machen: Man lädt die Strecke auf die eigene Uhr, rennt sie dann nach – und hat im Hinterkopf dann doch oft ein paar jener Zeiten, die man auf Komoot, Strava & Co da schon gesehen hat.

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Was das mit Egon Theiner zu tun hat? Wenig. Oder doch viel: Egon und ich wollten schon lange endlich einmal gemeinsam laufen und dabei über all das plaudern, was es für uns beide bedeutet. Was uns antreibt, am Laufen hält, motiviert. Aber eben auch, wo und wie man die Balance zwischen dem eigenen Ehrgeiz und der Ansage, dass "Wettkämpfe der Tod des Glücks" sein können, findet.

Und natürlich auch über Egons Egoth-Verlag, seine Bücher und die Menschen, die sie schreiben – und auch lesen.

Nur haben wir das in all den Jahren, die wir einander nun schon kennen, nie geschafft. Nicht einmal, als wir 2018 gemeinsam in Addis Abeba beim "Great Ethiopian Run" waren: Da verloren wir einander schon vor dem Start in der Menge aus den Augen.

Philipp Reiter

Egal. Denn vor ein paar Wochen rief Egon an und sagte: "FKT – und keine Ausreden." Die Strecke dürfte ich aussuchen: "RUL" (also "Rund um den Lainzer Tiergarten") oder "U4–U4", also den Klassiker (genauer: eine der zahllosen Varianten davon) von Heiligenstadt durch den Wienerwald nach Hütteldorf beispielsweise. Und zwar im Drei-G-Modus: Genussvoll. Gemütlich. Gemeinsam.

Ich freute mich: "Klar, super, jederzeit."

Nur kam dann Corona dazwischen. Nicht als Krankheit, sondern als Option auf einen Ad-hoc-Impftermin. Dass ich den annahm, verstand Egon – und dass ich am Tag danach eher keinen 30-Kilometer-Trail laufen würde, auch: Dass ich nicht nur keine Nebenwirkungen, sondern auch die gängige Mattigkeit nach dem Jaukerl nicht spüren würde, konnte ich vorher ja nicht wissen.

theiner

Also saß ich zu Hause, statt zu laufen, und plauderte mit Egon Theiner eben per Videokonferenz. Über FTK, über das Wett- und Lustvolllaufen, über Bücher und die Regeln auf dem Trail – also über das, was uns beide gut durch das letzte Jahr gebracht hat: die Liebe zum Laufen. Und irgendwann werden wir das auch einmal gemeinsam tun. Nicht um zu sehen, wer der Schnellere ist – sondern um es zu genießen. (Thomas Rottenberg, 7.6.2021)

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