Der Pilz mit dem weiß getüpfelten, roten Hut ist giftig und rätselhaft

Foto: imago images/Westend61/Erich Kuchling

Warum Amanita muscaria eine Sonderstellung im Reich der Pilze einnimmt, ist wohl hauptsächlich seinem unverwechselbaren Äußeren zu verdanken. Der Fliegenpilz mit seinem roten, weiß getupften Schirm hat Kinderlieder, Sagen und Märchen inspiriert und hat es trotz seiner Giftigkeit sogar zum Glücksbringer gebracht – einige meinen, gerade wegen seiner Giftigkeit: Der Fliegenpilz schützt sich mit den Nervengiften Muscimol, Muskarin und Ibotensäure.

Diese Wirkstoffe können die Herztätigkeit verlangsamen, Schweißausbrüche, Schwindel und Gehstörungen verursachen. Außerdem können die Substanzen Sinnestäuschungen, Wutanfälle und Bewegungsdrang auslösen. Die Germanen sollen den berauschenden Pilz "Wotans Fleisch" genannt und ihn zu den Feiern der Julzeit benutzt haben. Die Konzentration der Giftstoffe schwankt, was manchmal dazu führt, dass selbst kleine Stücke von dem Pilz gefährliche Auswirkungen haben können.

Vanadiumsammler

Eine weitere Besonderheit des Fliegenpilzes ist, dass er dazu neigt, extrem hohe Mengen des Metalls Vanadium anzureichern – und zwar bis zu tausendmal mehr als bei anderen Pilzen. Das begehrte Übergangsmetall, das in vielen Legierungen verwendet wird, ist in der Natur für viele Lebewesen essenziell und spielt etwa bei der Steuerung von Enzymen der Phosphorylierung eine Rolle. Von Bakterien wird es zur Stickstofffixierung genutzt, es gilt jedoch noch immer als wenig erforschtes Element, dessen biologische Funktion noch nicht restlos geklärt ist.

"Dass Vanadium im roten Fliegenpilz in Form der Vanadiumverbindung Amavadin vorhanden ist, ist seit längerem bekannt – allerdings wissen wir noch nicht, welche Funktion die Verbindung in den Pilzen hat", sagte Simone Bräuer, analytische Chemikerin an der Universität Graz. Es mangelte bereits an den grundlegenden Daten, da es bisher keine verlässliche Methoden zur genauen Untersuchung der Verbreitung und Biosynthese von Amavadin gab.

Entscheidende Lücke geschlossen

Diese Lücke hat die Forscherin mit weiteren Kollegen am Institut für Chemie geschlossen: Sie hat gemeinsam mit Walter Gössler sowie Martin Walenta und Lorenz Steiner ein sensitives Verfahren entwickelt. Es beruht auf der Kombination von Hochleistungsflüssigkeitschromatographie (HPLC) und induktiv gekoppelter Plasma-Massenspektrometrie (ICPMS).

"Wir haben die Stoffe aus den Pilzen mit Wasser herausgelöst, dann die enthaltenen Verbindungen durch ihre unterschiedlichen physikalisch-chemischen Eigenschaften voneinander getrennt und anschließend Amavadin aufgrund der Masse der enthaltenen Vanadiumatome gezielt bestimmen können", fasste Bräuer die hochkomplexe Methode kurz zusammen.

Auf der Suche nach Amavadin

So wurden laut der Studie u.a. mehr als 75 Prozent des extrahierten Vanadiums in Form von Amavadin gefunden. Beim Fliegenpilz wurden die höchsten Vanadium-Konzentrationen in den Zwiebelproben ausgemacht, bei den Proben weiterer Pilze lagen die Konzentrationen fünfmal niedriger. Bisher ging man davon aus, dass nur der rote Fliegenpilz und seine wenigen eng verwandten Arten Amavadin enthalten.

Mit der im "Journal of Analytical Atomic Spectrometry" vorgestellten Methode könne nun untersucht werden, ob auch in anderen Umweltproben Spuren von Amavadin vorhanden sind. "Dies wird dazu beitragen, den biogeochemischen Weg von Vanadium und seine Rolle in der Umwelt aufzuklären", schloss Bräuer. Die Forscherin plant bereits ein weiteres Projekt und möchte dabei eng mit Grazer und tschechischen Mykologen (Pilzexperten, Anm.) zusammenarbeiten. (red, APA, 13.6.2021)