Die Illustration zeigt einen relativistischen Materie-Jet eines Gammablitzes (GRB), der aus einem kollabierenden Stern herausschießt und energiereiche Gammastrahlung erzeugt.
Illustr.: DESY, Science Communication Lab

Kein anderes kosmisches Ereignis vermag so viel Energie in derart kurzer Zeit zu produzieren wie ein sogenannter Gammablitz. Die meisten bisher beobachteten Gamma-ray bursts (GRB), wie sie im Englischen bezeichnet werden, ereigneten sich in fernen Galaxien und waren tatsächlich blitzartige Phänomene mit einer Dauer von Millisekunden bis wenigen Sekunden. In diesen kurzen Augenblicken gaben sie mehr Strahlung ab als unsere Sonne während ihrer bisherigen Lebensspanne von fast 4,6 Milliarden Jahren.

Doch es gibt auch Ausnahmen: Astronomen haben einzelne Gammastrahlenexplosionen beobachtet, die mehrere Minuten oder sogar Stunden andauerten. Was diese welterschütternden Ausbrüche auslöst, ist noch immer nicht restlos geklärt, doch es gibt einige vielversprechende Hypothesen: Je nach Dauer könnten zusammenstoßende Neutronensterne, zu einem Schwarzen Loch kollabierende massereiche Sterne oder sogenannte Hypernovae, also besonders energiereiche Supernovae, verantwortlich sein – das zumindest ergaben Analysen und Computersimulationen.

Blitzbeobachtungen aus der ersten Reihe

Nun aber erschüttert die Beobachtung eines Gamma-ray bursts, der nach kosmischen Maßstäben praktisch vor unserer Haustür aufblitzte, die etablierten Theorien. Das berichtet ein internationales Forscherteam unter Beteiligung von Innsbrucker Astrophysikern im Fachjournal "Science". Üblicherweise entstehen solche Gammablitze in den Tiefen des Universums, das aktuelle Ereignis fand nur eine Milliarde Lichtjahre entfernt statt und ließ sich quasi hautnah verfolgen.

Am 29. August 2019 entdeckte man mit den Weltraumteleskopen Fermi und Neil Gehrels Swift einen GRB in nur einer Milliarde Lichtjahren Entfernung. Das im Sternbild Eridanus aufblitzende Phänomen erhielt den Katalogeintrag GRB 190829A. "Typischerweise sind GRBs sehr viel weiter entfernt. Bei GRB 190829A sitzen wir in der ersten Reihe", erklärte Olaf Reimer vom Institut für Astro- und Teilchenphysik der Universität Innsbruck.

Der Nasa-Satellit Swift im Erdorbit registrierte Röntgenstrahlung von dem Gammablitz. Energiereiche Gamma-Photonen erzeugten in der Erdatmosphäre sogenannte Luftschauer, die mit den H.E.S.S.-Teleskopen vom Erdboden aus aufgezeichnet werden konnten.
Illustr.: DESY, Science Communication Lab

Bisher längstes Nachglühen

Daraufhin wurden die H.E.S.S. Cherenkov-Teleskope in Namibia auf diese Explosion gerichtet und konnten das bisher längste Nachglühen eines Gammastrahlenblitzes in relativ naher Distanz beobachten. Dabei wurden Photonen mit der bisher unerreichten Energie von bis zu 3,3 Tera-Elektronenvolt (TeV) gemessen, das ist laut der Wissenschafter die billionenfache Energie von optischen Photonen.

Weil der GRB vergleichsweise nahe stattfand, konnten die Forscher in extrem hoher Genauigkeit die Energieverteilung der Photonen messen und stellten dabei eine große Ähnlichkeit des Nachglühens im Röntgen- und im Gammastrahlenbereich fest. Genau das lässt allerdings etablierte Theorien wanken – denn die gehen davon aus, dass Röntgen- und Gammastrahlung durch separate Mechanismen bei diesen kosmischen Ereignissen produziert werden.

Weitreichende Konsequenzen

Die Messungen zeigten starke Hinweise, "dass die Gammastrahlen durch denselben Mechanismus erzeugt worden sind wie die Röntgenstrahlung", erklärte Anita Reimer vom Institut für Astro- und Teilchenphysik der Uni Innsbruck. Für das theoretische Verständnis dieser gewaltigen Explosionen hat das weitreichende Konsequenzen. Notwendig seien weitere Studien von Gammastrahlenausbrüchen bei sehr hohen Energien, betonen die Forscher. Sie hoffen, dass sich die Rate von GRB-Beobachtungen durch verbesserte Instrumente wie dem zukünftigen Cherenkov-Telescope-Array (CTA) und ausgeklügelten Beobachtungsstrategien steigern lässt.

Video: Ein GRB in nächster Nähe.
Deutsches Elektronen-Synchrotron

Die H.E.S.S.-Teleskope werden seit 2002 von einer internationalen Kollaboration in Namibia betrieben, der seit 2009 auch Österreich angehört. Olaf Reimer leitet die H.E.S.S.-Arbeitsgruppe an der Uni Innsbruck und koordiniert die österreichische Beteiligung an der Vorbereitung und dem Bau des Höchstenergie-Gammastrahlenobservatoriums CTA. Die H.E.S.S.-Teleskope sind nach dem österreichischen Physiker und Entdecker der kosmischen Strahlung Victor Franz Hess benannt. Sie messen Gammastrahlen, die beim Auftreffen auf die Erdatmosphäre eine Vielzahl an geladenen Teilchen produzieren. Diese emittieren dann über den sogenannten Cherenkov-Effekt sichtbares Licht, das die Teleskope messen. (red, APA, 13.6.2021)