Bis die Knochen krachen: Kampfkunst in "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?".

Foto: Anna Stöcher

Halt die Klappe, du Mistbock!" – auch am Theater wird nicht nur schön gesprochen. Ganz besonders gilt das für das Nahkampfkammerspiel Wer hat Angst vor Virginia Woolf? von Edward Albee, uraufgeführt 1962. Dort erhebt sich die Institution der Ehe als hemmungsloses Duell zweier (leider) miteinander verheirateter Zerberusse. Legendär wurde die Darstellung von Elizabeth Taylor und Richard Burton im Film.

An Dynamik und Bösartigkeit lässt es auch die Inszenierung von Susanne Lietzow im Theater an der Gumpendorfer Straße (TAG) nicht fehlen. Auf vier verdächtig weichen Sitzpölstern treffen die einladenden und die zu Gast seienden Ehepaare aufeinander. Dazu viel kaltes Licht aus stets geöffneten Kühlschränken und -truhen, die eine unversiegbare Quelle an Digestifs einerseits und Eiswürfeln andererseits abgeben (Ausstattung: Marie-Luise Lichtenthal).

Die Muskulatur spricht

Lange Zeit denkt man angesichts der Spritzschutzplane im Hintergrund, dass hier im Verlauf des über zweistündigen Abends wohl noch jemand geschlachtet wird. So weit kommt es dann doch nicht. Aber die Damen und Herren müssen sämtliche Kniescheiben und Lungenflügel zusammenhalten, damit sie diese Nacht hier überleben. Es wird knapp! Denn in einer mit deftigen Knochenbrüche-Sounds unterlegten Wrestlingfantasie werden die Leiber der akrobatisch wahrlich fitten Schauspieler letal zugerichtet (Choreografie: Michael Kovac, Ricky Sky). Wie gut also, dass es nämliche Sitzmöbel gibt.

Die akrobatisch denkwürdige und bis zur Selbstironie überstrapazierte Nummer ist aber nicht die einzige Form, mit der Lietzow diesem sprechlastigen Vierpersonenstück zu Leibe rückt. Die Körper der Spieler werden auch ohne Nahkampf zu Figurinen ihrer inneren Haltung. Der junge Professor Nick (Raphael Nicholas), angewidert und doch fasziniert von der kriegerischen Auseinandersetzung der Gastgeber, vermag seine Surflehrermuskulatur allzeit subtil in Szene zu setzen.

Unendlicher Spaß

Michaela Kaspar (Martha) lässt in der Grandezza ihres Tochter-aus-gutem-Haus-Images jederzeit eine tiefsitzende Martial-Arts-Sehnsucht aufblitzen. Jens Claßen trägt als George seinen abgewetzten dicken Band von David Foster Wallace’ Unendlicher Spaß als unterschwellig drohenden Albtraum durch den Raum. Und die eleganten Gliedmaßen von Sweety (Lisa Schrammel) baumeln schon beim zweiten Glas Cognac so herrenlos herum, dass es gar nicht verwundert, wie hier auch die Seelen aus dem Leim gehen.

Selten werden Schauspielerinnen und Schauspieler an Mittelbühnen so spezifisch herausgefordert. Mit Körperbeherrschung ist es aber nicht getan: Am Bühnenrand steht ein Mikrofonständer. Und als gäbe es kein Morgen, tragen die von ihren eigenen unerfüllten Ansprüchen zugerichteten, trinkmächtigen Upper-Class-Figuren dort ihre Empfindungen nach außen. Sie schicken ihrem Tun beachtliche Gesänge hinterher. Lisa Schrammel intoniert schließlich den Titanic-Titelsong MyHeart Will Go On so inbrünstig, dass sich selbst Céline Dion warm anziehen muss. Da wird etwas geboten! (Margarete Affenzeller, 11.6.2021)