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Durch Big Data liegen für viele Bereiche des öffentlichen Lebens entsprechende Daten vor, um evidenzbasiert Entscheidungen zu treffen, was einer effektiveren Politik dienen kann.

Foto: Picturedesk.com / Eyevine / Ou Dongqu Xinhua

"Politik bedeutet ein langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich", schrieb der deutsche Soziologe Max Weber. Erfahrungsgemäß siegt aber meist die Leidenschaft: Politische Entscheidungen werden häufig ideologisch, parteitaktisch oder aus persönlichem Kalkül getroffen.

In der Vergangenheit mag das auch daran gelegen haben, dass zu wenige Informationen über die jeweilige Situation vorlagen, um in der Politik den kühlen Kopf einzusetzen. Im Zeitalter von Big Data kann das aber keine Ausrede mehr sein: In zahlreichen Bereichen des öffentlichen Lebens liegen umfassende Datensätze vor, die nur auf ihre Auswertung warten und daher als Fundament einer evidenzbasierten und somit möglicherweise effektiveren Politik dienen könnten.

Mit dieser Angelegenheit beschäftige sich auch unlängst in Wien eine Konferenz mit dem Titel "Evidence-based Policy Making" – gemeinsam abgehalten vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo), dem Institut für Höhere Studien (IHS) und der Central European University (CEU).

Daten sind politisch

Ulrike Plettenbacher, Direktorin des CEU Austria Campus, betont, welcher Diskussionsbedarf in dieser Sache noch besteht – eine einzelne spezielle Form der Datenauswertung könne es nicht geben: "Auf der einen Seite brauchen wir öffentliche Daten, um zum Beispiel die Bevölkerung über Gesundheitsfragen während Covid zu informieren. Andererseits müssen wir den Schutz von sensiblen Daten diskutieren."

Einen differenzierten Blick auf das Thema mahnt auch Barbara Prainsack, Leiterin des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Wien, ein: "Ich möchte der Annahme widersprechen, dass Daten ein neutrales Ding sind, das die Welt repräsentiert. Daten sind sehr politisch, und zwar nicht nur in dem Sinn, dass sie repräsentieren, was in der Welt passiert, sondern auch, dass der Prozess der Datafizierung bestimmte Dinge verändert und Daten intervenieren."

Kooperationen fördern

Daher müssen die vorliegenden Daten auch immer wieder neu analysiert und kontextualisiert werden. Die zahlreichen internationalen wie interdisziplinären Kooperationen, die vor allem anlässlich der Pandemie aufgekommen sind, sollten auch in Zukunft weiter gefördert werden: "Es ist notwendig, diese Initiativen zu unterstützen, damit sie Wurzeln schlagen und weiter wachsen", sagt Prainsack.

Die Notwendigkeit von professioneller Datenerhebung betont Tobias Thomas, fachstatistischer Generaldirektor der Statistik Austria, ebenso: "Im Zeitalter von Social Media haben wir jetzt die Situation, dass jeder Informationen zum Preis von null verbreiten kann."

Auf der einen Seite sei das natürlich ein wesentlicher Beitrag zur Informationsfreiheit und Kommunikation für Einzelne, aber es bilde auch das Risiko, dass Fake-News und "Alternative Fakten" schneller und weitreichender veröffentlicht werden. Thomas hofft deshalb, dass sich Wissenschafter auch in Zukunft medial noch mehr engagieren.

Fakten auswerten

Wie sich dagegen die wirklichen Fakten auswerten lassen, führten die Tagungsteilnehmer in zahlreichen Beispielen vor: Neben der Präsentation von neuen mathematischen Analysetools wurde auch gezeigt, wie solche theoretischen Modelle in konkreten Situationen angewendet werden können.

Mithilfe welcher Indikatoren schnellere wirtschaftliche Prognosen getroffen werden können, ist eine Frage, die Klaus Weyerstrass vom IHS beschäftigt: Gerade in einer krisenbedingt äußerst dynamischen wie der derzeitigen Situation sei es schwierig, sich für präzise Vorausschauen auf Wirtschaftsdaten zu berufen, die in der Regel bloß monatlich oder gar pro Quartal veröffentlicht werden. Eine schnellere Analyse wäre aber möglich, wenn man auch mit Variabeln wie dem Stromverbrauch oder Mobilitätsdaten kalkulieren würde.

Wie sich durch die entsprechende Datenanalyse möglicherweise die EU-Subventionen effektiver verteilen ließen, dazu forscht Julia Bachtrögler-Unger vom Wifo. Sie veranschaulicht das anhand eines Datenvergleichs von zwei der größten Förderprogramme der Europäischen Union: Horizon 2020 und ERDF. Durch eine Datenanalyse lasse sich detailliert bestimmen, in welche Regionen die Förderungen fließen, wo es zu Überlappungen komme, aber auch wo eine solche doppelte Subventionierung Sinn ergebe.

Mihály Fazekas von der CEU blickt wiederum auf einen anderen Kontinent: Mithilfe einer entsprechenden Big-Data-Analyse der Preisentwicklung von Arzneimitteln und dem medizinischen Zubehör der einzelnen Staaten Südamerikas ließen sich Marktentwicklungen früher prognostizieren: Das könne der Politik helfen, um bei der Anschaffung frühzeitig zu reagieren – und so Menschenleben zu retten.

Evidenz und Emotion

Dass es bei all diesen produktiv zu machenden Zahlen und Fakten aber am Ende eben um viele einzelne Personen geht, die sich nicht so leicht in eine Computerkalkulation einfügen lassen, darauf verweist Anna Durnová vom IHS: Institutionen neigen ihr zufolge oft dazu, individuelle Gefühle nicht zu berücksichtigen: "Die Emotionen des Individuums werden als zu naiv und chaotisch angesehen, um in den Regierungspraktiken der Institutionen berücksichtigt zu werden."

Da jedoch politische Diskurse auch immer von menschlichen Gefühlen geleitet sind, müsse eine evidenzbasierte Politik nicht nur die Zahlen der Ökonomen, sondern auch die Analysen der Soziologie und der Kulturwissenschaft berücksichtigen. In einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung schwebt schließlich keiner rein rational über den Dingen. Durnová: "Seien Sie vorsichtig mit dem Gegensatz Emotion versus Expertise. Es gibt immer legitimierende Fakten auf beiden Seiten des Konflikts." (Johannes Lau, 15.6.2021)