Vor gerade einmal anderthalb Jahren wurde die türkis-grüne Regierung angelobt – seither ist sehr viel passiert

Foto: APA/Schlager

Anfang April trudelte bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wieder einmal eine anonyme Anzeige ein, die offenbar von einem Insider geschrieben worden war. In der Staatsholding Öbag seien Festplatten verschwunden, hieß es darin, angeordnet habe das der damalige Alleinvorstand Thomas Schmid. Er habe laut anonymer Anzeige angeordnet, Akten mit seinem Namen und dem von Finanzminister Gernot Blümel zu vernichten.

Erinnerungen an die ÖVP-Schredderaffäre wurden wach, als kurz nach dem Ibiza-Video heimlich Festplatten geschreddert wurden. Noch heute ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien in dieser Causa gegen hochrangige Mitarbeiter im Kanzleramt. Wollte auch die Öbag schreddern?

Am 15. April schickte WKStA-Oberstaatsanwalt Matthias Purkart Ermittler der Soko Tape in die Öbag, sie befragten Schmid, dessen spätere Nachfolgerin Christine Catasta und zahlreiche Mitarbeiter. Am Ende entpuppte sich die Angelegenheit als böses Gerücht: Im Zuge eines "Datenschutzprojekts" seien Altgeräte in ein Lager der Öbag gebracht worden; darunter am 1. April 2021 und am 9. April 2021 insgesamt drei Druckerfestplatten.

Die Dämme brechen

Die Angelegenheit ist exemplarisch für die Stimmung, mit der sich die ÖVP in Ministerien, staatsnahen Betrieben und teils auch befreundeten Unternehmen konfrontiert sieht. Immer mehr jener Beamten, Mitarbeiter und Unternehmer, die oft einen langen Groll gegen gewisse Machtstrukturen hegen, sehen ihre Chance gekommen, "auszupacken". Meist ist da wenig strafrechtlich Relevantes dahinter; ab und zu aber eine kleine Bombe.

Dass manche Dämme brechen, zeigte schon eine anonyme Anzeige gegen die türkise Justizsprecherin Michaela Steinacker: Eine Hinweisgeberin behauptete, deren Job bei einer Raiffeisen-Immobilienfirma sei nur Schein gewesen, tatsächlich sei sie für ihre Arbeit für die ÖVP entlohnt worden. Das bestreitet Steinacker vehement. Ihr droht nun die Aufhebung der parlamentarischen Immunität, wobei die Grünen das Zünglein an der Waage sind

Auch aus Bundeskanzleramt, Justiz- und Finanzministerium gelangen immer wieder Hinweise an Medien und Staatsanwaltschaften: Da sei ein türkiser Parteigänger bevorzugt worden; dort wer zu Entscheidungen gedrängt worden.

Viele Ermittlungsstränge

Es ist unklar, ob bei den vielen Ermittlungen etwas herauskommt. Falschaussagen, wie sie Kanzler Kurz und dessen Kabinettschef Bernhard Bonelli vorgeworfen werden, sind vor Gericht schwer zu beweisen. Im Fall von Finanzminister Gernot Blümel, der einst von Novomatic-Chef Harald Neumann um Vermittlung eines Kurz-Termins für Problembesprechung und Spende gebeten wurde, findet man ebendiese Spende nicht.

Blümel wird Bestechung vorgeworfen, er müsste also das Angebot an den damaligen Außenminister Kurz weitergetragen haben. Das wird von der WKStA für "lebensnah" gehalten, Beweise gibt es aber keine. Ebenso wenig, dass Kurz im Sinne der Novomatic tätig wurde, um ihre Steuerprobleme in Italien zu lösen.

Auch in der "Mutter" aller Ermittlungen, der Casinos-Affäre, ist die WKStA dem Vernehmen nach von einer Anklage derzeit weit entfernt. Hier geht es um den Eigentümerstreit in der Casinos Austria AG (Casag) und die Frage, ob sich die türkis-blaue Regierung und der Glücksspielkonzern Novomatic auf ein Packerl hauten, um den Einfluss des tschechischen Miteigentümers Sazka zu beschneiden. Bot das Finanzministerium der Novomatic Erleichterungen im Glücksspiel an? Wurde die FPÖ über Vereine "am Rechnungshof vorbei" bezahlt? All das wird bestritten. Die "smoking gun" fand man noch nicht.

Die ÖVP könnte die Ermittlungen also in Ruhe abwarten und auf ihr sang- und klangloses Ende hoffen. Doch viel verheerender als die Vorwürfe an sich sind die vielen Chatnachrichten, die nach außen dringen. Von Kurz, der "Geld scheißt", über "Du bist Familie", "Reisen wie der Pöbel" bis hin zu "Kriegst eh alles, was du willst". Sätze, die man sich gemerkt hat – und die Verständnis dafür schaffen, dass die WKStA ermittelt.

Die Chats sind der stete Tropfen, der den Stein ÖVP höhlt: Deshalb versucht sie nun, deren Veröffentlichung mit aller Kraft anzugreifen. Dafür verantwortlich macht sie den U-Ausschuss und einzelne Staatsanwälte, die Smartphones auswerten. "Diese pauschalen Angriffe gegen einzelne Staatsanwälte muss ich einfach zurückweisen, weil sie die Staatsanwaltschaft und einzelne Personen diskreditieren", sagte die grüne Justizministerin Alma Zadić am Donnerstag in der ZiB 2.

Vizekanzler Werner Kogler sieht das ähnlich: "Ich verstehe die ÖVP manchmal gar nicht, weil sie mit ihren Zurufen ja nicht viel bewirkt. Das ist eine Art Echo, das zurückkommt, was zum Bumerang wird."

Mehr Ressourcen geplant

Tatsächlich will das Justizministerium den Staatsanwaltschaften mehr Ressourcen verschaffen. Zu wenig Personal, das ist eines der Probleme der mit Causen bis über beide Ohren eingedeckten WKStA. Das merkte auch deren Leiterin, Maria-Luise Vrabl-Sanda, im U-Ausschuss an. Es brauche mehr Staatsanwälte – und das gelte für den gesamten Sprengel der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien, wie der dafür zuständige stellvertretende Behördenleiter und OStA-Sprecher Michael Klackl erklärt. In der WKStA gibt es derzeit 44 Planstellen, allerdings sind fünf davon seit längerem unbesetzt. Hohe Arbeitsbelastung, schwere und imageschädigende Vorwürfe aus der Politik inklusive Anzeigedrohungen gegen einzelne Staatsanwälte machen die Personalsuche schwer. Viele Kollegen wollten sich die Aufgabe "einfach nicht antun", heißt es in der Justiz. Voraussetzung dafür, in der WKStA als Staatsanwalt ernannt zu werden, sind fünf Jahre Praxis als Richter oder Staatsanwalt. Die Ausbildung dazu dauert vier Jahre.

Die Personalnot will die OStA nun für den gesamten Sprengel, also Wien, St. Pölten und Eisenstadt, lindern, indem sie vermehrt "Quereinsteiger" anspricht. Gemeint sind damit vor allem junge Rechtsanwälte, die man etwa mit flexiblen Arbeitszeiten anlocken will. Der Vorteil: Von der Anwaltsprüfung wird viel angerechnet, die vierjährige Ausbildungszeit als Richteramtsanwärter kann auf bis zu drei Monate verkürzt werden. So könnte die Personallücke schneller geschlossen werden.

Neu ist die Sache mit den Quersteinsteigern nicht, sie hat vor ein paar Jahren schon geklappt, als rund 40 junge Anwälte geholt werden konnten. Warum die Personalnot überhaupt entstanden ist? Das liegt laut Involvierten an "nicht vorhandener Personalplanung" und den langjährigen Sparmaßnahmen, als deren Folge der damalige Justizminister Clemens Jabloner im Sommer 2019 den "stillen Tod der Justiz" konstatierte. (Renate Graber, Fabian Schmid, 12.6.2021)