Der Große Schwurgerichtssaal im Landesgericht für Strafsachen Wien ist Schauplatz eines Verfahrens um ein versuchtes Tötungsdelikt.

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Wien – Der Fall von Frau S. erinnert beinahe an die "Chronik eines angekündigten Todes" von Literatur-Nobelpreisträger Gabriel García Márquez. Am Nachmittag des 17. Oktober wäre die 29-Jährige laut Staatsanwältin Veronika Standfest beinahe von ihrem Ex-Lebensgefährten Remus P. getötet worden – fünf Jahre nach der ersten Anzeige gegen den Mann und wenige Wochen nach seiner Verurteilung wegen Morddrohungen und Stalkings.

Am Tag vor seinem Geburtstag bekennt sich der 41 Jahre alte P. vor dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Nicole Baczak "teilweise schuldig". Eigentlich habe er seine Ex-Freundin, mit der der Rumäne eine zehnjährige Tochter hat, damals nur "erschrecken" wollen – mit einem extra gekauften Fleischmesser mit 20 Zentimeter langer Klinge. Nötigung und gefährliche Drohung gibt der zweifach Vorbestrafte also zu – eine Tötungsabsicht bestreitet er jedoch. Obwohl Frau S. am Ende sieben Stich- und Schnittwunden hatte – im Kopfbereich, an den Armen, am Oberkörper und im Oberschenkel.

Familie kam 2015 nach Österreich

Der von Martin Mahrer verteidigte P. erzählt dem Gericht, er sei seit 13 Jahren mit S. zusammen, sie war zu Beginn der Beziehung demnach 16. Drei Jahre später kam das gemeinsame Kind zur Welt, im Jahr 2015 übersiedelte die Familie nach Österreich. "Warum sind Sie gekommen?", fragt die Anklägerin. "Ich bin mit meiner Frau gekommen. Sie hat gearbeitet. Ich auch gelegentlich", lässt P. übersetzen.

Die Beiträge zum Haushaltseinkommen waren recht unterschiedlich gewichtet. S. verdiente als Prostituierte zwischen 4.000 und 5.000 Euro im Monat. Der Angeklagte sagt, er habe mit Gebrauchtwagen gehandelt. Auf die Frage, wie viele Geschäfte er in den fünf Jahren abgewickelt habe, kann er sich nur an eines erinnern: Er habe ein Auto um 700 Euro gekauft und um 1.300 Euro verkauft. Dass er viel Geld im Kasino und in Automatenlokalen verspielt hat, gibt er zu.

Verfahren wurde eingestellt

Bereits im Herbst 2015 wurden die Behörden auf das Paar aufmerksam. Als Frau S. die für Sexarbeiterinnen vorgeschriebene Untersuchung beim Gesundheitsamt absolvierte, wurden zahlreiche Blutergüsse an ihrem Körper entdeckt. Sie werde regelmäßig von P. geschlagen, sagte sie damals, die Staatsanwaltschaft startete ein Verfahren. Das eingestellt wurde, da S. neuerlich bei der Polizei erschien und sagte, die Verletzungen würden gar nicht vom nun Angeklagten stammen, und sie wolle keine Verhandlung. Die Tochter wurde dennoch zur Großmutter nach Rumänien geschickt.

Ende August 2020 zeigte S. den Angeklagten dann doch an: Er habe sie mehrmals mit dem Umbringen bedroht, falls sie sich von ihm trenne, und sie beharrlich verfolgt, als sie diesen Schritt doch machte. Sieben Monate bedingte Haft hat P. in der Zwischenzeit dafür bekommen. Im September wollte der Angeklagte S. an ihrem Arbeitsplatz besuchen, sie war an diesem Tag aber nicht da. "Ich wollte mit ihr reden. Sie hat mich auf Whatsapp blockiert", sagt P. nun dazu.

Treffen für Übersetzungen und Unterschrift

Vom 12. bis zum 16. Oktober versuchte P. seine Ex-Freundin mehrmals zu Treffen zu überreden. Er benötige Hilfe bei der Übersetzung von Schriftstücken, erzählte er ihr. S. lehnte das aus Angst zunächst ab und bot dem Angeklagten an, er solle ihr Bilder der Briefe schicken. Am Morgen des 17. Oktober gelang es P. dann doch, S. zu einer persönlichen Begegnung zu überreden – vereinbart wurde, sich in Wien-Meidling in seinem Auto zu treffen. Die Frau hoffte auch, dass P. dabei den Passantrag für die Tochter unterschreiben würde, damit diese in den Ferien nach Österreich kommen kann.

"Warum wollten Sie sie treffen?", fragt Vorsitzende Baczak. "Ich habe sie vermisst, ich wollte sie sehen", antwortet P., der bei seiner Einvernahme dreimal zu schluchzen beginnt. Seiner Darstellung nach habe S. begonnen, die Briefe zu übersetzen. "Ich habe gesagt, wir sollten nach Hause gehen, zu unserer Tochter. Und sie sollte mit der Prostitution aufhören", behauptet der Angeklagte. Es sei zu einem Streit gekommen, er habe dann das kurz davor gekaufte Fleischmesser genommen und S. gedroht, versucht der Angeklagte die Geschworenen zu überzeugen. "Ich wollte ihr das Messer zeigen, damit sie nach Hause kommt."

"Frau tot. Ich habe Frau umgebracht"

Zwei bis vier Mal habe er zugestochen, S. habe geblutet. Er habe aber noch ihre Tür aufgemacht, sie sei ausgestiegen und habe ihn noch stumm angesehen, ehe sie ging. "Was machen Sie?", will Baczak wissen. "Ich bin zur Polizei gefahren." – "Warum haben Sie ihr nicht geholfen?" Der Angeklagte weicht aus. Tatsächlich fuhr er zu einer Polizeiinspektion in Wien-Favoriten, betrat sie mit erhobenen Händen und sagte mehrmals: "Frau tot. Ich habe Frau umgebracht." Das liege an seinen mangelnden Sprechkenntnissen, sagt er dazu vor Gericht. Er habe eigentlich "verletzt" gemeint.

Die Verletzte schilderte bei der Polizei dagegen, der Angeklagte habe im Auto nach hinten gegriffen, als sie mit der Übersetzung begonnen habe. Als sie schaute, was er machte, habe er das Messer erhoben, sie gefragt, ob sie mit ihm zusammenbleiben wolle, und dann sofort zugestochen. Da sie sich zusammenkrümmen und ihn schließlich mit den Füßen wegstoßen konnte, habe sie überlebt. Ihrer Privatbeteiligtenvertreterin zufolge leidet S. heute noch an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung und hat entstellende Narben im Gesichtsbereich. Da sie bisher nicht einvernommen werden konnte, wird der Prozess auf den 13. Juli vertagt, auch Gutachter sollen dann zu Wort kommen. (Michael Möseneder, 10.6.2021)