Im Gastkommentar skizziert Golli Marboe, Neos-Publikumsrat und TV- und Filmproduzent, was in einer Bewerbung für den "vielleicht reizvollsten Kulturjob des Landes" stehen sollte.

Muss er gehen? Wird er wiedergewählt? ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz hat bisher als Einziger Interesse an dem Job bekundet.
Foto: Regine Hendrich

Am 10. August wählt der ORF-Stiftungsrat eine neue Generaldirektion. Es wird neben dem Sozialdemokraten Alexander Wrabetz mehrere bürgerliche Kandidatinnen oder Kandidaten für diesen Posten geben. Dementsprechend hat die ÖVP, die im Stiftungsrat eine absolute Mehrheit besitzt, mehrere Optionen: die Entscheidung für diese Wahl könnte also aufgrund des Inhalts einer Bewerbung, der Vision für das Unternehmen oder aufgrund konkreter Pläne für die längst fällige Positionierung des ORF in einem seit Jahrzehnten digitalen Medienumfeld fallen.

Was sollte also in einer Bewerbung für den vielleicht reizvollsten Kulturjob des Landes stehen:

· Neues ORF-Gesetz: Die wichtigste Aufgabe einer zukünftigen Generaldirektorin oder eines Generaldirektors liegt in der Durchsetzung eines neuen ORF-Gesetzes ohne Wenn und Aber. Denn es ist völlig absurd, dass die größte "Medienorgel" des Landes von digitalen Distributionswegen per Gesetz ausgeschlossen ist. Damit verliert das Unternehmen jeden Tag an Relevanz.

Das Publikum muss die Möglichkeit bekommen, die ORF-Angebote auch digital und auf Dauer abrufen zu können. Nicht nur, weil man aus marktstrategischen Gründen auf Streamingdienste und soziale Medien reagieren muss, sondern vor allem auch, damit die Schätze des Archivs in Zeiten von Fake-News als sichere Quelle für die Bürgerinnen und Bürger des Landes zugänglich sind. Idealerweise sorgt der Gesetzgeber für eine Haushaltsabgabe, die dem ORF eine werbefreie Finanzierung möglich macht, und Privatmedien können im Gegenzug mit zusätzlichen Einnahmemöglichkeiten am Werbemarkt rechnen.

· Meinungsvielfalt: Der öffentlich-rechtliche Sender einer liberalen Demokratie muss die Vielfalt an Meinungen und die journalistische Kontrolle der Regierenden gewährleisten. Dementsprechend sollte in einer Bewerbung zur Generaldirektion dargestellt sein, wie verhindert wird, dass der zentrale Newsroom zu einer "Orbánisierung", also einer einseitigen, weil zentral gelenkten Berichterstattung führt.

· Direktionsmitglieder: Die Aufgaben des ORF dürfen nicht nur verwaltet oder gar Kaufmännern allein überlassen werden. Im nächsten Leading Team des ORF müssen Journalistinnen und Journalisten sowie Programmmacherinnen und -macher wieder etwas zu sagen haben. In einem Medienunternehmen werden keine Autozulieferteile hergestellt. Bei den Angeboten des ORF geht es um "Lebensmittel für Seele und Hirn". Dazu braucht es Menschen in der Führung des Unternehmens, die erstens den Beruf des Journalisten, der Journalistin gelernt haben und zweitens Leidenschaft und Liebe für den Programmauftrag auch wirklich leben.

· Kreativwirtschaft fördern statt internationale Konzerne: 50 Prozent jener Gelder, die von der derzeitigen Geschäftsführung für US-Serien-Lizenzen oder für Sportrechte ausgegeben werden, sollten zukünftig in die Produktion von zusätzlichem eigenem Content fließen.

Mit einer solchen Umverteilung der ORF-Ausgaben – weg von fremdbestimmten Einwegprodukten, hin zu mitgestalteten Inhalten – würde man ein zusätzliches tägliches Programmbudget von mindestens 500.000 Euro ermöglichen, ohne dass dafür die Gebühren erhöht werden müssten. Es gäbe Mittel für Dokumentationen, Kinderprogramme, Magazine, lokale fiktionale Serien oder Online-only-Projekte, wie man sie von der ARD-ZDF-Plattform funk.net kennt.

Die jeweilige ORF-Redaktion könnte bei solchen Koproduktionen den Inhalt mitbestimmen, einen Lokalbezug zu Österreich garantieren. Derartiges Programm ist "archivtauglich", und die Kreativwirtschaft profitiert.

"Der virtuelle CO2-Ausstoß der Formel 1 muss in anderen Programmflächen kompensiert werden."

· Inhaltlich klimaneutral: Selbstverständlich muss ein Unternehmen wie der ORF in all seinem Tun – auch bei Filmarbeiten oder baulichen Maßnahmen – klimaneutral agieren. Aber nicht nur im herkömmlichen, sondern auch im inhaltlichen Sinn: Wenn wochenendenlang die Formel 1 und ihre Verbrennungsmotoren Sendeflächenerhalten, muss dieser virtuelle CO2-Ausstoß in anderen Programmflächen kompensiert und inhaltlich intern "gegenverrechnet" werden.

· 100 Prozent barrierefrei: Der ORF hat sämtliche seiner Programme barrierefrei auszustrahlen. Die Versorgung von hör- und sehbeeinträchtigten Menschen muss vollumfänglich selbstverständlich sein.

· Innovation statt mehr vom Gleichen: Die geplante digitale Plattform muss mehr sein als ein technischer Abspielort von bekannten Programmen. Dort müssen Teams arbeiten, die nicht nur aus ganz Europa kommen, unterschiedlichen Alters sind und Fachwissen besitzen, sondern vor allem Journalistinnen, Journalisten und Kreative, die Programme ausprobieren möchten, von denen man noch nicht sagen kann, ob diese auch erfolgreich sein werden.

Der Mediaplayer bietet die Chance, den ORF wieder als innovative, politisch unabhängige und in die Zukunft ausgerichtete Rundfunkanstalt zu etablieren: als ein Medienhaus, das mehrsprachig ausstrahlt, in dem gleich viele weibliche wie männliche Kreative an den Produktionen arbeiten, das Diversität lebt und das 24/7-Formate anbietet, die ihrer Zeit voraus sind.

· Inseratenkorruption stoppen: Der ORF bewirbt seine Programme u. a. durch Gegengeschäfte mit Verlagshäusern wie der Kronen Zeitung oder Oe24. Damit unterscheidet sich die ORF-Marketingstrategie wenig von den Methoden, die wir bei der öffentlichen Hand beobachten: Man versucht sich eine wohlwollende Berichterstattung zu "erkaufen". Nicht einmal nach den entsetzlichen Attentaten am 2. November in der Wiener Innenstadt hat der ORF seine Inserate bei Oe24 ausgesetzt.

Und schließlich wäre es längst fällig, dass der ORF mit dem Leid spielsüchtiger Menschen kein Geld mehr verdient! Ein nächster Generaldirektor, eine nächste Generaldirektorin muss die ORF-Beteiligung an der Lotto-Toto-Gesellschaft schnellstmöglich beenden.

Es ist zu hoffen, dass wir uns vom Hearing am 10. August mittels Liveübertragung auf ORF III selbst einen Eindruck von den Kandidatinnen und Kandidaten und deren Vorschlägen machen können! Auch wenn das Publikum die Leitung des ORF natürlich nicht direkt wählt, so könnten wir uns ein Bild davon machen, wen die ÖVP mit dieser so großartigen und für die Demokratie so prägenden Aufgabe betraut. (Golli Marboe, 9.6.2021)