"Wir haben Fehler gemacht, und unter dem grellen Licht eines frühen Wahlkampfs werden kleine Fehler groß und Fehler zu Skandalen", sagte der deutsche Grünen-Chef Robert Habeck zum Auftakt des Wahlparteitags. Die Fehler sollen abgestellt werden.

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Ein bisschen echtes Leben gibt es wieder. Als Parteichef Robert Habeck am Freitagabend in der Eventhalle Station Berlin auf die Bühne geht, verfolgen ihn die Delegierten nicht nur im Internet. 100 Neumitglieder wurden sogar an den Veranstaltungsort eingeladen, um den dreitägigen Parteitag live mitzuerleben. Sie sitzen mit Abstand zueinander und klatschen, als Habeck die Veranstaltung eröffnet. In der ersten Reihe hat die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock Platz genommen. Sie soll am Samstag zur ersten Kanzlerkandidatin der deutschen Grünen gewählt werden, außerdem wird das Wahlprogramm verabschiedet

Der Parteitag im Livetstream.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

"Es ist voll cool, wenn man reingeht und Menschen applaudieren", freut sich Habeck. Digital poppen derweil unzählige Herzchen und Sonnenblumen auf. Solchen Zuspruch kann die grüne Parteispitze gebrauchen, zuletzt holperte der Wahlkampf. Baerbock musste ihren Lebenslauf mehrmals korrigieren, vergaß zunächst, dem Bundestag Nebeneinkünfte zu melden, in Umfragen sanken die Werte der Grünen.

Kampf nicht aufgeben

Habeck spart dies in seiner Rede nicht aus. Man sei mit der Nominierung Baerbocks im April furios gestartet. Aber: "Seit drei Wochen stehen wir im Gegenwind." Denn: "Wir haben Fehler gemacht, und unter dem grellen Licht eines frühen Wahlkampfs werden kleine Fehler groß und Fehler zu Skandalen." Er sagt auch: "Wir haben uns darüber geärgert und es analysiert, und wir werden die Fehler abstellen."

Habeck ruft auch zur Unterstützung von Baerbock auf: "Wir wissen, dass Kameradschaft sich nicht beweist, wenn die Sonne scheint und der Wind von hinten kommt." Die Grünen würden "mit Gelassenheit und Stärke durch dick und dünn" gehen. Niemals würden sie es aufgeben, für "realistische Veränderungen" einzutreten. Ungewöhnlich ist sein nächster Satz: "Wir werden vielleicht diesen Kampf verlieren, aber wir werden niemals diesen Kampf aufgeben."

3280 Änderungsanträge

Verloren hat der Grünen-Bundesvorstand an diesem ersten Abend noch gar nichts. Auf dem Programm standen heikle Abstimmungen zum Thema Klimaschutz im Parteiprogramm. Es hatte im Vorfeld 3280 Änderungsanträge zum Antrag des Bundesvorstandes gegeben. Daraufhin folgte ein Sitzungsmarathon mit den "Rebellen", vieles konnte geklärt werden. So wurde etwa die Forderung nach einem Tempolimit von 100 km/h Auf Autobahnen noch vor dem Parteitag abgeräumt, der Parteivorstand tritt für 130 km/h ein.

In einigen strittigen Punkten kam es allerdings zu "Kampfabstimmungen", bei allen konnte sich aber letztendlich die Parteispitze um Baerbock und Habeck durchsetzen. Große Aufmerksamkeit zog der Klimaaktivist Jakob Blasel mit seinem Antrag auf einen stärkeren Anstieg des CO2-Preises auf sich. Er forderte mit seinen Mitstreitern und Mitstreiterinnen 80 Euro pro Tonne ab dem Jahr 2022, der Bundesvorstand hatte sich für 60 Euro ab dem Jahr 2023 stark gemacht, derzeit liegt der Preis bei 25 Euro.

Klimaaktivist Blasel scheiterte

Nur mit einer stärkeren Erhöhung "können wir den 1,5-Grad-Pfad beschreiten", argumentierte Blasel und sagte: "Man sollte sich beim Klimaschutz nicht aus dem Staub machen, nur weil es mal Gegenwind gibt."

Den Vorschlag des Bundesvorstands verteidigte Habeck persönlich. Man müsse gesellschaftliche Mehrheiten organisieren. Denn: "Wenn wir zu schnell einsteigen, verlieren wir das Projekt Energiewende." Blasels Antrag blieb deutlich in der Minderheit, er bekam 219 Stimmen. Für den Vorschlag des Bundesvorstands votierten hingegen 473 Delegierte.

Klar abgelehnt wurden auch Forderungen nach einem Aus für Verbrennungsmotoren im Jahr 2025, es bleibt, wie von der Grünen-Spitze gewünscht, beim Jahr 2030. Außerhalb von Ortschaften wird das Tempo für Autofahrer auch nicht auf 70 km/h abgesenkt, es soll weiterhin Tempo 100 gelten. Schließlich wurde das Kapitel "Klimaschutz" mit 639 Stimmen angenommen. Es gab nur elf Neinstimmen und sieben Enthaltungen.

Parteitag bis Sonntag

Baerbock hat am ersten Tag noch nicht gesprochen, ihr großer Auftritt folgt am Samstag. Der Parteitag dauert bis zum Sonntag, als Gastredner werden die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright, Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser und der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann erwartet. (Birgit Baumann aus Berlin,11.6.2021)