Pedro Sánchez ist für einen neuen Kurs in der Katalonien-Frage.

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Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez strebt "eine Aussöhnung mit Katalonien" an. Als ersten Schritt will der Chef der Linkskoalition die zwölf wegen der Abhaltung eines Unabhängigkeitsreferendums 2017 zu Haftstrafen verurteilten Unabhängigkeitspolitiker und -aktivisten begnadigen. Es soll noch vor der Sommerpause so weit sein, doch es gibt Spannungen, nicht nur innerhalb des sozialistischen PSOE, sondern auch mit der rechten Opposition: Sie wirft dem Sozialisten Sánchez den Ausverkauf Spaniens vor.

Es sei "die Zeit gekommen, Schritte zu unternehmen, um voranzukommen, nach Gerechtigkeit zu suchen, zum Wohle des Zusammenlebens", gibt sich Sánchez überzeugt. "Lassen wir die sterile Dialektik hinter uns, tauschen wir Drohungen gegen Vorschläge, egal woher sie kommen. Das neue ‚Wir‘ wird erfolgreich sein." Trotz gegenteiliger Empfehlung des Obersten Gerichts will Sánchez zumindest einen Teil der Strafe erlassen, damit die Betroffenen auf freien Fuß kommen.

Neue Partei am Ruder

Das Ziel: ein Dialog mit der katalanischen Autonomieregierung. Dieser steht mit Pere Aragonès erstmals seit Einführung der Autonomie Ende der 1970er-Jahre ein Politiker der Republikanischen Linken (ERC) vor. Die liberal-konservative Junts per Catalunya (JxCat) rund um den im Brüsseler Exil lebenden katalanischen Ex-Präsidenten Carles Puigdemont ist nun nur noch Juniorpartner in der Regierung.

Der Parteichef und einstige Vize-Regierungschef unter Puigdemont, Oriol Junqueras, begrüßt die Begnadigungsinitiative. Es seien "Gesten, die den Schmerz der Repression und das Leiden lindern können". Allerdings besteht er einmal mehr auf einer allgemeinen Amnestie für die über 3000 Menschen, die wegen Mithilfe beim Referendum 2017 gerichtlich verfolgt werden.

Junqueras verzichtet erstmals öffentlich auf eine einseitige Umsetzung der Unabhängigkeit. Die ERC will nun das, was sie den "schottischen Weg" nennen. In den kommenden zwei Jahren soll ein Referendum im beiderseitigen Einvernehmen ausgehandelt werden. Sánchez will bisher nichts davon wissen: Ihm schwebt eine stärkere Autonomie für Katalonien vor, um so die Lage zu beruhigen und die Einheit Spaniens zu wahren.

"Schwerer Fehler"

Mehrere sozialistische Landesfürsten sprechen von "einem schweren Fehler der Demokratie". Der historische Parteichef Felipe González unterstützt sie dabei. Sie alle befürchten negative Reaktionen ihrer Wähler. Die Opposition versucht dies zu nutzen: So sammelt der konservative Partido Popular (PP) von Oppositionsführer Pablo Casado Unterschriften gegen den Straferlass. Man wirft Sánchez vor, einen "politischen Preis" an die ERC zu zahlen, da diese ihn im spanischen Parlament immer wieder unterstützt, so etwa bei der Amtseinführung und bei der Haushaltsdebatte. Casado verlangt Sánchez’ Rücktritt und fordert eine "Regierung der nationalen Rettung".

Am Sonntag ruft der PP zusammen mit den rechtsliberalen Ciudadanos und der rechtsextremen Vox zu einer Protestkundgebung in Madrid. Was Casado gerne vergisst: Es war sein PP, der 2006 "zur Verteidigung der spanischen Nation" gegen ein erweitertes Autonomiestatut Unterschriften sammelte und es anschließend vor Gericht zum Kippen brachte. Die Verärgerung darüber in Katalonien machte die Unabhängigkeitsbewegung überhaupt erst mehrheitsfähig. (Reiner Wandler aus Madrid, 9.6.2021)