Die Biber kamen über Nacht. Während die Architekturwelt auf Museen und Arenen schaute und die neuesten Hochhäuser anhimmelte, arbeiteten die Biber leise an der tatsächlichen Revolution. Biber – so lautet die Abkürzung für Bildungsbereich.

Ihre Verbündeten sind die Mufus, das saloppe Kurzwort für Multifunktionsflächen. Das klingt nach ganz unrevolutionärem Bürokratendeutsch. Ist es auch, aber genau das war der Trick. Das 2009 eingeführte Campusmodell der Stadt Wien, 2013 zum Campus plus erweitert, machte den Schulbau in den 2010er-Jahren zu einem Experimentierfeld, bei dem alles hinterfragt, durchgefegt und umgestülpt wurde.

Es verschwanden die endlosen Korridore, es war das Ende des scheinbar unsterblichen kaiserlich-königlichen Klassenzimmers mit seinen strikt genormten neun mal sieben Metern und seinen paragrafenscharf festgelegten Waschbecken-Schwamm-Ensembles. Klassenzimmer wurden zu Clustern mit Marktplätzen in der Mitte, Zimmer wurden zu Bereichen, Wände wurden zur Seite geschoben, Türen blieben offen. Alles war potenzieller Lernraum.

Das von der Künstlergruppe Gelitin modellierte Myx übernimmt die Aufsicht
im Hof des Wiener BG/BRG/Borg Lessinggase von Burtscher Durig Architekten.
Foto: Bruno Klomfar

Fraktale, Gerüste, Landschaften

Ein erstes Rumoren war in den frühen 1990er-Jahren schon zu spüren gewesen, als die Stadt Wien, namentlich der damalige Stadtrat Hannes Swoboda, das Schulbauprogramm 2000 ins Leben rief. Etablierte Größen wie Gustav Peichl und Boris Podrecca, Newcomer wie Rüdiger Lainer und Henke Schreieck, Architekten und eigensinnige Individualisten wie Helmut Richter und Günter Domenig realisierten damals Schulbauten.

Knapp 20 Jahre später wuchs Wien um ein Vielfaches schneller. Jetzt war es nicht die Architektur, die durch ihre Gestaltungsmagie althergebrachte Pädagogikkonzepte anreichern sollte. Stattdessen führten die Pädagogen selbst die Revolution an und schrieben das Programm. Ihre Ideen kamen nicht aus dem Nichts.

Die "bewegte Lernlandschaft" wurde schon in den 1990er-Jahren in Dänemark umgesetzt, und in den Niederlanden wurde mit den Vensterscholen die Kombination von Kindergarten, Schule und öffentlichen Einrichtungen erprobt.

Die Biber-Revolution brachte Österreichs Architekten dazu, neue Raumkonfigurationen zu entwerfen: Der fraktal ausfächernde Bildungscampus Sonnwendviertel von PPAG, das für alles offene Raumgerüst des Bildungscampus Attemsgasse von Querkraft, die weit ausgreifenden Bildungslandschaften von Fasch und Fuchs Architekten wie die Bundesschule Seestadt Aspern (siehe Interview).

Das Bevölkerungswachstum lässt den Bedarf an Schulen und Kindergärten nicht nur in den neuen Quartieren steigen, sondern auch in den Innenstadtbezirken. Dort braucht es oft einiges an Architektur-Akrobatik, um den zusätzlichen Raum in engen Lücken unterzubringen.

Das BG/BRG/Borg Lessinggasse von Burtscher Durig Architekten erweitert den Schulhof auf die zur Fußgängerzone gewandelte Straße, im Innenhof wird die sachlich-anthrazitfarbene Optik durch das grüne Glubschaugen-Monster Myx der Künstlergruppe Gelitin belebt.

"Netzwerk von Lernorten"

Lorenzateliers stapelten die Ganztagesvolksschule Breitenfurter Straße auf einen Großsupermarkt, und das Büro Raumkunst verschaffte der erweiterten Grundschule Novaragasse Freiraum über den Dächern der Leopoldstadt. Aber auch außerhalb der Hauptstadt ist der Bildungsbau zu einer heimlichen Königsdisziplin geworden.

Loris Malaguzzi, der italienische Frühpädagogikpionier, prägte den Begriff vom "Raum als drittem Pädagogen". Heute trifft das ganz besonders zu, wenn sich Schule, Stadt und Landschaft zu Lernräumen verbinden, die sich ständig anpassen und verändern. Dies ist auch einer der Gründe, warum die Architekturtage 2021/22 sich ganz dem Thema Bildung verschrieben haben.

Für Christian Kühn, den Vorsitzenden der Architekturstiftung Österreich, ist jedenfalls klar, dass "neue Herausforderungen passende Räume brauchen, beginnend in Kindergärten über Schulen bis hin zur universitären Bildung. Bildung findet heute in einem Netzwerk von Lernorten statt, das den öffentlichen Raum maßgeblich erweitern und bereichern kann." (Maik Novotny, 11.06.2021)


Kommentar:

Das Schulgebäude als kulturelles Wohnzimmer

Schulen erleben heute einen Moment großer Veränderung. Galt es früher, das kulturelle Erbe an möglichst viele Menschen weiterzugeben, geht es heute vor allem darum, gemeinsame Bedeutungssysteme aufzubauen und Selbstverantwortung zu stärken.

Mit der Ausweitung der Schulzeit verschiebt sich auch der Fokus auf das Verständnis des Schulgebäudes als Lebensort, als Ort des Wohlbefindens, als kulturelles Wohnzimmer. Und damit richtet sich die Aufmerksamkeit der Bildungswelt mehr und mehr auf die materielle, physische und sensorische Dimension von Räumen. Oder, wie Loris Malaguzzi meinte: "Der Raum ist der dritte Pädagoge."

In der Tat ist der Raum sehr redselig. Er beschreibt implizite und explizite Haltungen, er spiegelt Werte und Machtgewichte wider. Und ja, der Raum ist ein geradezu formidables pädagogisches Werkzeug, um die Bildungsbotschaften und Ziele zu stärken.

Beate Weyland (50) ist Professorin für Allgemeine Didaktik an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Freien Universität Bozen. Sie leitet das Kollektiv Padlivinglab, das Schulen bei Neubau, Renovierung und Aneignung von Schulgebäuden unterstützt.
Foto: privat

"Phase null"

Dank einer neuen, partizipativen Planungskultur und mittlerweile etablierten "Phase null" – also der genauen Analyse von Wünschen und Bedürfnissen, bevor man überhaupt nur daran denkt, einen Wettbewerb zu starten – beginnt auch die Bildungswelt zu verstehen, dass moderne Pädagogik und innovative, hochwertige Architektur nicht mehr voneinander zu trennen sind.

Allerdings: Noch hängt das Einfügen der pädagogischen Aspekte sehr stark von einzelnen Menschen ab – ob das nun Bürgermeister, engagierte Lehrer oder Architekten mit einer gewissen Sensibilität für das Thema sind. Auf bildungspolitischer, übergeordneter Ebene tut sich noch zu wenig. Ein nachhaltiger Erfolg ist aber nur dann möglich, wenn pädagogische Fachkräfte, Schuldirektionen, Architekturschaffende, Wettbewerbskommissionen und öffentliche Auftraggeber gemeinsam an einem Strang ziehen. Die einen müssen lernen, Pläne zu lesen. Die anderen müssen sich mehr pädagogische Kenntnis aneignen.

Um das Bewusstsein für den Dialog zwischen Pädagogik und Architektur zu schärfen, haben wir gemeinsam mit Architekt Michael Zinner von der Kunstuniversität Linz das Online-Magazin NAB Notizen zu Architektur und Bildung ins Leben gerufen. Damit wollen wir die Menschen dazu einladen, mit uns über den Raum als dritten Pädagogen nachzudenken. (Beate Weyland, 11.06.2021)

Links:

nAB

Padlivinglab