Ilkim Erdost: "Wir reden bei den betroffenen Jugendlichen nicht über einen gewalttätigen Mob."

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Nach mehr als einem Jahr Pandemie drängen junge Menschen ins Freie, um zu feiern. Dass Politik und Polizei nun von den Ansammlungen überrascht sind, kritisiert Ilkim Erdost, Geschäftsführerin der Wiener Jugendzentren.

STANDARD: Warum polarisieren die Jugendlichen, die am Donaukanal und auf dem Karlsplatz feiern, dermaßen?

Erdost: Es sind nicht die Jugendlichen. Wir müssen hier immer unterschiedliche Szenen und Gruppierungen unterscheiden. Natürlich suchen junge Menschen nun Freizeitmöglichkeiten, und einige nehmen auch attraktive Plätze für sich in Anspruch. Dazu kommt, dass durch die Sperrstunde um 22 Uhr alle gleichzeitig ins Freie strömen. Dass es dann zu Ansammlungen kommt, sollte eigentlich niemanden überraschen, auch nicht die Polizei.

STANDARD: Sie sprechen die polizeiliche Räumung auf dem Karlsplatz an. Wie bewerten Sie das Vorgehen?

Erdost: Ich frage mich schon, warum man sich auf Ruhestörungsklagen bezieht, wenn nicht Gefahr in Verzug ist. Die gibt es von Anrainern immer – selbst bei Ballspielplätzen. Wir reden bei den betroffenen Jugendlichen nicht über einen gewalttätigen Mob. Alle Gruppen sollten gleichermaßen Teil des öffentlichen Raums sein dürfen.

STANDARD: Wenn die Partys für Sie nicht überraschend sind: Was hätte man im Vorfeld tun können?

Erdost: So lange zuzuschauen, bis die Situation aus Sicht der Sicherheitskräfte gefährlich ist, ist eine eigenartige Strategie. Entweder man ermöglicht Menschen, unter kontrollierten Bedingungen zu feiern. Orte gibt es dafür in Wien genug, das müsste man nur vorbereiten. Oder man schafft kontrollierte Bedingungen auf den hochfrequentierten Plätzen. Das geht vom Bereitstellen von Testmöglichkeiten bis dahin, Orte in verschiedene Zonen zu unterteilen, um Gedränge zu verhindern.

STANDARD: Das Lockdown-Ende war absehbar, auch letzten Sommer waren Donaukanal und Karlsplatz ja schon Party-Hotspots ...

Erdost: Richtig. Trotzdem hinkt man mit den Maßnahmen ständig hinterher. Politik und Polizei haben nicht antizipiert, wie sich die Menschen verhalten werden.

STANDARD: Sie sagen, durch die Verlegung der Sperrstunde wird sich das Problem entspannen. Warum?

Erdost: Weil weniger Leute gleichzeitig zur selben Uhrzeit in den öffentlichen Raum strömen. Das soll aber nicht heißen, dass man nicht mehr nachdenken soll, wie man Angebote gezielt schaffen kann, damit Jugendliche feiern können.

STANDARD: Was bringen Initiativen wie "Informieren statt Strafen", bei denen Jugendarbeiter im öffentlichen Raum Präsenz zeigen?

Erdost: Wir richten uns hier nicht an die Partyszene, sondern suchen Kontakt zu Jugendlichen, die ein Freizeitangebot suchen. Im Umgang mit Feiernden braucht es wieder andere Konzepte. Zum Beispiel die schon angesprochene Zurverfügungstellung von Raum. (Rosa Winkler-Hermaden, 8.6.2021)