STANDARD: Wenn Sie an Ihre eigene Kindheit zurückdenken, was fällt Ihnen da als Erstes ein?

Fasch: Meine Kindheit war sehr frei. Ich wurde liberal erzogen. Ich durfte tun, was ich wollte beziehungsweise was ich für richtig hielt. Der Eintritt in die Schule war ein Paradigmenwechsel. Ich bin in eine Kloster schule gegangen, lauter kleine Klassen, überfüllt mit Bänken, starke Hierarchie, brav sein müssen, körperliche Bestrafung – und ich würde sagen, dass mein Interesse für den Schulbau in dieser Zeit begonnen hat zu wachsen. Ich wollte es besser machen.

Fuchs: Ich bin in Tirol einige Jahre in eine Schule gegangen, die in einem Ausweichquartier untergebracht war, dafür aber auch in die großartige Modellschule Wörgl von Viktor Hufnagl und Fritz Gerhard Mayr.

STANDARD: Mit Ihrem Büro Fasch & Fuchs haben Sie bislang mehr als 60 Schul- und Bildungsbauten geplant, ein Drittel davon wurde realisiert. Wie kam dieser Arbeitsschwerpunkt zustande?

Fuchs: Einerseits: Schulbauten faszinieren uns, haben uns immer schon interessiert. Andererseits gibt es wahrscheinlich keine öffentliche Bauaufgabe, die öfter und regelmäßiger ausgeschrieben wird als Schulen. Wir hatten das Glück, von Anfang an viele dieser Schulwettbewerbe zu gewinnen.

Außen eingebettet in die Landschaft des Stubaitals...
Foto: Hurnaus

STANDARD: Wie plant man heute eine Schule? Was sind die größten Unterschiede zu früher?

Fasch: Keine Gänge, keine 63 Quadratmeter großen Klassenzimmer, sondern Marktplätze und Lernzonen mit einem offenen, flexiblen Raumkonzept, bei dem sich die Schülerinnen und Schüler nach Belieben frei entfalten können – ob das nun in einem klassischen Frontalunterricht ist, in kleinen Arbeitsgruppen oder im selbstständigen Aneignen von Dingen, indem man sich einen Sitzsack oder eine Matratze schnappt und sich damit irgendwo hinlegt, vielleicht sogar hinaus ins Freie.

Fuchs: Hinter dieser räumlichen Form von Schule steht eine neue Pädagogik, die nicht mehr einen standardisierten Unterricht vorgibt, sondern die Kinder und Jugendlichen in Selbstermächtigung und Eigenverantwortung unterstützt.

Fasch: Vor ein paar Jahren haben wir uns ein paar innovative Schulbauten in Dänemark angeschaut. In der Øresund-Schule waren wir richtiggehend begeistert, dass es dort gar keine Klassenräume mehr gab, sondern nur noch Zonen und Landschaften. Diese Schule hat uns stark beeinflusst und prägt unsere Arbeit bis heute.

STANDARD: Wie äußert sich das?

Fasch: Offenheit, Transparenz, Nischen, Schiebetüren, verschiedene Zonierungen, flexible und innovative Möbel, die sich von Raum zu Raum unterscheiden – und ganz allgemein die Möglichkeit, die Wahl zu haben, wie man gerade lernen oder nicht lernen will, ob das nun allein, zu zweit oder in der Gruppe ist.

Fuchs: Früher waren Tische und Sessel immer sehr schwer. Heute sind die Möbel so gestaltet, dass man sie leicht drehen, schieben, öffnen, schließen oder sogar heben und umdrehen kann. Das erlaubt viel mehr Gestaltungs- und Lernmöglichkeiten als früher.

STANDARD: Bei den Bundesschulen wird die Innenraumplanung aus dem Auftrag ausgeklammert und eigens ausgeschrieben …

Fuchs: Ja, bei den Bundesschulen erfolgt die Möblierung über die Bundesbeschaffung GmbH. Da gibt es ein begrenztes, für die neuen Lernformen nicht mehr passendes Angebot. Leider! In den Gemeindeschulen ist die Situation zum Glück anders. Meistens wünscht sich die Schulleitung, dass wir die Möbel mitentwickeln und die Schulräume bis ins kleinste Detail durchplanen.

...innen Resultat einer neuen Lernlandschaft: Der Schulcampus in Neustift ist nominiert für den Mies van der Rohe Award 2022.
Foto: Hurnaus

STANDARD: Ein häufiges Diskussionsthema in der Bildungsarchitektur ist, ob und inwiefern Architektinnen und Pädagogen zusammenarbeiten. Wie ist das in Ihrem Fall? Inwiefern sind die innovativen Raum- und Funktionsprogramme auf die Bedürfnisse von Lehrern und Pädagoginnen abgestimmt?

Fasch: Spannende Frage! Oft ist es so, dass die Architektur dem wissenschaftlichen Stand der Dinge hinterherhinkt, ob das nun im Wohnbau, im Krankenhausbau oder in der Planung eines Heizkraftwerks ist. Im Schulbau haben wir es nun mit dem Phänomen zu tun, dass die Architektur mit der pädagogischen Entwicklung Hand in Hand greift – und manchmal sogar räumlich ermöglicht, was sich pädagogisch später erst entwickeln kann. Wenn wir die Möglichkeit haben, ein Schulprojekt gemeinsam mit den Nutzerinnen und Nutzern zu entwickeln, dann ist das eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Manchmal passiert es aber auch, dass wir eine Schule planen, wenn nicht einmal noch das pädagogische Team feststeht.

STANDARD: Wie finden Raum und Lernen in so einem Fall zueinander?

Fasch: Wir bieten den Lehrerinnen immer an, nach einer kurzen Eingewöhnungsphase einen Workshop direkt vor Ort zu machen, in dem wir unser Konzept erklären und uns mit den Lehrern austauschen können.

STANDARD: Hilft das?

Fasch: Sehr! Manchmal ist es wirklich so, dass die Pädagogen überfordert sind oder mit den neuen Lernräumen, die wir planen, noch nicht umgehen können. Schulungen sind absolut notwendig.

Fuchs: Noch besser wäre es natürlich, wenn so eine Ausbildung nicht erst beim Bezug eines neuen Schulhauses passiert, sondern im Rahmen des pädagogischen Studiums. Das ist bis heute leider nicht der Fall.

Fasch: Manchmal sind wir aber auch überrascht, wie gut die Aneignung funktioniert. Vor ein paar Wochen waren wir wieder in unserem Schulcampus in Neustift im Stubaital zu Besuch, und plötzlich sehen wir, dass die Lehrerinnen und Schüler die großen Glasfassaden zum Hauptplatz hin als Ausstellungsfläche genutzt haben. Da standen Figuren und Modelle, die im Kunst- und Werkunterricht geschaffen wurden. Das hat mich sehr berührt.

Schulbauplaner Jakob Fuchs und Hemma Fasch.
Foto: Günter Richard Wett

STANDARD: Wo steht der österreichische Schulbau im internationalen Vergleich?

Fuchs: Vor einiger Zeit haben wir einen internationalen Preis für unser Gymnasium in der Seestadt Aspern gewonnen, und wir hören immer wieder, dass der österreichische Bildungsbau im internationalen Spitzenfeld liegt. Zwar gibt es weltweit mitunter sogar noch spannendere, noch innovativere Schulbauten, aber meistens handelt es sich dabei um ein paar vereinzelte Privatschulen. In Österreich weht der frische Wind durch die öffentlichen Pflichtschulen. Das ist schon beachtlich.

STANDARD: Was sind aktuelle Trends im Bereich Bildungsbau, die Sie heute beobachten? Wie werden wir morgen lernen?

Fasch: Die OECD hat einen Katalog mit pädagogischen Empfehlungen herausgegeben. Im Wesentlichen geht es darum, dass Schulbauten sowohl Lernen in der Gruppe als auch selbstständiges Lernen ermöglichen und fördern sollen, dass alters- und schulklassenübergreifende Vernetzung möglich sein soll, dass der Jugendliche nicht mit Wissen überschüttet, sondern in seiner eigenen Neugier und Entwicklung begleitet werden soll. Ziel ist, sich das Wissen und Lernen selbst anzueignen. Gute Architektur ist imstande, diese Qualitäten zu fördern.

STANDARD: Und was wollen Sie selbst noch lernen?

Fuchs: Ich bin definitiv neugierig und offen für alles.

Fasch: Ich will von anderen Kulturen lernen und mir noch mehr Wissen und Praxis über unterschiedliche Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens aneignen. Von anderen Kulturen kann man sich diesbezüglich noch was abschauen! (Wojciech Czaja, 13.06.2021)