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Foto: getty / lilly 3

Der Bürgermeister von Brunndorf hat eine junge Familie bei sich. Sie möchte sich ihren Traum vom Eigenheim erfüllen. Am liebsten im Grünen, wo die Kinder schnell zum Spielen im Wald sind. Der Bürgermeister ist mit dem Vater in der Feuerwehr, man kennt einander, gerne würde er der Familie helfen. Denn ziehen sie weg, kostet das die Gemeinde auch Geld. Aber es hilft alles nichts, denn dem Bürgermeister gehen die Flächen aus. Um neues Bauland zu widmen, müsste er teure Zertifikate von anderen Gemeinden zukaufen. Fast 50.000 Euro würde das kosten. Das Geld ist aber schon für den Beachvolleyballplatz reserviert.

Ob nicht die Fläche hinter dem Bäcker im Ortszentrum für sie interessant wäre? Dafür sind keine Zertifikate notwendig, denn Bund und Länder wollen die Innenentwicklung fördern. Das soll den Ortskern beleben und wertvolle Ackerböden der Landwirtschaft überlassen. Die Geschichte aus Brunndorf ist erfunden – aber dass Bauland künftig ein kostbares, knappes Gut wird, das könnte durchaus Realität werden. Aber wie würde das funktionieren?

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Zersiedelung ist nicht nur ein Problem in Österreich, wie dieses Foto aus Huenxe in Nordrhein-Westfalen zeigt.
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Österreich wird zugebaut. Das ist keine Nachricht mehr, eher schon ein Gemeinplatz, den man schulterzuckend zur Kenntnis nimmt. Für Mensch und Natur ist das eine Katastrophe, denn ist Boden einmal versiegelt, geht er für Landwirtschaft, Tiere und Pflanzen und als Erholungsraum verloren. Es lässt sich dort nichts mehr anbauen, er speichert kein Wasser mehr, bindet keinen Staub, kühlt nicht, sondern heizt – und vielen Tieren geht der Platz aus, sie sterben aus. Einmal zersiedelt, folgen Straßen, Autos, Lärm und Feinstaub.

Obwohl das Bewusstsein in Österreich gestiegen und der Bodenverbrauch gesunken ist, wird fünfmal so viel Boden verbraucht wie eigentlich gewollt. Langfristig soll wie bei den CO2-Emissionen unterm Strich die Null stehen. Zusätzliche Flächen sollen irgendwann nur mehr bebaut werden, wenn alte Flächen, wie eine Industriebrache, renaturiert werden.

Handel wie mit CO2

Nimmt die Politik das Problem Bodenverbrauch künftig genauso ernst wie CO2-Emissionen, könnte auch die Lösung ähnlich aussehen. Denn wer in der EU ein Kohlekraftwerk betreibt oder eine Airline, die etwa von Wien nach Mallorca fliegt, braucht dafür CO2-Zertifikate. Die Firmen können mit den Papieren handeln. Wer wenig Emissionen verursacht, wie der Autohersteller Tesla, kann sie verkaufen und Milliarden verdienen. Wer viel emittiert, muss zukaufen. Alle haben den Anreiz, sparsam mit CO2 umzugehen, und für die Politik ist es praktisch: Sie kann einfach eine Obergrenze einziehen, sie Jahr für Jahr senken und nur so viele Zertifikate ausgeben, wie mit den Klimazielen vereinbar ist. Wer die Emissionen verursacht, ist dann egal.

Dass so ein Modell auch für den Bodenverbrauch wissenschaftlich bereits gut untersucht ist, ist den deutschen Liberalen zu verdanken. Die FDP hat in den Koalitionsvertrag mit der CDU 2009 eingebracht, dass so ein Handel mit Flächenzertifikaten untersucht werden soll. Das deutsche Umweltbundesamt hat das Ganze über vier Jahre lang in einem Modellversuch mit 87 Kommunen, also Gemeinden, durchgespielt. Der Endbericht ist fast 200 Seiten lang und kommt zu dem Schluss: So ein Zertifikatehandel sollte möglichst schnell umgesetzt werden.

Gratis an Gemeinden zugeteilt

Zwar ist nicht mit "echtem" Bauland gehandelt worden, aber die Wissenschafterinnen und Wissenschafter versuchten dem mit einem Feldexperiment so nahe wie möglich zu kommen: Die Kommunen brachten reale Baupläne für die nächsten 15 Jahre ein. Für jede 0,1 Hektar Bauland, zum Beispiel für eine Straße oder eine Siedlung, musste ein Zertifikat vorhanden sein. Vorher wurde mit den Kommunen erhoben, welche Baulücken und Brachflächen es gibt und wo es Potenziale für die Innenentwicklung und Nachverdichtung gibt.

Zu Beginn jedes Jahres wurden dann die Papiere gratis an die Gemeinden nach Einwohnerzahl zugeteilt. Man konnte gleich alle nutzen, sie sparen, zukaufen oder überschüssige auf der Flächenbörse an andere Gemeinden verkaufen. Bauland war also bis zu einer Grenze gratis, darüber hinaus musste man Zertifikate kaufen. Das Ergebnis? Es wurde drastisch mehr im Ortskern gebaut als außerhalb. Denn im Ortskern brauchte es keine Zertifikate. Die Hälfte der geplanten Umwidmungen außerhalb des Zentrums wurden nicht realisiert. Die Bürgermeister oder Planungsämter verlagerten sie in den Ortskern. Potenzial an Leerstand, Baulücken und Brachen gab es mehr als genug.

Alternative zum wilden Widmen

Vor allem für schrumpfende Gemeinden in strukturschwachen Regionen haben sich die Anreize fundamental verändert. Dort werden derzeit oft Siedlungen oder Gewerbegebiete mit entsprechender Infrastruktur angelegt, damit sich junge Familien und Unternehmen ansiedeln. "Die betreiben offensive Angebotspolitik", sagt Detlef Grimski, der das Projekt beim deutschen Umweltbundesamt begleitete. "Die weisen die meisten Flächen neu aus, der gewünschte Effekt tritt dann aber oft nicht ein." Diese Gemeinden hatten durch den Verkauf von Zertifikaten plötzlich eine lukrative Alternative zum wilden Widmen.

Im Planspiel lag der Preis für einen Quadratmeter Bauland im Schnitt bei 91 Euro. Für ein 500 Quadratmeter großes Grundstück wären also nach dem Verbrauch der zuvor gratis zugeteilten Zertifikate gut 45.000 Euro fällig. Im Planspiel wurden die Kosten je nachdem, wie hoch die Nachfrage war, von der Gemeinde oder vom Nutzer der Baufläche getragen. Je weniger Bauland nachgefragt war, desto eher übernahmen die Gemeinden die Kosten. In den simulierten 15 Jahren wurden alle drei Jahre die verfügbaren Zertifikate reduziert. Am Ende erreichte Deutschland, anders als in der Realität, seine Bodenverbrauchsziele.

Rechtlich möglich, politisch heikel

Eine schöne Utopie? "Aus umweltökonomischer Sicht ist das jedenfalls die beste Lösung für den Bodenverbrauch", sagt Stephan Bartke vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Einzig politisch sei es schwierig, "man greift in die Planungssouveränität der Bürgermeister ein. Das wird sich nicht jeder einfach so nehmen lassen." Raumordnung ist in Österreich Sache der Länder und der Gemeinden. Wäre so ein Modell rechtlich überhaupt umsetzbar?

Ja, sagt Peter Bußjäger, Experte für Staats- und Verwaltungsrecht. Weil der Wirkungsbereich der Gemeinde eingeschränkt werde, müsse man das sachlich rechtfertigen. Das könne man aber mit den ökologischen Schäden des Bodenverbrauchs tun. Politisch sieht Bußjäger zwei Wege: Der Bund schließt einen Vertrag mit den neun Bundesländern, eine sogenannte 15a-Vereinbarung. Das bräuchte die Zustimmung jedes einzelnen Bundeslandes. Option zwei: Der Nationalrat ändert die Verfassung, das bräuchte aber eine Zweidrittelmehrheit.

Ökonomie versus Raumplanung?

Beim österreichischen Umweltbundesamt heißt es auf Nachfrage: "Das Konzept macht nur Sinn, wenn alle Bundesländer mitmachen. Das ist in Österreich leider sehr unrealistisch." Der Raumplaner Arthur Kanonier von der TU Wien hält es für klug, beim Verbrauch von Boden eine Obergrenze einzuziehen. Derzeit werden zwölf Hektar am Tag verbraucht. Als ein Ziel gelten beispielsweise 2,5 Hektar am Tag. Das zu kontingentieren sei sinnvoll, sagt Kanonier.

Wie man die aber dann verteile, sei eine andere Frage. So gäbe es raumplanerisch Flächen, die sich gut und schlecht für Siedlungen eignen. Ein Flächenhandel könnte zur Folge haben, dass reichere Gemeinden ärmeren ihre Flächen abkaufen und dann "wie wild entwickeln". Bei so einem Flächenhandel müsse man übergeordnet darauf achten, dass die richtigen Flächen – in puncto Siedlungs- und Bevölkerungsentwicklung – bebaut werden.

"Wenn eine Konkurrenz unter Gemeinden dazu führt, dass sparsamer mit Grund und Boden umgegangen wird, begrüße ich das", sagt Kanonier. Wichtig sei, so etwas, wenn, mit den richtigen Rahmenbedingungen zu machen. In Österreich würden sich derzeit Gemeinden aber noch nicht einmal verlässlich an übergeordnete Vorgaben halten – und dass der Bedarf an künftigem Bauland überregional entwickelt wird, "davon sind wir meilenweit entfernt".

Reform der Grundsteuer

Detlef Grimski vom deutschen Umweltbundesamt betont, dass ein Handel natürlich nicht alleine die Antwort sei. Es brauche weiter Raumplanung, Förderung von Innenentwicklung und den Abbau von Fehlanreizen. Experten bringen auch eine Reform der Grundsteuer aufs Tapet. Karoline Mitterer, eine Verwaltungsforscherin, hält es für sinnvoll, wenn nicht mehr wie jetzt der Wert eines Grundstücks für die Steuer entscheidend ist, sondern die Steuer je nach Kategorie eingezogen würde. Grünland könnte man niedrig besteuern, unbebautes Bauland dagegen relativ hoch.

Das würde es unrentabel machen, Baugrundstücke für viele Jahre zu halten, ohne darauf zu bauen. Denn in Österreich gibt es viele Flächen ohne Bauzwang, die vor langer Zeit als Bauland gewidmet wurden. Die sind oft in Zentrumsnähe, stehen dem Markt aber nicht zur Verfügung, weil sie gehortet werden. Die Gemeinden müssen dann oft auf Flächen weiter außerhalb ausweichen. Mit mehr Flächen am Markt wäre auch ein Flächenhandel einfacher.

Eine Reform der Grundsteuer ist realpolitisch ebenso schwierig wie der Flächenhandel. Im deutschen Planspiel hatten am Ende Städte genug Zertifikate, knapp wurden sie auf dem Land. Das ist zwar die Idee des Ganzen, aber wohl politisch schwer zu verkaufen. Es bräuchte ein anderes Bewusstsein in der Bevölkerung, bei Landeshauptleuten und Bürgermeistern. Nur so lässt sich verhindern, dass die Zukunft verbaut wird.

Im nächsten Beitrag werden wieder Lösungen für ein Umwelt- und Klimaproblem erläutert. Wenn Sie sich für den Gratis-Newsletter anmelden, schreibe ich Ihnen, sobald er erscheint. (Andreas Sator, 20.6.2021)