Eine Demonstration am Wiener Karlsplatz gegen Gewalt an Frauen – zwei Tage später verkündete die Regierung, dass 24,6 Millionen Euro zusätzlich in den Bereich Gewaltprävention, Täterarbeit und Opferschutz fließen sollen.

Foto: Robert Newald

Nicht weniger als die "größte Gewaltschutzoffensive seit Jahrzehnten" sehen Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP), aber auch die grüne Frauensprecherin Meri Disoski in dem Mitte Mai zugesagten Plus von 24,6 Millionen Euro. Fließen werde das Geld unter anderem in einen Ausbau der Familienberatungsstellen, einen Ausbau der Familiengerichtsbarkeit, in Täterarbeit, Prozessbegleitung sowie in Gewaltschutzeinrichtungen, wie Raab und Justizministerin Alma Zadić (Grüne) damals ausführten.

Vermisste Mitsprache

Bevor Raab, Zadić, aber auch Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) vor die Presse traten und das zusätzliche Budget verkündeten, kamen sie an einem runden Tisch zwei Stunden lang mit Vertreterinnen und Vertretern von Opferschutzeinrichtungen, Gewaltschutzorganisationen, Männerberatungsstellen und anderen Institutionen aus dem Bereich zusammen.

Vertreterinnen von Gewaltschutzeinrichtungen kritisieren nun, dass sie nicht gehört wurden und werden – sie fordern nicht nur mehr Geld für ihre Bereiche, sondern auch mehr Expertise in den Ministerien. Man habe ein wenig gewartet, weil man schauen wollte, "ob da noch was kommt", sagt Rosa Logar, Geschäftsführerin derInterventionsstelle Wien. Das sei allerdings nicht eingetreten, deswegen müsse man nun laut Kritik üben.

Forderung von 228 Millionen bleibt aufrecht

"Wann und wie die versprochenen Mittel zur Anwendung kommen, ist bis jetzt nicht klar", sagte Klaudia Frieben, Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings. Es habe seit der Millionenzusage zwei "Calls" gegeben – Projektausschreibungen. "Wir wissen nicht, ob es das war oder ob da noch mehr kommt", sagt Frieben.

Dass es sich bis jetzt nur um Projektförderungen handle, sei bedauerlich, sagen Logar und Frieben. "Für uns ist das so nicht akzeptabel." Dass ein Großteil der Mittel in das Feld kulturell bedingter Gewalt fließen soll, sei außerdem nicht verständlich, so Frieben. "Es handelt sich nicht um eine Kulturfrage, sondern um das Ergebnis patriarchaler Strukturen." Man halte fest an der Maximalforderung von 228 Millionen Euro. Ganz allgemein würden die Institutionen, die im Gewaltschutz tätig sind, Basisfinanzierung benötigen und keine Projektförderung. Keine Organisation könne auf diese Weise längerfristig planen, sagt Frieben.

Beispiel Frauenhäuser

Was notwendig wäre, führten gleich mehrere Vertreterinnen unterschiedlicher Organisationen aus. Für die Frauenhäuser, "lebensrettende Einrichtungen", bräuchte es zusätzliche 4,6 Millionen Euro jährlich, sagt Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF). "Wir sagen immer, die Frauenhäuser sind Intensivstationen für gefährdete Frauen. Gäbe es sie nicht, gäbe es noch mehr Femizide."

Bei den AÖF ist außerdem die Frauenhelpline angesiedelt. Obwohl es die Nummer schon jahrelang gebe, sei sie vielen noch nicht bekannt, sagt Rösslhumer. Um das zu ändern, brauche es 50.000 Euro für Öffentlichkeitsarbeit, nennt sie ein weiteres Beispiel. Mehr Bewusstseinsarbeit brauche es außerdem für Medien, auch hier könne man zusätzliches Geld für Schulungen benötigen. Einen Online-Leitfaden für verantwortungsvolle Berichterstattung gibt es auf der AÖF-Website bereits.

Überfällige Anpassungen

Problematisch ist laut Rosa Logar außerdem, dass das Maßnahmenpaket längst überfällige Valorisierungen durch die Hintertür ermögliche. Die Förderung der Familienberatungsstellen sei ein Beispiel dafür, seit Jahren seien hier die Stundensätze nicht erhöht worden – dass das nun passiere, sei zwar gut. "Aber nicht aus einem Paket, das Gewaltschutzpaket heißt." Es handle sich deswegen mehr um eine Mogelpackung. Ähnliches passiere im Bereich er Prozessbegleitung: Längst überfällige Erhöhungen passieren nun durch dieses Paket, meint Logar. Mit Gewaltschutz habe das aber nichts zu tun.

Wenig Hoffnung

Auch die Obfrau des Vereins Feministische Alleinerzieherinnen, die Vorsitzende des Netzwerks Frauen- und Mädchenberatungsstellen – für den Bereich seien die Förderungen seit 2013 nicht mehr erhöht worden – und die Obfrau von One Billion Rising Österreich lieferten am Dienstag konkrete Beträge, die es für eine nachhaltige Arbeit in ihrem Bereich brauche. Einstweilen passiert ein Großteil ihrer Arbeit ehrenamtlich. Die Expertise der Gewaltschutzexpertinnen müsse endlich mehr einfließen. Das sei beim aktuellen Paket nicht passiert, auch wenn es einen runden Tisch gegeben habe – da sei bereits alles beschlossen gewesen, sagt Logar. Sie sei aber nicht sehr hoffnungsvoll. "Außer zu sagen, wir bleiben in Kontakt, ist da nichts gekommen." Und in Kontakt sei man im Übrigen eben auch nicht geblieben bis jetzt.

Expertise in Ministerien

Damit ist Logar schon bei einem weiteren Punkt: Notwendig sei nicht nur eine nachhaltige Basisfinanzierung für Gewaltschutzorganisationen, sondern auch entsprechende Expertise in Ministerien und eine Koordinierungsstelle für das Thema. Aktuell beackere eine Frau im Frauenministerium alles – das sei viel zu wenig, da es sich ja um eine Querschnittsmaterie handle. "So kommen wir nicht zusammen. Was es braucht, ist eine evidenzbasierten Politik", so Logar.

Fokus auf Männerarbeit zu stark

Im Maßnahmenpaket wird die Gewaltprävention bei Männern deutlich gestärkt: Mit rund 8,6 Millionen soll es künftig mehr Antigewalttrainings für verurteilte Gewalttäter, Kampagnen gegen Männergewalt sowie Täterarbeit geben. Das stößt den Vertreterinnen der Gewaltschutzorganisationen sauer auf. "Wir wollen nicht gegeneinander ausgespielt werden", betont Logar zwar. "Aber dass Männerberatungsstellen mehr Geld bekommen? Da läuft doch etwas schief." (Lara Hagen, 8.6.2021)