Forscher arbeiten intensiv daran, Patienten das Management ihrer Erkrankung über einen Chatbot zu erleichtern. Im Bereich der Psychologie scheinen die Möglichkeiten besonders groß zu sein.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Sich um seine psychische Gesundheit zu kümmern ist in einer Pandemie wichtig. Denn dunkle Gedanken, Sorgen und Ängste gleich zu entschärfen hilft besser, als zuzuwarten, bis sich das Problem manifestiert hat.

"Doch nicht jeder, den etwas bedrückt, hat schnell Zugang zu einem Psychologen oder kann sich vor anderen öffnen", erklärt Manuel Kraus, Mitgründer des österreichischen Anbieters Pocketcoach, der in London Positive Psychologie studiert hat. Pocketcoach ist eine App, ein sogenannter Chatbot, und präsentiert mittels künstlich-intelligenter Routinen eine Antwort auf Eingaben des Nutzers, sodass der Eindruck einer möglichst natürlichen Kommunikation entsteht. Über Chatbots sollen Patienten einmal ihre Erkrankung besser managen.

Rasch und unkompliziert

Die Psychologie scheint hier besonders geeignet. Denn Chatbots sind eine niederschwellige, anonyme und günstige Methode, um bei Stress, einer nahenden Panikattacke, Sorgen oder Schlafproblemen schnell und unkompliziert Hilfe zu bekommen.

Das Interesse an solchen Apps hat in der Pandemie sprunghaft zugenommen. Doch nur wenige arbeiten wie Pocketcoach (deutsch) oder Woebot (englisch) nach wissenschaftlichen Methoden und orientieren sich am Ablauf eines richtigen Gesprächs, denn die Dialogtexte haben Psychologen basierend auf ihrer klinischen Tätigkeit zuvor erstellt. "Das macht solche Chatbots authentischer als zum Beispiel einen Chatbot, der mir nur etwas verkaufen will", sagt Kraus.

Eine App als Coach

Einmal gestartet, erkundigt sich der Chatbot täglich nach dem Empfinden des Nutzers, stellt ihm konkrete Fragen zu seinem Problem und begleitet ihn durch die Situation. Die angebotenen Lösungsvorschläge orientieren sich an etablierten Methoden der Verhaltenstherapie und kommen daher dem nahe, was auch ein Therapeut in der Situation seinem Patienten raten würde.

"Der Chatbot ist natürlich kein erfahrener Therapeut", sagt die Psychologin Christiane Eichenberg, Leiterin des Instituts für Psychosomatik an der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien. Deshalb eigne er sich nicht für schwerwiegende psychische Störungen. "Aber die App kann dem Nutzer konkret zeigen, wie er durch Änderung des Verhaltens, seiner Routinen und Denkmuster sein Problem selbständig bewältigen kann." Das können bei einer Panikattacke etwa Entspannungsübungen oder Atemübungen sein sowie vorbeugende Maßnahmen.

Das könne der Nutzer zwar auch in einem Sachbuch oder auf Google nachlesen. "Doch das braucht eine hohe Motivation, während die Konversation mit einem Chatbot quasi im Austausch von Mensch zu Mensch zur richtigen medizinischen Informationen führt", sagt Joseph Ollier, Forscher am Centre for Digital Health Interventions, einer Kooperation der ETH Zürich, der Universität St. Gallen und der ETH Singapur. Außerdem vermittle der Chatbot dem Nutzer, dass er sich mit seinem Problem verstanden fühlt, und das helfe, die Vorschläge zur Verhaltensänderung im Alltag besser umzusetzen.

Kann nachweislich helfen

Wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit der Chatbots sind rar, liefern aber zumindest Hinweise auf einen gewissen Effekt. Pocketcoach untersucht gerade mit universitärer Unterstützung den Nutzen seines Chatbots. Woebot startete seine Studie bereits 2017 und versorgte junge Erwachsene, die über akute Probleme mit Angst und Depressionen klagten, zwei Wochen lang mit seinem Chatbot oder mit einem Sachbuch zur Selbsthilfe.

Nach zwei Wochen hatte die Gruppe, die täglich mit Woebot chattete, ihre Ängste und Depressionen um mehr als 20 Prozent stärker reduziert als die Gruppe, die nur im Sachbuch las.

Letztendlich aber – hier sind sich Wissenschafter und Anbieter einig – sei ein Chatbot nur ein einzelner Puzzlestein für die mentale Gesundheit. Daneben brauche es auch genügend Schlaf, soziale Kontakte, regelmäßig Bewegung an der frischen Luft und eine ausgewogene Ernährung. Und die Einsicht, so Eichenberg, "einen menschlichen Psychotherapeuten aufzusuchen, wenn der Chatbot nicht ausreicht". (Andreas Grote, 12.6.2021)