Auftakt zum österreichischen Filmfestival: Arman T. Riahi eröffnet mit seinem mit dem Max-Ophüls-Regiepreis prämierten "Fuchs im Bau" die Diagonale.

Foto: Golden Girls Film

Nach der Weltpremiere im Herbst in Warschau war Arman T. Riahi deprimiert, weil kurz danach der Lockdown verkündet wurde. Insofern gleicht die Diagonale-Eröffnung mit Fuchs im Bau in der Grazer List-Halle für ihn einer zweiten Uraufführung: "Ich werde einen Jubelschrei loslassen!" Nach der Pandemie, sagt der Regisseur, könne er noch viel klarer als davor sagen, dass er Filme fürs Kino macht. In Fuchs im Bau treffen zwei Lehrerpersönlichkeiten in einer Gefängnisschule aufeinander: Maria Hofstätter brilliert als die alteingesessene Berger, die mit Fuchs (Aleksandar Petrović) einen neuen "Assistenten" zur Seite bestellt bekommt – den "Rookie", der sich erst bewähren muss. Ein Gespräch über Diversität und den Utopiegehalt seiner Filme.

STANDARD: Diversität ist in der Filmwelt gerade in aller Munde. Fühlen Sie sich wohl in der Rolle eines Aushängeschilds?

Riahi: Mein Bruder Arash und ich sind damit gerade konfrontiert, weil wir im Juli die Gala des Österreichischen Filmpreises inszenieren. Bei der Pressekonferenz hat auch Stefan Ruzowitzky das Thema angesprochen. Man sei froh, dass wir das machen. Das hat ein wenig den Beigeschmack, dass man sich deshalb für uns entschieden hat, weil man kein Nachzügler sein will. Doch man muss niemandem vorwerfen, dass er in Sachen Diversität mitziehen will. Ich hoffe, wir sind durch unsere Arbeit ein gutes Beispiel – wir haben uns das ja selbst zu verdanken. Grundsätzlich stört mich die Hysterie bei diesem Thema ...

STANDARD: … die ein großes Spaltungspotenzial in sich birgt?

Riahi: Genau, alles wird auf dieses Schwarz-Weiß-Denken reduziert. Man sollte sich auf das Wesentliche konzentrieren: dass man Menschen inkludieren möchte, Minderheiten zu mehr Repräsentation verhilft. Sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen hilft nicht. Man muss auch nicht jedes Wort in die Waagschale werfen. Wenn meine Jugendlichen "Zigeuner" sagen, zeigt das eben, dass sie noch in den alten Schemata denken.

Filmladen Filmverleih

STANDARD: Sie selbst haben auch die Möglichkeit, mit Ihrer Rolle humorvoll umzugehen.

Riahi: Auf jeden Fall. Wir wollen auch nicht das tun, was die Mehrheitsgesellschaft von uns erwartet. Das wäre ja fad.

STANDARD: Resultiert die Erregung über Identitätspolitik nicht oft aus dem dahinter wirksamen Verteilungskampf?

Riahi: Den gibt es sicher auch. Aber für die Gender-Richtlinie der Filmförderung finden sich evidenzbasierte Zahlen, etwa was den Anteil der Filmemacherinnen bei Einreichungen betrifft. Natürlich geht es dabei auch um Qualität. Wenn ich mich bei meinen Projekten erst anzustrengen beginne, weil es neue Richtlinien gibt, dann habe ich es bisher zu gemütlich gehabt. Die Qualität muss immer passen – bei Genrefilmen übrigens genauso.

STANDARD: Zumal gutes Genrekino, Komödie, besonders schwierig ist.

Riahi: Umso interessanter, wenn es auch da zu Neuverteilungen kommt. Wir könnten auch intelligentere Komödien machen. Deshalb muss man den Verteilungskampf nicht unbedingt als etwas Negatives sehen.

STANDARD: Im Sinne von: Wettbewerb kann progressive Resultate zeigen?

Riahi: Ja. Ich sehe ohnehin eine neue Generation an Filmemachern am Start. Wir sind ein Teil davon und kämpfen bei jedem Film um die Finanzierung. Es war bei Fuchs im Bau nach dem Erfolg von Die Migrantigen nur um eine klitzekleine Spur einfacher. Manche hätten es lieber gehabt, wenn ich wieder mit einer Komödie gekommen wäre.

STANDARD: Sie haben es sich nicht einfach gemacht. Inwiefern sehen Sie den Film auch als Fortsetzung mit dem Thema Migration?

Riahi: Die Idee ist schon parallel zur Recherche von Schwarzkopf, meiner ersten Kinodoku von 2009, entstanden, als ich das erste Mal als Besucher in einem Gefängnis war. Mich haben der Ort und die Lehrerpersönlichkeiten fasziniert. Natürlich ist das Thema Migration für mich als Flüchtlingskind immer relevant, und wenn man etwas über Jugendstrafvollzug macht, muss man akzeptieren, dass 75 Prozent einen Migrationshintergrund haben. Das ist die demografische Wahrheit. Aber ich wollte nicht schon wieder von einem Teenager erzählen, der ein Problem damit hat, in Österreich aufzuwachsen.

STANDARD: Der Fokus liegt auf der Lehrerseite. Was verbinden Sie selbst mit diesem Beruf? Ihre Eltern waren auch Lehrer.

Riahi: Ich habe sehr gute Erinnerungen an meine Lehrer und lade etwa immer meine Volksschullehrerin zu den Screenings ein. Meine Eltern natürlich auch. In der Gefängnisschule war der Pädagoge der Justizanstalt Josefstadt, Wolfgang Riebniger, eines der Vorbilder. Er war immer bereit, die Jugendlichen zu fordern. Im Gefängnis geht kein Frontalunterricht. Du musst die Aufmerksamkeit der Jugendlichen bekommen. Er hat Literaten wie Fabian Burstein eingeladen.

STANDARD: Verschärfte Bedingungen für beide Seiten. Was benötigt man dafür?

Riahi: Die Zugänge sind individuell, aber man kann viel über das Lehrer-Sein an sich lernen. Ich habe mich gefragt, warum man Gefängnislehrer wird. Dann habe ich zwei Gründe gefunden: erstens, weil man glaubt, dass man der beste Pädagoge ist; oder man will etwas verbessern. Das ist nicht sozialromantisch, wie ich in einer Kritik schon lesen musste.

STANDARD:Es geht mehr um Charakterbildung statt Mathematik.

Riahi: Die Kreativität wird zum Eintrittspunkt, zur Möglichkeit, etwas aus den Kids herauszulocken. Deswegen ist das für mich offensichtlich, nicht sozialromantisch. Es funktioniert. Das machen sie sogar mit Erwachsenen. Das heißt natürlich nicht, dass sie Gandhi sind, wenn sie entlassen werden. Es geht um Resozalisierung. Sonst hat es ja keinen Sinn, Jugendliche ins Gefängnis zu stecken.

STANDARD: Müssen sie trotzdem manchmal damit kämpfen, dass die Filme nicht zu erhebend, ja positiv werden?

Riahi: Bei jedem Film. Wir leben ja im Land der Feel-Bad-Movies. Aber ich habe keine Angst davor, Hoffnung zu spenden.

STANDARD: Wie in der utopischen Szene, in der die Lehrer eine Tür ausreißen und ins Klassenzimmer schleppen?

Riahi: Ich muss korrigieren: Die Tür hat der Riebniger wirklich ins Gefängnis gebracht, er hat sie nur nicht selber ausgeschlagen. Natürlich könnte man das streichen. Ich habe es im Schnitt sogar ohne diese Szene probiert. Aber ich brauche im normalen Leben auch eine Utopie. Ich brauche das Märchen. (Dominik Kamalzadeh, 8.6.2021)