Der ORF-Newsroom samt neuem Ö3-Sitz auf dem Küniglberg, hier noch in Bau, hat inzwischen eine komplette Außenhaut.

Foto: ORF / Roman Zach-Kiesling

Wien – ORF-General Alexander Wrabetz erklärt seinen Stiftungsräten sehr ausführlich und detailreich auf 41 Seiten, wie er den gemeinsamen ORF-Newsroom für TV, Radio und Online vorbereitet – und wie er dort Vielfalt sichern werde. Drei bürgerliche Stiftungsräte haben dem ORF-Chef wie berichtet einen umfangreichen Fragenkatalog geschickt. Mittwochabend vor der Plenarsitzung am Donnerstag hat ihnen Wrabetz seine Antworten übermittelt, die inzwischen auch dem STANDARD vorliegen.

In weniger als einem Jahr sollen hunderte bisher getrennt für TV, Radio und Online arbeitende ORF-Journalistinnen und -Journalisten in einem gemeinsamen Newsroom zusammenarbeiten. Wissen sie schon, wie das funktionieren soll und wer diese große Nachrichtenmaschine wie führt? Und: Weiß das der amtierende ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz? Das wollten drei bürgerliche Stiftungsräte in einem umfangreichen Fragenkatalog wissen.

"Hochsensibles Reformprojekt"

16 sehr grundsätzliche Fragenkomplexe haben Petra Stolba, Andreas Kratschmar und Gregor Schütze zum "hochsensiblen Reformprojekt" Newsroom in der letzten Sitzungswoche des Stiftungsrats formuliert, bevor das Gremium im August die Führung des ORF ab 2022 bestimmt.

Der Publikumsrat des ORF, wo Kratschmar seit vielen Jahren den bürgerlichen "Freundeskreis" leitet, sorgte sich schon 2015 um Vielfalt im Newsroom, den der ORF seit 2014 plant.

Die drei Stiftungsräte stellen nun Fragen über "strukturelle Maßnahmen" zur Sicherung der Vielfalt, über die Entscheidungsstrukturen in einem Führungsteam, über die Information der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Unterstützung bei der künftigen Zusammenarbeit "auf Augenhöhe", über Budgets für den Newsroom und schließlich über unterschiedliche Kollektivverträge künftiger Sitznachbarn im Newsroom.

Update: Wrabetz' umfangreiche Antwort

Wrabetz erinnert daran, dass der Stiftugsrat schon am 6. März 2014 mit Neubauten und Sanierung des ORF-Zentrums auf dem Küniglberg grundlegende Vorgaben für den Newsroom beschlossen habe: "Autonomie der Sendungen und Sendungsverantwortlichen", "Vielfalt und Pluralität in den ORF-Redaktionen", "Stärkung der Senderidentitäten und -marken", "Fachredaktionen als öffentlich-rechtliches Qualitätsmerkmal" und "höhere journalistische Schlagkraft" und optimierter Einsatz von Ressourcen.

Seither gab es laut Wrabetz 45 Klausuren, Workshops und drei Webinare zum Thema mit Führungskräften und Redakteurinnen und Redakteuren, Arbeitsgruppen, Dialogforen, "Newsroomgespräche", Redakteursversammlungen, die Wrabetz auf den 41 detailliert aufführt.

2015 habe APAdefacto die Themenvielfalt der ORF-Information als "Nullmessung" erhoben, Ende 2021 und dann jährlich werde diese Untersuchung wiederholt.

187 Mitarbeiter hätten im Zuge einer großen "Job-Rotation" schon in anderen Bereichen gearbeitet. Weitere Workshops würden folgen. Längst habe der ROF ein "Leitbild für multimediales Arbeiten" und eine "Checkliste zur Weiterentwicklung und Sicherstellung der journalistischen Qualität im Multimedilen Newsroom und für multimediales Arbeiten im ORF" mit Redakteursvertretung und Ethik-Rat erstellt. Die APA entwickle ein eigenes Redaktions- und Content-Managementsystem für den Newsroom.

Wrabetz legt in dem Papier Zeitpläne bis zum Start des Newsroom im Frühjahr 2022 vor. Im September will er, jedenfalls noch bis Jahresende ORF-Generaldirektor, eine "Geschäftsordnung" für den Newsroom vorlegen und das Führungspersonal danach ausschreiben.

Ende 2021 will Wrabetz – wie im STANDARD-Interview angekündigt – die Führung des Newsrooms bestellen.

Die Führung des Newsrooms erklärt er in dem Papier so: "Die Mitglieder des Leitungsteams sind gleichberechtigt". Drei bis vier redaktionelle Führungsmitglieder solle es geben. Der Stiftungsrat solle "nach der Bestellung der Geschäftsführung" (also der Generalswahl am 10. August) festlegen, "wie die entsprechende Anbindung an die Geschäftsführung erfolgt". Derzeit ist der ORF-Generaldirektor in Wrabetz' Organisation oberster Infodirektor.

Fünf Fachressorts und fünf Sendungs- und Plattformteams kündigt Wrabetz in seinen Antworten zum Newsroom an den Stiftungsrat an. Sie würden "starke Binnenpluralität strukturell absichern". Die ORF-Magazine würden zudem nicht in den Newsroom eingebunden.

Die fünf Fachressorts vereinen jeweils von TV und Radio (mit neu bestellten gemeinsamen Ressortchefs und -chefinnen) Innenpolitik (künftig 30 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen), Außenpolitik (28), Chronik (30) und Wirtschaft (19) plus, schon seit November gemeinsam Wetter (21).

Was wo und wann ausgespielt wird, sollen die Sendungs -und Plattformteams entscheiden. Die Veröffentlichungsstrategie "obliegt insbesondere im Konfliktfall dem Newsroom-Management.

So illustriert Wrabetz den Workflow im künftigen ORF-Newsroom von TV, Radio und Online:

Newsroom-Workflow im ORF laut ORF-Generaldirektion.
Foto: ORF

Der neue zentrale Newsdesk für kurze Beiträge für alle Medien, Newsgathering/Monitoring, Verifizierung, Live-Einsätze und Social-Media-Kanäle umfasst künftig 56 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf 35 Funktionsarbeitsplätzen im Schichtdienst rund um die Uhr. An Bord kommen laut Plan etwa Radio-Newsdesk, TV-Monitoring, bisherige Social-Media-Mitarbeiter aus dem TV, sechs Mitarbeiter aus den Fachressorts sowie vier, die bisher bei ORF On und ORF Player angesiedelt sind. (Als möglicher Newsdesk-Chef wurde schon der bisherige Korrespondent und frühere Außenpolitikchef Peter Fritz gehandelt.)

Die "dezentral eigenverantwortlich handelnden" Sendungsteams sollen sich laut Wrabetz "aus diesem reichhaltigen Angebot" (von Fachressorts und Newsdesk) "für ihr jeweiliges Zielpublikum das passende Angebot konfektionieren.

Ohne Personalkosten budgetiert der ORF derzeit für TV-Information rund 33 Millionen Euro, Radioinformation rund 15 Millionen Euro und ORF-Online ohne ORF-Player 5,4 Millionen Euro. Die zusammen 53 Millionen wären auch das Budget im gemeinsamen Newsroom. Für die Inbetriebnahme, Pilotierung einzelner Sendungen etwa, veranschlagt Wrabetz zwei bis drei Millionen zusätzlich 2022.

"Effizienzgewinne" im Personaleinsatz durch den Newsroom würden "vor allem für vertiefte Berichterstattung", für Info-Angebote der (geplanten) Streamingplattform ORF-Player sowie den weiteren Ausbau von Social-Media-Angeboten verwendet. Es werde "zu keinen Kürzungen bei den journalistischen Personalkapazitäten kommen", verspricht Wrabetz.

Die Detailfrage der Kollektivverträge beantwortet Wrabetz gleich sehr konkret und dürfte vor allem Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen interessieren: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tochterfirma ORF On würden in den Kollektivvertrag des ORF übernommen. Mehrkosten: 0,5 Millionen Euro. Wrabetz kündigt bei der Gelegenheit an, dass er Tochterunternehmen integrieren wolle und dafür einen "Übergangs-Kollektivvertrag" plane. Wohl ein Signal an die ORF-Betriebsräte – die bei der Generalswahl am 10. August fünf Stimmen unter den 35 Stiftungsräten haben.

Zwei Monate vor Generalswahl

Der Fragenkatalog begleitet die Ende Juni anlaufende Bewerbungsfrist für den ORF-Generaldirektor oder die ORF-Generaldirektorin ab 2022 ein. Der Stiftungsrat entscheidet darüber am 10. August. Die Mehrheit in diesem Stiftungsrat haben ÖVP-nahe Stiftungsräte und den Bürgerlichen zugeordnete Unabhängige.

Im STANDARD-Interview kündigte Wrabetz im Mai ein redaktionelles Führungsteam für den Newsroom mit voraussichtlich drei Mitgliedern an; er wollte sich aber etwa nicht näher äußern, wer dort Letztentscheidungen über Themen oder auch Disposition trifft und ob diese drei Führungskräfte ein Chefredakteur und zwei Stellvertreter sein könnten.

Die Newsroom-Anfrage an Wrabetz im Wortlaut:

Die Zusammenlegung der Radio-, Fernseh- und Online-Information des ORF in einem Multimedialen Newsroom (MMNR) ist bereits seit 2014 projektiert. Dabei handelt es sich um ein grundlegendes, hochsensibles Reformprojekt der gesamten ORF-Information. Die Sicherung von redaktioneller Vielfalt und Binnenpluralismus ist dabei ebenso erfolgskritisch wie die Bewältigung des mit dem MMNR verbundenen umfassenden Change-Prozesses und Kulturwandels. Vor diesem Hintergrund ersuchen wir um die Beantwortung folgender Fragen:

Vielfalt

  • Wie werden die Auswirkungen der Zusammenlegung der Radio-, Fernseh- und Online-Information auf Themen- und Meinungsvielfalt sowie Binnenpluralismus gemonitort und analysiert?
  • Welche strukturellen Maßnahmen werden gesetzt, um Themen- und Meinungsvielfalt zu sichern bzw. auszubauen? Wie wird z. B. das Themenmanagement organisiert sein?
  • Nachdem ein zentraler Chefredakteur des MMNR grundsätzlich abzulehnen ist: Welche Regeln und Standards gelten für redaktionelle (Letzt-)Entscheidungen eines mehrköpfigen Leitungsteams des MMNR – und wie soll sich dieses zusammensetzen?
  • Wie sind multimediale Fachressorts und Sendungsteams – auch mit Blick auf das Themensetting – voneinander abgegrenzt?

Organisation

  • In weniger als einem Jahr sollen die ersten Redakteurinnen und Redakteure in den MMNR siedeln: Wissen diese schon, was ihre konkreten Aufgaben und wer ihre Vorgesetzten sein werden?
  • Welche "Ausspielregeln" sollen künftig für sie gelten: Ist ein gesamthafter Content-Management-Prozess inklusive der zuliefernden Magazinbereiche definiert? Wer entscheidet über Channelpriorisierung und Content-Ausspielung?
  • Was wird getan, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter optimal auf ihre neuen Aufgaben vorzubereiten? Gibt es ein gemeinsames, einheitliches Bild des "multimedialen" Arbeitens im ORF – und wie sieht dieses konkret aus? Wie ist der Ausbildungsgrad der Redakteurinnen und Redakteure in Bezug auf Trimedialität?
  • Wer sorgt für die kontinuierliche Weiterentwicklung der Channels bzw. der Content-Formate?

Kultur

  • Die TV-, Radio- und Online-Redaktionen haben jahrzehntelang autonom und monomedial gearbeitet: Wie ist die Erarbeitung einer gemeinsamen MMNR-Kultur gewährleistet?
  • Wird dieser Prozess professionell begleitet – wenn ja, von wem?
  • Wer hat im ORF die notwendige Prozesskompetenz, um alle drei Kulturen – Fernsehen, Radio und Online – auf Augenhöhe zusammenzuführen?
  • Wie wurden und werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingebunden?

Finanzen

  • Welche jährlichen Kosten sind mit dem MMNR verbunden?
  • Wie ist der MMNR im Finanzplan 2022 budgetiert? Wird es ein Extra-Budget für die besonderen Umstände des neuen, multimedialen Zusammenwachsens geben?
  • Wie lassen sich die mit der Etablierung eines MMNR erhofften Effizienzgewinne quantifizieren?
  • Nachdem im MMNR ORF-Angestellte und ORF-On-Angestellte zusammenarbeiten sollen: Bleiben die bisherigen Vertragssysteme bestehen, oder werden diese harmonisiert? Was ist der aktuelle Verhandlungsstatus?

(fid, 9.6.2021)