Landeshauptmann Platter (li.) behauptete, Ralf Herwig (re.) habe sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen.

Foto: Land Tirol/Berger
ORF-Tirol-Beitrag zu den aktuellen Entwicklungen in der Causa HG Labtruck. DER STANDARD und der ORF Tirol haben eine Recherche-Kooperation zum Thema gegründet.
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Innsbruck – Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) hatte in der Landtagssitzung vom 20. Mai (und zuvor bereits am 5. Mai gegenüber Medien) erklärt, dass die Zusammenarbeit des Landes Tirol mit der Firma HG Pharma (die 100-Prozent-Eignerin der HG Labtruck, Anm.) nicht beendet worden sei, weil sich ihr medial in die Kritik geratener Geschäftsführer Ralf Herwig aus dem operativen Geschäft zurückgezogen habe. Der Vertrag zwischen Tirol und Herwigs HG Labtruck läuft noch bis Ende Juni 2021.

Das Qualitätsmanagement und die fachärztliche Aufsicht im Labor der HG Labtruck haben mittlerweile die Virologin Dorothee von Laer und ihr Team von der Medizinischen Universität Innsbruck übernommen. Denn nach wie vor ist unklar, ob und wer seit September 2020, als das Unternehmen den bislang größten Auftrag für PCR-Tests in Tirol erhalten hatte, die Voraussetzungen für die Befundung der rund 300.000 PCR-Tests im Unternehmen erfüllt hat. Die Antwort auf diese Frage blieben Land und Unternehmen bis heute schuldig.

Rückzug oder doch kein Rückzug?

Nachdem die Causa durch eine Landtagsanfrage der Liste Fritz Ende April publik wurde, wuchs der Druck auf die Verantwortlichen. Mit Herwigs Rückzug aus dem operativen Geschäft sollten die Wogen geglättet werden. Doch offenbar fand dieser angekündigte Rückzug nicht statt. Denn im Firmenbuch schien Herwig mit Stichtag 8. Juni 2021 sowohl bei der HG Labtruck als auch bei der HG Pharma als alleiniger Geschäftsführer auf. Und auch in einer Klage der HG Labtruck gegen den STANDARD, datiert mit 28. Mai 2021, wird "Prof. Priv.-Doz. Dr. Ralf Herwig" als Geschäftsführer genannt.

Den Professorentitel führt Herwig ohne einen entsprechenden universitären Hintergrund. Das darf in Österreich jeder und jede, wie Plagiatsgutachter Stefan Weber bestätigt. Echte Titel mit Zusätzen wie "Univ.-Prof." oder "Ass.-Prof." ohne entsprechende Ausbildung im Hintergrund zu führen wäre hingegen strafbar.

Ehefrau soll Geschäftsführung übernommen haben

Im Laufe des Mittwochs berichtete nun die APA, dass Herwigs Ehefrau Margarete seit 7. Juni "notariell beglaubigte Geschäftsführerin der HG Labtruck" sei. Diese Auskunft habe eine Sprecherin der HG Pharma – wo Herwig nach wie vor Geschäftsführer, aber aufgrund "seines Gesundheitszustandes" nicht operativ tätig sei – der APA gegeben. Der Urologe selbst habe sich "aus gesundheitlichen Gründen" aus der Geschäftsführung der Tochterfirma HG Labtruck zurückgezogen. Am 5. Mai hieß es seitens Herwig noch, er ziehe sich "aufgrund der Turbulenzen um meine Person" vorübergehend aus dem operativen Geschäft zurück.

Dass er am 8. Juni im Firmenbuch immer noch als Geschäftsführer der HG Labtruck genannt wurde, wird laut APA so erklärt: Seine Ehefrau veranlasste im Anschluss an den angekündigten Rückzug die notarielle Umschreibung der Geschäftsführung, die sie zuvor nur interimistisch übernommen hatte. "Durch den Fristenablauf scheint es, dass die formale Eintragung im Firmenbuch sich verzögert hat", wird die HG Pharma-Sprecherin zitiert.

Undurchsichtiges Firmengeflecht

Der umstrittene Urologe, gegen den die Staatsanwaltschaft Wien Anklage wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit Dauerfolgen, des Verbrechens der schweren Körperverletzung, des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung sowie des Vergehens des schweren Betruges erhoben hat – es gilt die Unschuldsvermutung –, scheint sich also doch nicht aus dem operativen Geschäft zurückgezogen zu haben. Denn es konnte bislang auf Nachfrage kein anderer Geschäftsführer der Unternehmungen genannt werden.

Überhaupt wirft das Firmengeflecht rund um die HG Pharma Fragen auf. So trat zuletzt ein neues Unternehmen namens Novatium auf den Plan, gegründet im April 2021 von einem Mitarbeiter der HG Pharma, dem Juristen Kemal Cakar. Laut Auskunft des Landes handelt es sich dabei um einen IT-Dienstleister, der im Auftrag der HG Labtruck arbeite. Dass es sich um eine Nachfolgefirma der HG Labtruck handle, bestreitet man beim Land.

Novatium als neuer Player

Doch Virologin von Laer bestätigte, dass Mitarbeiter und Gerätschaften der HG Labtruck in die Novatium überführt wurden, die als Auffanggesellschaft der HG Labtruck diene. Sie wolle mit ihrem Institut gemeinsam mit der Novatium an der laufenden Ausschreibung für Tirols PCR-Testungen, Auftragswert insgesamt 38 Millionen Euro, teilnehmen. Stein des Anstoßes der ganzen Causa Labtruck war, dass das Land Tirol den Auftrag im September 2020 sowie den Folgeauftrag im Frühjahr 2021 ohne Ausschreibung an die HG Labtruck vergeben hatte.

Liste Fritz Klubobfrau Andrea Haselwanter-Schneider warnt hinsichtlich dieser neuen Ausschreibung, dass das Land nicht wieder mit dem selben Unternehmen, nur unter anderem Namen, Geschäfte betreiben soll. Daher fordert sie eine Abkehr vom Billigst- hin zum Bestbieter-Prinzip: "Denn nur auf den Preis, aber nicht die Qualität zu scheuen, hat uns in diese Bredouille gebracht." Haselwanter-Schneider appelliert an die Verantwortlichen, die vier in Tirol ansässigen Fachlabore ins Boot zu holen: "An der HG Labtruck, gegen die Ermittlungen laufen, sollte das Land nicht mehr anstreifen."

Unklare Hintergründe

Wer nun tatsächlich hinter Novatium steckt, bleibt vorerst unklar. HG Pharma verwiest bei Fragen zum Unternehmen an Cakar. Fragt man nach, wo und wie dieser zu erreichen sei, wird man an die Kontaktadresse eben der HG Pharma verwiesen. Anfragen an diese Adresse blieben aber seit Montag unbeantwortet. Im Notariatsakt zur Gründung der Novatium, der dem STANDARD vorliegt, wird als Gegenstand der Unternehmung angeführt: "Dienstleistung im Zusammenhang mit der Koordinierung von Covid-Teststationen samt Ausstattung und Einrichtung von Laboren und mobilen Teststationen". Von IT-Dienstleistungen ist nicht die Rede.

Aktuell prüft die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, ob der Anfangsverdacht des schweren Betrugs gegen die Firma HG Labtruck begründet ist, die seit September 2020 mehr als die Hälfte aller Tiroler PCR-Tests durchgeführt und ausgewertet hat. Der Landes- und ab Herbst auch optional der Bundesrechnungshof nehmen zudem die Auftragsvergabe des Landes an die Firma unter die Lupe, die ohne Ausschreibung erfolgt ist und im Frühjahr 2021 ohne Ausschreibung verlängert wurde. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung. (Steffen Arora, 9.6.2021)