Der neue US-Präsident hat sich den "alten Kontinent" für seine erste Auslandsreise ausgesucht, und ganz Europa scheint im Joe-Biden-Fieber zu liegen. Hier vertritt Biden seine Nation beim G7-Gipfel, hier nimmt er an einem Nato- und dann an einem EU-Gipfel teil. Hier besucht er Papst Franziskus – und hier steigt Mitte nächster Woche das geopolitisch bedeutsame Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin.

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Ganz Europa scheint im Joe-Biden-Fieber zu liegen.
Foto: AP/Kevin Lamarque

Ist also wieder "alles gut"? Waren die vier Jahre mit Donald Trump im Weißen Haus bloß eine unglückselige Parenthese? Der aktuelle Imagewandel der USA zum Positiven ist nicht nur eine vielfach gefühlte Wahrnehmung, er lässt sich auch empirisch belegen, wie dies das renommierte Pew Research Center bestätigt. Doch daraus abzuleiten, dass Europa nun auf Augenhöhe mit den USA dort weitermachen könne, wo man sich Anfang 2017 von Barack Obama verabschieden musste, diese Annahme wäre falsch – und zwar grundlegend.

Eine gleichberechtigte transatlantische Zusammenarbeit gab es noch nie – sie war immer nur Hypothese oder Wunschvorstellung, sie wurde nie in die Realität umgesetzt. Jahrzehntelang, schon lange vor Trump, gaben bei der Sicherheits-, Verteidigungs- und Wirtschaftspolitik immer die USA den Takt vor. In den USA herrschte zwar meist eine wohlgesonnene Attitüde, doch auf Augenhöhe befanden sich diese beiden demokratischen Systeme zu keinem Zeitpunkt nach 1945.

Biden streckt freundschaftlich die Hand aus – doch er fordert von Europa damit auch mehr Engagement ein, es muss mehr "liefern", wenn es in der ersten Liga mitspielen will. Handeln muss weniger die neue US-Führung, handeln muss vor allem Europa, begonnen mit einer grundlegenden Reform der gemeinsamen Außenpolitik. Sonst werden wir abgehängt, und die USA suchen sich neue Partner – bei aller Freundschaft. (Gianluca Wallisch, 11.6.2021)