Geschlechtsanpassende medizinische Behandlungen sollen nicht mehr ohne Einwilligung der Betroffenen möglich sein.

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Laut den Vereinten Nationen sind bis zu 1,7 Prozent der Menschen intergeschlechtlich. Intergeschlechtlichkeit ist ein Sammelbegriff für hunderte körperliche Variationen der Geschlechtsmerkmale. Im am Mittwoch tagenden Gleichbehandlungsausschuss des Parlaments wird auf Initiative der grünen LGBTIQ-Sprecherin Ewa Ernst-Dziedzic ein Entschließungsantrag für ein Verbot von medizinisch nicht notwendigen Behandlungen an den Geschlechtsmerkmalen von Kindern beschlossen.

In Österreich können Eingriffe an Kindern und Jugendlichen, die von intergeschlechtlichen Menschen, Rechtsexpert*innen und der Europäischen Kommission als Intersex-Genitalverstümmelung (IGM) bezeichnet werden, immer noch ohne die Einwilligung der betroffenen Personen vorgenommen werden. Babys, die nicht eindeutig weiblich oder männlich sind, können somit einer geschlechtsanpassenden Operation unterzogen werden. Deutschland beschloss 2020 ein Verbot von IGM.

UN-Ausschuss: Schädliche Praxis

Anfang 2020 forderte der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes Österreich auf, nicht notwendige und nichtkonsensuelle medizinische Eingriffe und Behandlungen an Kindern zu verbieten. Er hielt fest, dass es sich dabei um eine "schädliche Praxis" handle, und verwies auf die Ausführungen des UN-Ausschusses gegen Folter (CAT) aus dem Jahr 2015. Eine Rüge für Österreich für den Umgang mit intersexuellen Kindern und Jugendlichen gab es vom CAT bereits 2015, der diese Eingriffe als grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlungen im Sinne der UN-Antifolterkonvention einstuft. Im Rahmen der Staatenprüfung durch die Vereinten Nationen (Universal Periodic Review) hat Österreich im Jänner 2021 die Empfehlungen zum Beenden nichtkonsensueller und medizinisch nicht notwendiger Behandlungen an intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen angenommen.

Freie Entscheidungen ermöglichen

Aus medizinischer Sicht gibt es keinen Grund, warum diese Eingriffe unmittelbar nach der Geburt stattfinden sollten. "Im Sinne des persönlichen Selbstbestimmungsrechts müssen geschlechtsverändernde Maßnahmen, die inhärent die höchstpersönliche Sphäre eines Menschen betreffen, auch immer die persönliche Entscheidung der betroffenen Person sein", heißt es in einer Aussendung der Grünen. Folglich sei die gesetzliche und faktische Rahmenbedingung so auszugestalten, dass die betroffenen Jugendlichen frei entscheiden können.

Zahlen zu Behandlungen von intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen liegen für Österreich aktuell nicht vor. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) wird im Entschließungsantrag daher ersucht, Zahlen über medizinische Eingriffe, Indikation, Alter der Betroffenen und Qualitätssicherung dem Parlament zu übermitteln.

Lebenslange Folgen

"Ich freue mich sehr, dass wir endlich eine Mehrheit im Österreichischen Parlament haben, die sich zum Schutz von intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen bekennt", sagt Ernst-Dziedzic. Der gemeinsame Antrag mit dem Koalitionspartner sei ein erster und wichtiger Schritt hin zum Schutz der Selbstbestimmung und der körperlichen Integrität von intergeschlechtlichen Menschen.

Intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche erleben in vielen Staaten weltweit medizinisch nicht notwendige Behandlungen an den Geschlechtsmerkmalen, ohne vorherige vollinformierte und höchstpersönliche Einwilligung. Laut der EU-Grundrechteagentur finden derartige Eingriffen in über 20 EU-Staaten statt. Die physischen und psychischen Belastungen, die mit diesen Menschenrechtsverletzungen einhergehen, verfolgen die Betroffenen mitunter ein Leben lang. (Beate Hausbichler, 9.6.2021)