Wenn’s läuft, dann läuft’s: Schritt für Schritt hat Herbert Kickl seine Machtübernahme in der FPÖ vorbereitet – und dann noch unverschämtes Glück gehabt. Weil der von Sticheleien und Krankheit geplagte Parteichef Norbert Hofer überraschend früh das Feld räumte, waren Kickls potenziell gefährlichsten Rivalen die Hände gebunden. Vor seiner Landtagswahl im September kann sich Oberösterreichs Vizelandeshauptmann Manfred Haimbuchner keine bundespolitischen Ambitionen leisten.

Der designierte FPÖ-Chef Herbert Kickl.
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In der Sitzung des Parteipräsidiums am Montag mag Kickl manche Stimme deshalb nur mangels Alternative bekommen haben – der Herzen der blauen Kernschicht darf sich der 52-Jährige hingegen sicher sein. Kein anderer bedient derart virtuos und hemmungslos jenes Stammpublikum, das die FPÖ trotz aller Spaltungen und Skandale über Wasser hielt. Wer sich schon bisher benachteiligt gefühlt hat, findet sich seit der Corona-Krise umso mehr in Kickls zornigen Tiraden gegen das Establishment wieder.

Aus blauer Perspektive also eine Idealbesetzung? So eindeutig sind die Verhältnisse nicht. Zweifellos wird der rhetorisch wie demagogisch Begabte viele der 235.000 Ex-Wähler zurückgewinnen, die bei der Post-Ibiza-Wahl 2019 daheim geblieben sind. Noch mehr aber sind zur ÖVP abgewandert – in dieser gemäßigteren Gruppe ist Kickls extrarabiater Stil nicht unbedingt ein Bringer. Das macht einen neuerlichen Siegeszug schwieriger: Im Kampf um (ausländerfeindliche) Rechtswähler hat die FPÖ heute mit Sebastian Kurz einen stärkeren Gegner als zu Zeiten von Jörg Haider und Heinz-Christian Strache.

Und selbst wenn die Rechnung aufgeht: was dann? Auf kurz oder lang wird auch Kickl vor jenem Dilemma stehen, mit dem sich rechtsextreme und -populistische Parteien in vielen Ländern Europas herumschlagen.

Sprengsatz für die Koalition

Kräfte wie die FPÖ florieren dann, wenn sie ohne große Rücksicht auf den Realismus eigener Versprechen gegen "die da oben" anschreien können. Doch immer nur Dampf abzulassen ist weder für die Funktionäre noch für die Anhänger erfüllend. Wer sich vom "System" hintergangen fühlt, will es ins Wanken bringen – oder zumindest in Form von lukrativen Posten daran teilhaben. Sobald diese Parteien aber in Regierungen eintreten, enttäuschen sie die selbstgeschürten hohen Erwartungen: weil Koalitionen Kompromisse verlangen, weil vieles schlicht illusorisch ist.

So hat das die FPÖ Anfang des Jahrtausends erlebt, als sich die blaue Basis von der "eigenen" Regierung bald betrogen fühlte und beim Aufstand von Knittelfeld den Sprengsatz für die Koalition mit der ÖVP legte. Kaum anders wäre es wohl bei der Neuauflage ab 2017 gekommen, hätte der Ibiza-Skandal diese nicht vorzeitig beendet. Denn wie hätten die Freiheitlichen seriös die Pandemie bekämpfen können, wenn sie gleichzeitig Anhängern im Wort sind, die hinter Anti-Corona-Maßnahmen von langer Hand geplante Knechtschaft wittern?

Im Fall Kickls kommt noch ein besonderer Aspekt dazu. Zwischen ÖVP-Chef Kurz und ihm liegt derart viel verbrannte Erde, dass eine Koalition unmöglich scheint. Doch selbst wenn sich da trotz aller Animositäten ein Weg auftun sollte, wird Kickl die Geister, die er mit Radauopposition weckt, nicht los: Je mehr er mit dieser Linie Erfolg hat, desto weniger taugt die FPÖ als Partner für eine krisenfeste Regierung. (Gerald John, 7.6.2021)