Wien – Die wesentliche Erkenntnis des "Sender-Empfänger-Modells" in der Kommunikationswissenschaft lautet: "Die Botschaft entsteht beim Empfänger." Beziehungsweise der Empfängerin wie im Fall von Frau K., einer 37 Jahre alten Marketingleiterin. Sie hat Herrn S. wegen Stalkings und versuchter Nötigung angezeigt, deshalb findet sich der 52-jährige Selbstständige nun vor Richterin Magdalena Klestil-Krausam wieder.
Der adrette und selbstbewusste Unbescholtene ist ohne Verteidiger erschienen und versteht eigentlich noch immer nicht ganz, warum er eigentlich hier ist. Demgemäß bekennt er sich im Brustton der Überzeugung nicht schuldig und beginnt seine Version der Verbindung zwischen ihm und Frau K. zu erzählen.
Heiratsantrag im Sommer 2020
"Sie hat mich vor rund sechs Jahren über Facebook kontaktiert, zwei Jahre später haben wir uns dann erstmals getroffen, und es hat sich relativ rasch eine Beziehung entwickelt", skizziert der Angeklagte. Beide Seiten waren zu diesem Zeitpunkt noch in Partnerschaften, S. trennte sich 2019 von seiner Lebensgefährtin. "Wir wollten im Sommer 2020 heiraten, also, ich habe Frau K. einen Antrag gemacht", erinnert sich der Angeklagte. "Sie war sich aber nicht sicher, ob sie ihren damaligen Partner wirklich verlassen wollte, sie hatte auch zwei kleine Kinder mit ihm."
Im November beendete Frau K. die Beziehung mit dem Kindsvater, S. war sich mittlerweile aber nicht mehr ganz sicher, ob die Ungarin tatsächlich die richtige Ehepartnerin ist. "Wir hatten dann eine On-off-Beziehung. Erst Ende April, Anfang Mai war es dann endgültig aus." – "Was war der Trennungsgrund?", will die Richterin wissen. "Verlogenheit und Falschheit", antwortet S. mit verbittertem Lachen.
Frau K. hatte Anfang April allerdings angezeigt, dass der Angeklagte sie von November bis Mai beharrlich verfolgt habe und versucht habe, sie durch Drohung zur Rückgabe von Gegenständen, die ihm gehörten, zu nötigen. Wenige Tage vor der Gerichtsverhandlung hat S. Richterin Klestil-Krausam seinen Einzelgesprächsnachweis und diverse Chats vorgelegt.
Lange Telefonate und Einkaufslisten
Aus denen geht hervor, dass es im angeklagten Zeitraum bis zu 43 Minuten lange Telefonate zwischen den beiden gab, Frau S. ihn bat, beim Einkaufen auch Müsli für ein Kind mitzunehmen, und Nachrichten mit "Schatzi" begann und mit Herzchen und Kussmündern beendete.
"Warum haben Sie die Unterlagen nicht schon im Ermittlungsverfahren bei der Polizei vorgelegt?", wundert die Richterin sich. "Ganz ehrlich, weil ich die Vorwürfe so haltlos fand. Weil ich nicht dachte, dass es überhaupt so weit kommt." Nach dem Beziehungsende wollte er vor allem Gegenstände von K. zurück, darunter einen Holzkasten, der seiner Großmutter gehört hat. K. habe ihn aber immer wieder vertröstet, daher drohte er ihr im Mai damit, einen Anwalt einzuschalten. Das könnte der Hintergrund der Anzeige sein, vermutet der Angeklagte. Warum es so weit kam, versteht er, wie erwähnt, nicht: "Ich habe mit dieser Frau drei tolle Jahre gehabt."
"Diese Frau" will ihn nicht mehr sehen, daher beantragt K.s Opfervertreter, dass sie ihre Zeugenaussage in Abwesenheit des Angeklagten machen kann. Klestil-Krausam schickt S. also in den Nebenraum, wo er bei offener Tür den Ausführungen seiner Ex-Partnerin lauschen kann.
"War eigentlich immer Affäre"
Diese Ausführungen klingen zunächst ein wenig anders als die Version des Angeklagten. "Ich kenne ihn seit circa drei Jahren. Zunächst war es eine Freundschaft, dann eine Affäre. Es war eigentlich immer eine Affäre", sagt die aparte 32-Jährige. Den Heiratsantrag bestätigt sie, sagt aber, man habe im Oktober 2020 gemeinsam beschlossen, dass man keine Beziehung mehr haben wolle.
"Sie hatten keinen Kontakt mehr zu ihm?", fragt die Richterin misstrauisch. "Doch, wir haben uns dann auch wieder versöhnt." – "War das dann nur eine Freundschaft? Oder gab es auch sexuellen Kontakt?" – "Es gab auch sexuellen Kontakt." – "Also war es eine 'Freundschaft plus'?" – "Ja."
Im Oktober habe S. erstmals Gegenstände zurückverlangt, die nach dem Verständnis der Zeugin aber Geschenke von ihm gewesen seien. Dabei habe er sie zeitweise auch unter Druck gesetzt, aber nach Versöhnungen sei das wieder kein Thema mehr gewesen. Erst Ende April, Anfang Mai sei die Beziehung endgültig zerbrochen.
"Bei der Polizei haben Sie aber gesagt, Sie hätten den Kontakt bereits im November abgebrochen", hält die Richterin der Zeugin vor. "Deswegen hat die Staatsanwaltschaft ja auch den Zeitraum November bis Mai angeklagt. Das klingt heute völlig anders!" K. sagt, es müsse sich dabei um ein Missverständnis der Beamten handeln, sie habe gesagt, der Zeitraum Ende April, Anfang Mai sei für sie besonders schlimm gewesen.
"Tausendmal angerufen!"
"Da hat er mich tausendmal angerufen!", sagt die Zeugin. "Wann?", will Klestil-Krausam wissen – im Einzelgesprächsnachweis findet sich das nämlich nicht wieder. "Ich habe ihm Mitte April sogar per Mail geschrieben, dass er mich nicht mehr kontaktieren und unter Druck setzen soll!", beharrt Frau S. – die Richterin verweist darauf, dass es nach der Mail zunächst gar keine Anrufe mehr gab und im Mai insgesamt sechs.
Frau S. bestätigt auch, dass es bei diesen Gesprächen primär um die Rückgabe der Gegenstände gegangen sei. "Ich will nur, dass ich diesen Druck nicht mehr habe, den er mir macht." – "Na ja, aber es ist ja noch kein Druck, wenn er seine Sachen wiederhaben will." – "Das sind Geschenke!", sagt die Zeugin, die auch darauf hinweist, S. angeboten zu haben, dass er die Dinge in Begleitung der Polizei abholen könnte, darauf habe er aber nie reagiert. Die ebenfalls angeklagte versuchte Nötigung kann K. auch nicht wirklich konkretisieren – sie betont nur immer wieder, sie habe sich unter Druck gesetzt gefühlt und Angst gehabt.
"Ich habe ihn wahnsinnig geliebt!"
Sie wolle eigentlich auch keine Strafe für ihn, sagt die Zeugin, und konterkariert dann doch etwas ihre Darstellung der "Affäre" und "Freundschaft plus": "Ich hatte ja eine emotionale Verbindung zu ihm. Ich habe ihn wahnsinnig geliebt!", verrät sie. "Irgendwie werden Sie sich aber über die Rückgabe der Gegenstände einigen müssen", gibt die Richterin zu bedenken. "Aber das ist jetzt alles nicht meine Baustelle. Gott sei Dank", freut sich Klestil-Krausam über ihren Arbeitsplatz in der Strafjustiz.
Ihren Job beendet sie in diesem Fall, indem sie S. rechtskräftig freispricht. Sie kann kein Stalking erkennen, auch für die versuchte Nötigung fehlen ihr die Beweise. "Ich möchte Ihnen aber eines mitgeben", wendet sie sich am Ende noch an S.: "Vielleicht sollten Sie in Zukunft, wenn Sie wieder einmal in die Lage kommen sollten, auch schon im Ermittlungsverfahren entlastende Beweise vorlegen. Dann hätten wir uns alle Zeit und Arbeit erspart." Der Freigesprochene verspricht, daran zu denken. (Michael Möseneder, 13.6.2021)