Die Briten laden stets in attraktive Touristengebiete ein. Diesmal wird in Carbis Bay an der Nordküste Cornwalls getagt.

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London – Am kommenden Wochenende versammeln sich die Staats- und Regierungschefs der führenden westlichen Industrienationen zum alljährlichen G7-Gipfel in der lieblichen englischen Grafschaft Cornwall. Die Erwartungen an das erste persönliche Treffen des Septetts seit zwei Jahren sind hoch, die Wettervorhersage verkündet Sonnenschein und warme Temperaturen. Ein Vorbericht über die weiteren Aussichten.

Frage: Wer nimmt teil?

Antwort: Aus Nordamerika fliegen US-Präsident Joe Biden und der kanadische Premier Justin Trudeau über den großen Teich, Europa ist durch das Kleeblatt Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien vertreten. Aus dem Fernen Osten kommen diesmal nicht nur Yoshihide Suga als Vertreter des regulären Teilnehmerlandes Japan, sondern auch die Regierungschefs von Australien, Indien und Südkorea. Sie wurden vom gastgebenden britischen Premier Boris Johnson als Beobachter eingeladen, ebenso wie Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa.

Frage: Soll also das G7-Format erweitert werden?

Antwort: Den Verdacht hegten manche Kontinentaleuropäer auch, weshalb Johnson ausdrücklich zurückrudern musste. Vor allem durch anglo-amerikanische Thinktanks geistert das Konzept der D10, also der zehn westlichen Demokratien Nordamerikas, Europas und Australasiens – Afrika bleibt außen vor. Kaum jemand bezweifelt, dass es dabei um die Eindämmung des zunehmend aggressiv auftretenden Giganten China gehen soll. Die EU bezeichnet das nationalkommunistische Regime in Peking zwar als "systemischen Rivalen", betont gleichzeitig aber die intensiven Handelsbeziehungen. Hingegen ist in Washington viel von China als "Gegner" die Rede. Wie verlässlich aber, fragen Diplomaten in Paris, Rom und Berlin, ist die Haltung der Supermacht jenseits des Atlantiks? Während Joe Biden als überzeugter Transatlantiker gilt, trat sein Vorgänger Donald Trump gegenüber den Verbündeten als ungehobelter Rotzlöffel auf. Angesichts der fortdauernden politischen Spaltung der Vereinigten Staaten bleibt eine Wiederholung des Trump'schen Albtraums eine realistische Möglichkeit.

Frage: Wo wird getagt?

Antwort: In diesem Jahrhundert haben die Briten stets in attraktive Touristengebiete eingeladen. Der Tagung 2005 im schottischen Gleneagles (Perthshire) folgte 2013 das Treffen im nordirischen Lough Erne. Diesmal fiel die Wahl auf das 3.500-Einwohner-Städtchen Carbis Bay, malerisch an einer Bucht der Nordküste Cornwalls gelegen. Dabei hat die südwestlichste Grafschaft Englands und zumal die Gegend um das zwei Kilometer weiter westlich gelegene Künstlerstädtchen St. Ives zusätzlichen Tourismus eigentlich nicht nötig, im Gegenteil. Dementsprechend geteilt sind die Meinungen der Menschen vor Ort. Radfahrer freuen sich über die sonst allgegenwärtigen, nun aber rasch beseitigten Schlaglöcher, Schulkinder fiebern einer dreitägigen Unterrichtsbefreiung entgegen, Neugierige hoffen darauf, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel oder US-Präsident Biden beim morgendlichen Schwimmen im etwa elf Grad kalten Atlantik zu beobachten. Andere murren über Ausgangsbeschränkungen ("wie in Nazi-Deutschland") und die erzwungene Fortbewegung zu Fuß: Autos dürfen nicht fahren, die Buslinien werden unterbrochen, die örtliche Bahnstation bleibt geschlossen. Hotel- und Pensionsbesitzer werden vor allem mit einquartierten Polizeibeamten gute Geschäfte machen: Insgesamt sollen 5.500 Ordnungshüter über die Sicherheit der Besucher wachen. Protestversammlungen gibt es vor Ort überhaupt nicht, demonstriert werden darf lediglich in den eine Autostunde entfernten Ortschaften Truro und Falmouth. Dort, weit weg vom Tagungsort, befindet sich auch das Medienzentrum für tausende mitreisende Journalisten und Experten.

Frage: Was steht auf der Tagesordnung?

Antwort: Vor allem zwei Themen: die Bekämpfung des Klimawandels und die wirtschaftliche Erholung von der andauernden Covid-Pandemie. Umweltgruppen hoffen auf ein konkretes Enddatum für die Verbrennung von Kohle und anderen fossilen Brennstoffen. Im Kampf gegen Sars-CoV-2 könne der Gipfel "etwas wirklich Dramatisches" erreichen, analysiert Robert Yates vom Thinktank Chatham House. Der Westen solle sich dazu verpflichten, mehr Impfstoffe an den Rest der Welt abzugeben, anstatt daheim Kinder zu immunisieren und Auffrischspritzen zu horten. Die Weltgesundheitsorganisation hofft auf umgerechnet 17,4 Milliarden Euro für das Covax-Programm. Die Rede ist außerdem von einem Technologietransfer, der Entwicklungsländern ermöglichen würde, Corona-Impfstoffe günstig vor Ort herzustellen.

Frage: Und außerdem?

Antwort: Von seinen Vorgängern hat Johnson ein langfristiges Thema der Entwicklungspolitik geerbt: die Schulbildung von Mädchen in armen Ländern des globalen Südens besonders zu fördern. Das hehre Ziel bleibe "eine hohe Priorität unseres Premierministers", beteuert ein Regierungsinsider. Einen Erfolg haben den Staats- und Regierungschefs bereits ihre Finanzminister beschert: die Einigung auf eine weltweit gültige Steuer auf digitale Dienstleistungen sowie die Mindestbesteuerung für global agierende Großkonzerne von 15 Prozent. Wie beim Thema Covid und Klima wird sich aber erst im Dialog mit dem Rest der Welt, vor allem mit China, herausstellen, wie viel der erzielte Deal wirklich wert ist.

Joe Biden ist bereits in Großbritannien, am Mittwoch hielt er eine Rede vor US-Soldaten vor Ort
DER STANDARD

Frage: Was erhofft sich der Gastgeber? Was erwarten die Gäste?

Antwort: Die Briten, deren rasches Impfprogramm im Frühjahr Schlagzeilen machte, wollen auch für den Rest der Welt aufs Tempo drücken. Bis Ende nächsten Jahres, lautet Johnsons Parole, solle "die ganze Welt geimpft" sein. Beim Thema Klimaschutz braucht der Gastgeber schon deshalb Fortschritte, damit das UN-Treffen COP 26 im November im schottischen Glasgow zum Erfolg wird. Der Premierminister steht knapp zwei Jahre nach seinem Amtsantritt international noch immer auf dem Prüfstand. Unbeantwortet blieb bisher die Frage, was es mit dem gern beschworenen "globalen Britannien" nach dem Brexit auf sich hat. Man wolle die Fähigkeit als "pragmatischer Problemlöser und Säule internationaler Zusammenarbeit" demonstrieren, sagt ein Regierungsvertreter. Beim Vorabtreffen mit Biden am Donnerstag muss Johnson deutlich machen, dass sein Flirt mit dessen Vorgänger Donald Trump realpolitisch begründet war und nicht auf echten Gemeinsamkeiten beruhte. Weil beide Seiten die von Trump mit Füßen getretene transatlantische Freundschaft stärken wollen, kann der Premier bei diesem Thema punkten. Bei vielen Europäern gilt Johnson als Schaumschläger und unsicherer Kantonist; der anhaltende Streit mit der EU-Kommission über Nordirland beruht Brüssel zufolge auf Londons mangelnder Vertragstreue. Den Anrainern Chinas wiederum wird daran gelegen sein, ein wenig mehr zu hören über die vorsichtige Abkehr Europas vom Regime in Peking. (Sebastian Borger, 10.6.2021)