ORF-General Alexander Wrabetz und Stiftungsratsvorsitzender Norbert Steger.

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Er alleine wird entscheiden, wer Österreichs größten Medienkonzern ab 2022 führt – wenn am 10. August 2021 zwei Bewerber oder Bewerberinnen im Stiftungsrat gleich viele Stimmen bekommen: Norbert Steger, Vorsitzender des obersten ORF-Gremiums, das in acht Wochen den nächsten ORF-General bestellt.

Die FPÖ hat ihren ehemaligen Parteichef (1980 bis 1986) in den Stiftungsrat entsandt, ÖVP und FPÖ haben ihn als Koalitionäre 2018 zum Vorsitzenden bestellt bis Frühjahr 2022, wenn Regierung, Parteien, Bundesländer, Publikumsrat und Betriebsrat das ORF-Gremium neu beschicken. Der Vorsitzende gibt dort bei Stimmengleichstand den Ausschlag.

Dass Norbert Steger das Rennen um die ORF-Führung am 10. August alleine entscheiden muss, ist im ORF-Stiftungsrat des Jahres 2021 wenig wahrscheinlich: Die ÖVP hat genügend Mandate dort, um den nächsten ORF-Chef alleine zu bestimmen, mit weiterem bürgerlichem Potenzial kommt sie weit darüber.

Aber Stegers Stimme könnte ein Beitrag sein zu einer "breiten Mehrheit", von der viele im ORF und im Stiftungsrat derzeit sprechen. Auf eine solche Breite könnte – gerade in Zeiten von Chats über Postenschacher und türkise "Familie" – auch die ÖVP achten.

Das Regierungsübereinkommen soll ihr – wie schon bei der FPÖ – das Sagen beim ORF-General zusichern; die Grünen wollen aber schon gefragt werden – und können auf Mitbestimmung im Direktorium hoffen.

"Entscheidende Zukunftsfragen"

Steger vermisst in der Generalsdebatte bisher eine Perspektive für den ORF: Der seit 2007 amtierende Generaldirektor Alexander Wrabetz, er hat als bisher Einziger seine Bewerbung angekündigt, "redet mit Recht über seine Erfolge in der Vergangenheit", sagt Steger. Aber: "Es geht um eine Zukunftsentscheidung. Da höre ich zu wenig. Was nicht ständig verbessert wird, geht unter."

Zu diesen "für mich entscheidenden" Zukunftsfragen zählt Steger etwa: "Wie gewinne ich jene Schichten, die gar nicht mehr daran denken, ORF aufzudrehen?" Wie könne der ORF vor allem jüngere Menschen zurückgewinnen. Darüber würden "viele Stiftungsräte nachdenken". "More of the same ist more of the same", sagt Steger noch.

Alexander Wrabetz hat seine Bewerbung damit erklärt, dass er seine großen Projekte noch "mit Leben erfüllen" wolle: die seit vielen Jahren vorbereitete Streamingplattform ORF-Player etwa. Und den neu gebauten "Newsroom" auf dem Küniglberg, in dem künftig die bisher getrennten Redaktionen von TV, Radio und Online zusammenarbeiten sollen, unter einer neu besetzten Führung.

Um diesen Newsroom und seine Organisation geht es diese Woche auch im ORF-Stiftungsrat in der letzten Sitzung vor der Generals-Ausschreibung Ende Juni und der Bestellung im August.

Drei bürgerliche Stiftungsräte haben ORF-Chef Wrabetz einen umfangreichen Fragenkatalog zu diesem Newsroom geschickt: "Welche strukturellen Maßnahmen werden gesetzt, um Themen- und Meinungsvielfalt zu sichern beziehungsweise auszubauen? Wie wird zum Beispiel das Themenmanagement organisiert sein?", wollen sie da wissen. Wie soll ein Führungsteam arbeiten, wer treffe dort redaktionelle Letztentscheidungen?

Wer entscheidet im Newsroom?

"In weniger als einem Jahr sollen die ersten Redakteurinnen und Redakteure in den multimedialen Newsroom siedeln", erinnern die drei Stiftungsräte Petra Stolba, Andreas Kratschmar und Gregort Schütze: "Wissen diese schon, was ihre konkreten Aufgaben und wer ihre Vorgesetzten sein werden?"

Thomas Zach, Sprecher der bürgerlichen Stiftungsräte, äußerte sich zuletzt besorgt in Sachen Newsroom: "Im Moment habe ich nicht den Eindruck, dass wir da schon auf einem guten Weg sind." Zach: "Wir brauchen weniger Wahlkampfgetöse und mehr Fokus auf die Sacharbeit."

Die nächstkleineren "Freundeskreise" im Stiftungsrat vermissen zwei Monate vor der Entscheidung anderes: "Visier hochklappen", ruft Heinz Lederer (SPÖ) weiteren Bewerbern zu: "Raus aus den Verstecken!" Stiftungsräte und 3000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ORF hätten ein Recht darauf zu erfahren, "was sie und den ORF in Zukunft erwartet".

Rot-blau-grüne Schnittmengen

Publikums- und Stiftungsrätin Barbara Nepp (FPÖ) sieht ein "Kasperltheater" um Geheimhaltung und Taktik vor der ORF-Wahl: "Es geht um eine sehr einflussreiche Position im Land." Gebührenzahler und ihre Vertreter im ORF hätten ein Recht auf Transparenz. Nepp will "nicht erst kurz vor der Wahl erfahren, wer mit welchem Konzept antritt".

Die Freiheitliche vermisst Breaking-News-Kompetenz im ORF-Fernsehen. Bei wichtigen Ereignissen wie dem Terroranschlag in Wien oder auch dem Rücktritt Norbert Hofers als FPÖ-Chef habe Oe24TV schneller berichtet. Publikumsbefragungen zeigten zudem Nachholbedarf in der Objektivität der ORF-Berichterstattung, sagt Nepp. Auf diese Umfragen verweisen auch türkise Publikumsräte.

Mit Blick auf die Generalswahl fände es Nepp "wirklich schade, wenn sich keine Frau bewirbt". Bei dem Thema trifft sie sich mit Lothar Lockl (Grüne): Er erwartet einen "signifikant höheren Frauenanteil" in der künftigen ORF-Führung – und verweist auf nur zwei Landesdirektorinnen und keine einzige Chefredakteurin in den Regionalstudios.

Die neun Länder-Stiftungsräte, sechs davon bürgerlich, haben sich mit einem gemeinsamen Forderungskatalog gemeldet: Sie wollen mehr Geld, Sendezeit und Autonomie für die ORF-Landesstudios. (Harald Fidler, 9.6.2021)

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