Als Michel Platini im Juni 2012 seine Idee von einer einmaligen Europameisterschaft mit Spielen in bis zu 13 Ländern vorstellte, glaubten nicht wenige, dass es der französische Präsident des europäischen Fußballverbandes Uefa mit seiner Önophilie endgültig ein wenig übertrieben habe. Schon sechs Jahre bevor sich Greta Thunberg vor den Schwedischen Reichstag setzte, galt der Vorschlag des Europameisters von 1984 als klimapolitischer Wahnsinn – darüber hinaus als logistischer Albtraum und eine der Turnierstimmung völlig abträgliche Schnapsidee.

Am Freitag beginnt die Fußball-Europameisterschaft.
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Die war allerdings auch aus der Not heraus geboren worden, fand sich doch damals wegen der Krise der Gemeinschaftswährung Euro außer der Türkei kein überzeugter Gastgeber für das für 2020 geplante Turnier. Weil sich aber Recep Tayyip Erdoğan auch die Olympischen Spiele 2020 für die Türkei einbildete, gab das Exekutivkomitee der Uefa im Dezember 2012 lieber Platinis Projekt den Vorzug. Nur der türkische Vertreter stimmte dagegen.

Wahnwitzige Reiserouten

Der Widerstand gegen den EM-Wanderzirkus, der zu Abermillionen zusätzlichen Flugmeilen führen muss, wurde mit den Jahren immer stärker. Platini trat im Oktober 2015 nach Korruptionsvorwürfen und einer Sperre durch den Weltverband Fifa als europäischer Fußballboss zurück. Das schwere EM-Erbe des einstigen Supertechnikers aus Lothringen hatte – nach kurzer Übergangsfrist – der Slowene Aleksander Čeferin zu verteidigen. Dass für eine EM in mehreren Ländern vorwiegend auf ohnehin vorhandene Infrastruktur zurückgegriffen werden kann, die Klimabilanz also trotz zum Teil wahnwitziger Reiserouten auch für die Mannschaften nicht ganz so katastrophal ausfallen muss, war lange auch Čeferins bestes Argument – ganz abgesehen von möglicher Gewinnmaximierung.

Dann kam die Pandemie – und die Verschiebung der Endrunde um ein Jahr. Covid-19 schrumpfte das Turnier, gespielt wird ab Freitag in nur noch elf Stadien in zehn Ländern. Bilbao und Dublin wurden gestrichen, nachdem die lokalen Behörden die Zulassung von Zusehern nicht schon frühzeitig hatten garantieren wollen. Das Virus sorgt also auch dafür, dass sich die Reisetätigkeit des Fußballanhangs in Grenzen hält. Lediglich im einzigen EM-Neubau, in der Puskás-Arena in Budapest, soll die gesamte Kapazität von 61.000 Plätzen für vier Spiele ausgeschöpft werden. Die restlichen Arenen werden maximal zur Hälfte ausgelastet. Die Münchner Allianz-Arena kommt gar nur auf 20 Prozent.

Schwerer vorstellbar wäre trotz der Entspannung der europäischen Corona-Situation eine EM in einem Land, in Frankreich oder Großbritannien, geschweige denn in der Türkei. Die Sorgen der Japaner vor einem olympischen Megacluster lassen Platinis EM-Schnapsidee in einem deutlich milderen Licht, ja fast als Glücksfall erscheinen. Auch wenn natürlich Gott einen vor allem hüten soll, was noch ein Glück ist. (Sigi Lützow, 9.6.2021)