Raffiniertes Spektakel im Wiener Odeon: Das Serapionstheater zeigt sich bekriegende Gruppen.

Foto: Helmut Krbec

Gäbe es Wettbewerbe in der Sportart Kulissenschieben, dann wäre das Serapionstheater ganz vorn mit dabei. Koom Posh heißt die jüngste Tanzperformance des für seine Bildpoesie bekannten Odeon-Ensembles, in der sowohl dessen szenografische Meisterschaft bestätigt als auch ein rasendes Schieben vorgeführt wird.

Die Sportassoziation wird bei Koom Posh bald künstlerisch überlagert. Denn die ausgeklügelte Choreografie der Bühnenelemente wirkt hier als Metapher für die Kulissenschieberei, den faulen Zauber, dem die Gesellschaften der Gegenwart anscheinend unentrinnbar ausgeliefert sind. Mit beinahe kindlicher Grandezza führt das von Max Kaufmann und Mario Mattiazzo gestaltete Stück in die Tiefen der Krisen, die uns von einem Schock in die nächste Verblüffung jagen.

In der Handlung geht es um zwei Gruppen, die einander so fremd sind, dass eine funktionierende Kommunikation undenkbar scheint. Auf der einen Seite stehen peinliche Ordnungsfanatiker, auf der anderen marodierende Ex-Soldaten. Die Letzteren treten bereits zu Beginn auf – als ein fetziger, in sich zerstrittener, weil superemotionaler Haufen, der sich gerade von den Peitschen seiner Unterdrücker befreit hat. Die Ordentlichen werden als verklemmte Maskenträger in Einheitskostümen vorgestellt, von denen sich jeder an ein kleines Gerätchen klammert, das verdächtig an unser unvermeidliches Smartphone erinnert.

Groteskes Gerangel

Unschwer zu erraten, dass sich diese beiden Gruppen in die Haare geraten. Das groteske Gerangel steigert sich über eineinhalb Stunden zum Kampf auf Leben und Tod. Dabei wird das Kulissenschieben zum faszinierenden Tanz von Vorhangelementen, Spiegeln, Bildern inklusive einer Parade meterhoher, leuchtender Hängeobjekte.

Genau das ist es, was das am Ende des raffinierten Spektakels begeistert applaudierende Publikum auch in eine gewisse Melancholie stürzen könnte: Immer dieselbe Geschichte, die das politische Tier namens Mensch seit Anbeginn letztendlich nicht vom Fleck kommen lässt. Warum also die Begeisterung?

Zwei plausible Gründe: zum einen die Virtuosität der Choreografie des Immergleichen, zum anderen eine billige gute Wendung am Schluss des Stücks. Denn im letzten Augenblick legt ein kleines Grüppchen die alten Muster ab und wird doch noch glücklich.

Performativer Ablasshandel

Dieses Happy End könnte auch zynisch oder zumindest kritisch gemeint sein, im Sinn von: Genau das, liebe Zuschauerinnen und Besucher, braucht ihr doch – einen performativen Ablasshandel. Wenn Hoffnung winkt, bleibt alles offen. Also fühlt sich das Ganze gut an.

Wie übrigens auch der Stoff, aus dem das Stück destilliert wurde: Die Handlung ist an das Schauspiel Die Stadt der Gerechtigkeit (1923) des russischen Autors Lew Lunz angelehnt, einige Motive, auch der Titel Koom Posh ("Herrschaft der Unwissendsten") stammen aus Edward Bulwer-Lyttons Novelle Das kommende Geschlecht (1871). (Helmut Ploebst, 11.6.2021)