Macbeth (Luca Salsi) und Lady Macbeth (Anna Netrebko) glücklich, knapp bevor der Wahnsinn ausbricht.

Pöhn

Es kann ein Tunnel sein, an dessen Ende kein Lichtlein der Hoffnung erstrahlen wird. Möglicherweise ist der Raum, in den Barrie Kosky sein Kammerspiel der Machtgier postiert hat, aber auch eine ins Unendliche ragende Autobahn, welche letztlich dorthin führt, wo es nach Schwefel riecht. Kann aber auch sein, dass die bösen Liebenden Teil eines Experiments sind, das prüft, wie Gewissen und Grausamkeit miteinander ringen. Oder Macbeth und seine Lady sind womöglich Patienten, die sich mit Wahnvorstellungen die Zeit vertreiben müssen. Alles ist hier von reizvoller Unbestimmtheit.

Dennoch ist diese aus Zürich stammende Inszenierung (aus dem Jahr 2016) frei von Halbherzigem und Ungefährem. Präzise choreografiert sind die Gesten und die psychologischen Konstellationen. Sie führen zu einem konzentrierten Macbeth abseits des Schrillen, das man vom Regisseur ja auch kennt. Kosky hat diesfalls ziemlich ausgemistet, die hergestellte Leere hilft allerdings dieser Aufstieg-und-Fall-Geschichte nach Shakespeare. Das ehrgeizige, nihilistische Pärchen findet sich in der Raumweite und Dunkelheit auf sich selbst zurückgeworfen (Bühne und Licht Klaus Grünberg).

Unsichtbare Figuren

Die nur sanft durchbrochene Düsternis, die zwei Stühle, ein paar stumme Krähen, deren herumfliegende Federn Blut bedeuteten: Sie sind – wie die zwei wannenartigen Leuchtkörper – gewissermaßen die einzigen Begleiter auf dem Weg zu Tod und Wahn. Zusätzliche Verdichtung schafft naturgemäß die Unsichtbarkeit mancher Figuren und zumeist auch des Chores.

In der Bankett-Szene etwa bleibt der ermordete Banco (tadellos Roberto Tagliavini) ausschließlich Macbeths verborgene Wahnvorstellung, die zum Eklat führt. Luca Salsi ist in der Titelrolle ein packender Unberechenbarer. Vom Beginn an plagen den im unruhigen Schlaf schwer atmenden Neurotiker Ängste und Ungewissheit. In einem Meer aus zugeworfenen Papierschlangen findet er zwar für Sekunden so etwas wie heitere Unbeschwertheit. Fast animalisch mutet dann aber sein Drang nach Macht durch Mord an, dessen Umsetzung unsichtbar bleibt.

Macbeth ist beim vokal sehr präsent agierenden Salsi, der vor rauen Tönen nicht zurückschreckt, eine wankelmütige multiple Persönlichkeit, die von Lady Macbeth eigentlich nur anfänglich erfolgreich manipuliert wird. Eher wirkt Macbeth mit Fortdauer der Untergangsgeschichte wie ein außer Kontrolle geratenes gewalttätiges Kind.

Nüchtern und verrückt

Die Manipulatorin an seiner Seite ist da nüchterner und zunächst in sich ruhender. Lady Macbeth beherrscht die monarchische Geste und setzt auch ihre Zuneigung zum Gatten gerne strategisch ein. Anna Netrebko meistert die irrwitzige Partie der Lady Macbeth durchaus bravourös. Ihre dunkle Stimme verfügt in den Höhen wie in den Tiefen über Charakter. Und tatsächlich wirkt ihr Schönklang bei diesem vokalen Grenzgang fast zur Gänze ungefährdet. Zum Finale hin steigert sich Netrebko allerdings noch – und zwar in Hinblick auf die Wahrhaftigkeit der Rolle.

Indem sie auch vokal zu einer Mischung aus virtuoser Lyrik und bitterer klanglicher Schärfe findet, demonstriert sie, dass Töne quasi auch subtile Inhalte und Befindlichkeiten transportieren können und nicht nur vollendeten Sound. Es gelingt Netrebko somit das intime Porträt einer in den Wahnsinn abgleitenden Frau, der auch ein Arzt (Ilja Kazakov) und die Kammerfrau (Aurora Marthens) mit nichts mehr helfen können.

Nackte Kreaturen

Eine kleine Fragwürdigkeit bleibt der Inszenierung allerdings erhalten: Es mutet jene Gruppe nackter Kreaturen, die Macbeth bisweilen skulptural umgarnen, wie ein dann doch zu greller Kontrapunkt an. Während diese Wesen, so sie Macbeth statisch "ummantelten", durchaus Sinn ausstrahlen, wirkten sie beim Umpositionieren etwas gar beiläufig bewegt. Schade.

Der Musikdirektor der Wiener Staatsoper, Dirigent Philippe Jordan, versucht, die Farbvielfalt dieser dramatischen Musik zu betonen. Da sind tatsächlich Wucht und auch Düsternis im Stil des formidablen Staatsopernorchesters. In der Ausgewogenheit dieses Zugangs geht allerdings etwas an emotionaler Schattierung verloren. Manches klingt denn auch ein wenig zu straff, und der klangsinnliche Aspekt kommt nicht vollends zur Geltung.

Robust und sängerfreundlich war die Interpretation aber in jedem Fall, wovon auch Macduff (Freddie De Tommaso) und Malcolm (Carlos Osuna) profitierten.

Regisseur abwesend

Die szenische Einstudierung der eleganten Verdi-Version hatte übrigens Regieassistentin Sylvie Döring besorgt. Sie ist quasi die "rechte Hand" Koskys. Er selbst konnte nach der Vorstellung nicht zum Applaus auf die Bühne kommen, da er – nachdem er Ende Mai und Anfang Juni mit den Künstlern gearbeitet hatte – längst wieder aus Wien abgereist war. Schade, man hätte auch ihm gerne gratuliert. In der kommenden Saison wird er den Don Giovanni inszenieren. (Ljubiša Tošić, 11.6.2021)