Pflege kommt in unterschiedlichen Formen daher, eines aber eint die Sektoren: kollektive Überforderung. Unterstützungsmaßnahmen stehen daher ganz oben auf der Liste für die Pflegereform.

Foto: Imago

Beim Pflegepersonal blinken die Alarmsignale seit Jahren rot. Immer wieder wurde auf einen Fachkräftemangel hingewiesen. Hinzu kommt, dass die Gesellschaft älter wird, womit der Bedarf an Personal in allen Bereichen steigt. Das Problem liegt also auf dem Tisch, die theoretische Lösung hat einen Namen: Pflegereform. Doch deren in einem jahrelangen Prozess ausgearbeiteten Inhalte gehen in der Praxis nicht weit genug, sagen Branchenvertreter. DER STANDARD hat sie gefragt, was sie bräuchten.

Die zentrale Herausforderung in allen Bereichen: Es braucht Leute – nach der Pandemie noch mehr als davor. Laut einer Studie denken österreichweit 45 Prozent aller Pflegekräfte wegen der Belastung durch die Pandemie an einen Berufsausstieg. Gründe dafür seien vor allem die Belastung der Krankenpfleger, heißt es vom Auftraggeber der Studie, dem Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband. 86 Prozent gaben an, dass sich die Arbeitssituation seit der Covid-19-Pandemie massiv verschlechtert habe. Ebenso viele fühlen sich psychisch und körperlich stark belastet.

Die pflegenden Angehörigen

Etwa eine Million Menschen in Österreich pflegen einen Angehörigen oder eine Angehörige. Das Wichtigste für sie wäre, sagt Birgit Meinhard-Schiebel von der IG Pflegende Angehörige, ein Rechtsanspruch auf psychosoziale Unterstützung. Denn: "Wenn dieser Pflegedienst zusammenbricht, dann steht alles andere auch."

Im Februar 2020 startete das Burgenland als erstes Bundesland damit, pflegende Angehörige anzustellen. Einige Bundesländer und auch der Bund hatten Interesse am Modell, viel wurde daraus bisher aber nicht: In Oberösterreich läuft ein Pilotprojekt, im Sommer sollen 30 Personen, die beeinträchtigte Personen pflegen, angestellt werden.

Wie werden alte Menschen betreut? Die verschiedenen Pflegeformen und ihr Anteil in Österreich.
Foto: DER STANDARD

In Niederösterreich brachte nun die SPÖ einen Antrag ein, der das auch dort ermöglichen soll. Der Klubobmann der SPÖ Niederösterreich, Reinhard Hundsmüller, meint dazu: "Derzeit müssen die pflegenden Angehörigen ihre berufliche Tätigkeit einschränken oder ganz aufgeben, um sich um ihre Liebsten kümmern zu können. Sie sind damit unweigerlich auf dem Weg, in Altersarmut zu schlittern, da sie etwa Beitragszeiten für die Pension verlieren." Das rote Modell sieht vor, dass bis zu 500 pflegende Angehörige angestellt werden, Basis soll laut Landeshauptmann-Stellvertreter Franz Schnabl (SPÖ) eine 150 Stunden umfassende Grundausbildung sein.

In den Plänen zur Pflegereform ist "Entlastung für pflegende Angehörige schaffen und Demenz begegnen" einer von fünf zentralen Themenbereichen. Die Überlegung, Angehörige für ihre Arbeit zu bezahlen, kommt nicht vor.

Noch recht vage heißt es aber, man wolle das Konzept der Community-Nurses etablieren. Kürzlich präsentierte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) Pläne für ein entsprechendes Pilotprojekt, das im Herbst starten soll. Markus Golla leitet das Institut für Pflegewissenschaft an der FH Krems und fordert dafür ein Studium als Grundlage: "Alles andere ist die 'Cheap Version' einer internationalen Ausbildung", die man nicht akzeptieren könne. "Man bedient sich hier eines Wordings, ohne die Ausbildung mitzunehmen", sagt Golla.

Die Altersheime

Die stationäre Pflege als Riesensektor ist längst am Anschlag: Straffe Personalschlüssel, zahlreiche Aufgabengebiete, undankbare Arbeitszeiten und ein Lohn, der all dem in den Augen der Betroffenen nicht gerecht wird, sorgen für eine permanente Personalknappheit.

Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) ging zuletzt im gesamten Pflegesektor von einem Personalbedarf von 100.000 zusätzlichen Kräften bis 2030 aus. Markus Mattersberger, Präsident des Verbands Lebenswelt Heim, meint, selbst das greife zu kurz. Diese Rechnung sei nur ein "Fortführen der aktuellen Vorgaben", das werde nicht reichen.

Einerseits müssten Heimleitungen sich schon jetzt entscheiden, welche Leistungen sie über die Grundversorgung hinaus anbieten können – etwa ob man lieber in Hospizbegleitung oder in Hygiene investiert. Andererseits sei das Personal teils überfordert. "Man merkt, da fehlt etwas", sagt Mattersberger, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen könnten oft nicht mehr ihren eigenen Werthaltungen entsprechend arbeiten. "Das führt zu Unmut, zu Frustration, und das ist nicht gut." Um das zu lösen, so meint Mattersberger, müsse man mit einem Bedarf an mindestens 125.000 zusätzlichen Leuten rechnen.

Die 24-Stunden-Betreuung

Bei der 24-Stunden-Betreuung werden die Pläne des Gesundheitsministeriums aus zwei Perspektiven betrachtet: jener der Agenturen und jener der Betreuerinnen. Die IG24, Interessenvertreterin für Zweitgenannte, ist der Ansicht, dass es mehr Beratungssysteme für Betreuerinnen brauchte, davon ist auch in den Plänen zur Pflegereform die Rede. Außerdem müssten sämtliche Angebote für pflegende Angehörige auch 24-Stunden-Betreuerinnen zugänglich sein – immerhin stünden die beiden Gruppen vor denselben Herausforderungen. In Summe aber, so heißt es von der IG24, seien die Pläne eine "vertane Chance", wenn es um den Status der Betreuerinnen als Selbstständige geht. "Die Tatsache, dass es sich hier eindeutig um Scheinselbstständigkeit handelt", stehe nach Einschätzung der IG schon seit 14 Jahren – seit der Legalisierung der Branche – auf der Tagesordnung.

Die Zertifizierung der Vermittlungsagenturen verpflichtend einzuführen, das sieht die IG24 allerdings als Schritt in die richtige Richtung. Dafür setzte sich nicht zuletzt auch Kerstin Marchner – sie ist bei einer Wiener Agentur für 24-Stunden-Betreuung für die Qualitätssicherung zuständig – ein. Das 2019 eingeführte Qualitätszertifikat ist bisher freiwillig, daher sind auch erst 34 der rund 800 Agenturen zertifiziert. Große Nachfrage gebe es auch für stundenweise Betreuungsformen, sagt Marchner. Doch für diese gebe es derzeit keine Förderung. Die stundenweise Betreuung sei vor allem für pflegende Angehörige eine wichtige Entlastung.

Die mobile Pflege

Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt (BAG), der Zusammenschluss Österreichs großer Sozialorganisationen Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Rotes Kreuz und Volkshilfe, forderte nach der Präsentation des Taskforce-Berichts politische Entscheidungen ein. Sie drängt, wie auch im Bericht der Taskforce gefordert, auf einen Ausbau der mobilen Pflege und Betreuung. Sozialraumorientierte Dienste und Tageszentren müssten ausgebaut werden. Denn vier von fünf der 455.000 Pflegegeldbeziehenden werden zu Hause versorgt, und weniger als die Hälfte der pflegenden Angehörigen erhalten Unterstützung.

Summa summarum werden zwar viele Vorschläge und auch die Einbindung der Betroffenen in diesen ersten Taskforce-Bericht sehr positiv gesehen. Gleichzeitig beurteilen Interessenvertreter das Reformpaket – oder die Teile, die derzeit stehen – als kleine Schritte, die reichlich spät kommen. Gefordert seien nun politische Entscheidungen und die Umsetzung der geplanten Reformen, heißt es fast unisono.

Denn bei den allermeisten Punkten fehlt ein konkreter Zeithorizont – bisher bekannt sind vor allem Ideen sowie Fragen, die noch zu klären sind, und Überlegungen, die man anstellen will. Dennoch ist der Taskforce-Bericht ein Anfang, auch das sehen die Interessenvertreter. (Stefanie Ruep, Gabriele Scherndl, 15.6.2021)

Taskforce-Pflege-Bericht.pdf

Größe: 0,53 MB

Der Bericht der Taskforce Pflege als PDF.