Der 7. Juni 2021 war ein besonderer Tag für Herbert Kickl. An diesem Datum ist er zumindest formal im übertragenen Sinne vom einstigen Lehrling zum Meister avanciert. Auffällig für den Rabauken und Agent Provocateur der FPÖ in seiner Rede im Rahmen einer Pressekonferenz war neben den klassischen Seitenhieben auf politische Gegner der bewusste Fokus auf positive und versöhnliche Worte sowie auf seine Entwicklung an der Seite von Jörg Haider. Dieser war nach der Spaltung der Partei in die alte Freiheitliche Partei Österreichs und das Bündnis Zukunft Österreich - kurz BZÖ - damals der Gottseibeiuns für den neuen Mann an der Spitze des dritten Lagers. Umso verwunderlicher, dass der nunmehrige Klubobmann und einstige Innenminister so stark seine Parallelen im politischen Leben und die damit zusammenhängende Zusammenarbeit oder besser gesagt Zulieferarbeit für den verstorbenen Kärntner Landeshauptmann betonte. Will Kickl etwa versuchen in die großen Fußstapfen des promovierten Juristen zu treten? Ein guter Grund, um eine psychodiagnostische Analyse der Profile der beiden Repräsentanten der freiheitlichen Gesinnungsgemeinschaft vorzunehmen.

Herbert Kickl: Die Erwartungen an ihn sind groß.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Exploration der biographischen Verhaltensspuren

Elternhaus:
Haiders Eltern kamen aus unterschiedlichen Bildungsschichten. Sein Vater Robert war Schuhmacher und seine Mutter war die Tochter eines Gynäkologen und Primararztes. Kickl wuchs in einer klassischen Arbeiterfamilie auf. Im Unterschied zum ehemaligen Innenminister stammt Haider eher aus einem gutbürgerlichen Elternhaus, was in puncto Selbstsicherheit aufgrund des sozialen Status durchaus von Vorteil sein kann.

Politgenese:
Haider, der gebürtige Oberösterreicher, übernahm die Kärntner Landespartei und begann, gestützt auf eine starke Basis in der Provinz, den Marsch in Richtung Wien. Kickl, der gebürtige Kärntner, verdiente sich zwar seine ersten Sporen unter dem früheren FPÖ Chef, entschied sich bei der Spaltung des dritten Lagers in FPÖ und BZÖ bei der historisch älteren Bewegung zu bleiben und fing seine wahre Politkariere von Wien aus als Generalssekretär an und kehrte Kärnten den Rücken. Haider blieb seiner Wahlheimat immer treu.

Ausbildung & Intelligenz:
Haider war promovierter Jurist während Herbert Kickl maturierte und sein Studium der Philosophie nicht abgeschlossen hat. Ein abgeschlossenes Studium muss, so wie gute Noten in der Mittelschule, nicht zwangsläufig etwas über die kognitiven Voraussetzungen eines Menschen aussagen. Jedoch dürfte der Jurist Haider über eine spezielle Mischung aus fluider und durch sein Studium erworbener kristalliner Intelligenz verfügt haben. Kickl ist sicher in Bezug auf seine fluide Intelligenz und hier im Speziellen bezüglich seiner verbalen Leistungsfähigkeit in der Lage bestimmte Defizite rund um seine mangelnde akademische Qualifikation zu kompensieren.

Jörg Haider blieb seiner Wahlheimat immer treu.
Foto: Matthias Cremer

Soziale Kompetenz & Körperbewusstsein:
Haider wie Kickl präsentierten sich gerne betont sportlich und fit. Ganz im Sinne "mens sana in corpore sano" sprich "ein gesunder Geist in einem gesunden Körper". Wobei es ersterem leichter gelang ein positives biophiles Bild von einem Spitzbuben, der es aber gut meint, zu zeichnen. Letzterer kommt eher asketisch und weniger lustbetont daher. Ebenso sieht es mit dem Charisma aus. Haider gelang es bei breiten Schichten vom Akademiker bis hin zu den Arbeitern geliebt und bewundert zu werden. Kickl konnte scheinbar bis dato nur bei den Hardcore-FPÖ-Fans punkten. Seine empathischen Persönlichkeitsmerkmale wird er in Zukunft mehr zur Geltung bringen müssen, wenn er wirklich große Wahlerfolge als Spitzenkandidat einfahren will.

Kreativität:
Haider konnte Utopien sowie Dystopien an das mentale Firmament seiner Wähler projizieren. Diese Mischung aus positiven und negativen Facetten seiner Existenz machte ein wesentliches Element seiner mentalen Wandelbarkeit aus. Er kreierte so ein spezielles Wirkungsprofil mit einer speziellen Würze bei Wahlkämpfen, die bis heute unerreicht ist. Sein einstiger Schüler wird noch unter Beweis stellen müssen, dass er nicht nur eindimensionale Kampagnen und was noch viel wichtiger ist eine positive Zukunftsvision erschaffen kann. Kickls größte Stärke liegt bis heute beim Aufzeigen von Defiziten der anderen. Die Frage ist, wie er selbst mit derartigen negativen Kampagnen umgehen kann und ob er selbst schon in den Spiegel der Erkenntnis geblickt hat.

Conclusio: Thunder on the right versus Alpen-Trump

Der neue Mann an der Spitze der Blauen wird seine kognitive aber vor allem emotionale Bandbreite demonstrieren und kultivieren müssen. Die Erwartungen an ihn sind groß. Wenn er bei Wahlen nicht liefert, könnte ihn das gleiche Schicksal aus der zweiten Reihe ereilen, wie seinem Vorgänger Norbert Hofer. Leicht wird es sicher nicht werden. Dieser Tatsache ist sich der Marathonläufer und zähe Kickl mehr als bewusst. Die Frustration über und die Folgewirkungen der Corona-Maßnahmen der Bundesregierung werden ihm, so wie die Schwäche der SPÖ Spitzenkandidatin bei der kantigen Oppositionsarbeit, in die Hände spielen. In gewisser Form könnte er zu einem kleinen Alpen-Trump nur ohne Milliarden mutieren. Sein Ego, welches in vergangenen Zeiten ein kleines Pflänzchen war, dürfte sich langsam in Richtung jenes von Donald Trump entwickeln. Ob dies so vorteilhaft ist, ist eine andere Frage. (Daniel Witzeling, 9.6.2021)

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