Dass Computerspiele alle möglichen Schäden an Körper und Geist bei insbesondere jungen Dauerspielern anrichten sollen, ist eine immer wieder vorgebrachte Warnung, die freilich nur auf wackeligen Beinen steht. Psychologen befürchten Spielsucht, Kontaktarmut und abnehmende Schulleistungen, Orthopäden sehen zunehmende Haltungsschäden und Neurowissenschafter wollen gar negative Folgen für das Gehirn beobachtet haben.

Dabei haben Videospiele durchaus auch leistungssteigernde Wirkungen, wie schon frühere Studien gezeigt haben und eine aktuelle Untersuchung erneut untermauert. Deutsche Wissenschafter konnten dabei unter anderem zeigen: Je mehr wir spielen, desto besser können wir auf einen Blick eine Anzahl an Gegenständen abschätzen. Dieser Effekt beruht wahrscheinlich auf verbesserten Aufmerksamkeitsprozessen im Gehirn, schreiben die Neurowissenschafter Joana Stäb und Uwe Ilg von der Universität Tübingen im Fachjournal "Addiction Biology".

Mit der Anzahl an Spielstunden pro Woche verbessert sich die Fähigkeit, Mengen richtig zu schätzen, berichten Tübinger Forscher.
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Trainierbarer Zahlensinn

Die Fähigkeit, auf einen Blick Mengen einzuschätzen, ist angeboren. Wir müssen nicht jeden Apfel einzeln abzählen, um festzustellen, dass drei Stück im Einkaufswagen liegen. Der sogenannte Zahlensinn verhält sich ganz ähnlich wie unsere anderen Sinne: Je kleiner der Unterschied zwischen zwei Reizen ist – etwa in der Mengengröße oder Tonhöhe –, desto schlechter können wir ihn einschätzen. "Wir können allerdings unsere Wahrnehmung trainieren. Musiker zum Beispiel nehmen sehr feine Unterschiede in der Lautstärke wahr", erklärt Stäb. "Es interessierte uns, ob sich auch der Zahlensinn trainieren lässt."

Um dies herauszufinden, rekrutierten die Forscher passionierte Computerspieler, die mehr als vier Stunden pro Woche mit ihrem Hobby verbrachten. Als Kontrollgruppe dienten Personen, die deutlich weniger Zeit mit Videospielen verbrachten. Während des Experiments sahen beide Probandengruppen zwei Kreise mit Punkten auf einem Bildschirm. Sie mussten jeweils spontan angeben, in welchem Kreis sich mehr Punkte befanden.

Deutlicher Unterschied zu Nichtspielern

Das Ergebnis: Bei den Versuchsdurchgängen, in denen sich die Menge der Punkte in beiden Kreisen nur minimal unterschied, waren die Computerspieler eindeutig überlegen. Hier konnten sie den Unterschied viel besser erkennen. Je mehr sie pro Woche spielten, desto feiner war ihre numerische Auflösung. "Vereinfacht ausgedrückt: Computerspieler können intuitiv und ohne nachzuzählen besser unterscheiden, ob mehr Äpfel oder mehr Orangen im Einkaufswagen liegen," sagt Ilg. "Die Fähigkeit, Mengen auf einen Blick zu schätzen, lässt sich also tatsächlich trainieren."

Das Team geht davon aus, dass Computerspielen Einfluss darauf hat, wie unser Gehirn die Aufmerksamkeit lenkt und kontrolliert. "Wir wissen aus weiteren Studien, dass Videospielen auch andere kognitive Fähigkeiten verbessert, wie etwa die Zeitwahrnehmung oder das Arbeitsgedächtnis", so Ilg. Beide Hirnforscher rufen dennoch zum mäßigen Spielen auf. "Jede Medaille hat zwei Seiten – exzessives Computerspielen kann in Abhängigkeit münden, dies ist offiziell als Krankheit anerkannt."

Wer das alte chinesische Strategiespiel Go perfekt beherrscht, ist ein Meister der Denkarbeit. Das zeigt eine neue Studie an der Universität Trier.
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Go-Spieler sind unerreicht

Wenn es um kognitive Fähigkeiten geht, bewegen sich Spieler eines ganz anderen Spieles freilich in gänzlich unterschiedlichen Sphären, wie eine internationale Studie darlegt: Go-Spieler, über deren kognitive Fähigkeiten im Unterschied zu Schachspielern bisher wenige wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, sind die "Meister der Denkarbeit", berichten Forscher von der Universität Trier im Fachjournal "Advances in Cognitive Psychology".

Diesen Schluss zog ein Team um Marc Oliver Rieger und Mei Wang aus der den Ergebnissen des Cognitive Relation Tests (CRT), den sie 327 Spielerinnen und Spielern während zweier Go-Turniere in Europa vorgelegt hatten. Mit diesem Test wird untersucht, ob Probanden zu einem intuitiven oder zu einem durchdachten, also kognitiv reflektierten Handeln neigen. Die 327 teilnehmenden Go-Spieler erreichten die höchsten bisher in einer Studie gemessenen CRT-Werte.

Im Bevölkerungsdurchschnitt liegt er bei 0,7, während Studierende amerikanischer Topuniversitäten auf etwa 2,0 kamen. Bei den Spitzenspielern der beiden Go-Turniere ermittelten die Wissenschafter einen CRT-Wert von 2,8. Der Durchschnittswert aller Go-Turnierspieler war 2,51. Nach den Erkenntnissen der Studie scheint kognitive Reflektion ein zentraler Erfolgsfaktor im Go-Spiel zu sein.

Kognitive Reflektion nicht trainierbar

Die Resultate zeigten aber auch, dass diese Eigenschaft nicht antrainiert ist wie der Zahlensinn der Videospieler. So wirkt sich häufiges Go-Spielen nicht zwangsläufig positiv auf den CRT-Wert aus. Das sieht in dem zweiten von den Wissenschaftern untersuchten Kognitionsbereich, der "Theory of Mind", anders aus. Rieger und Wang stellten fest, dass diejenigen, die oft oder seit vielen Jahren Go spielen einen höheren "Theory of Mind"-Level erreichen. Gut trainierte Go-Spieler sind also besser darin, die Gedanken und Absichten anderer zu erkennen und deren Handlungen zu erahnen als Gelegenheitsspieler oder Anfänger. Eine Verbindung von "Theory of Mind" mit der Spielstärke ließ sich dagegen nicht erkennen.

Das aus China stammende Go gilt als eines der ältesten und komplexesten Denk- und Strategiespiele. Während im Schach bereits im Jahr 1996 erstmals ein Mensch von einem Computer besiegt wurde, gelang dies im Go erst 2016. Nach Zahlen des britischen Go-Verbandes wird es weltweit von über 100 Millionen Menschen gespielt. Unter den westlichen Ländern ist Go in Deutschland mit am populärsten. (red, 12.6.2021)