Vor mehr als zehn Jahren machte der Arzt und Universitätsprofessor Michael Frass Stimmung für ein Amulett, das Elektosmog und ähnliche Unbill abwehren sollte: den Atox Bio Computer, ein "Bioresonanzgerät der neuesten Generation". Die Vertreiber des Geräts gaben an, "dass jede elektromagnetische Strahlung beliebiger Herkunft aus zwei Komponenten besteht, der physikalischen und der Energie-Informations-Komponente." Und letztere eile gar der physikalischen Frequenz voraus und wirke auf unseren Körper. Der Mediziner Frass attestierte den zwischen 199 und 279 Euro teuren Feinstoff-Amuletten eine "messbare Verbesserung der medizinischen Werte." Spoiler: Wenn Frass etwas misst, dann müssen wir sehr genau hinsehen.

Der Computer verschwand vom Markt, die Homöopathie hält Stellung

Dass sich niemand aus dem Hause Atox für die Entdeckung der "Energie-Informations-Komponente" den Nobelpreis in Physik abgeholt hat, darüber rätselten wir bis heute, wüssten wir nicht, aus welcher Richtung der Wind weht, wenn von "Informationen" die Rede ist. Das Atox-Amulett verschwand offenkundig vom Markt, der von allerlei Voodoo-Produkten überschwemmt ist, die einen geheimnisvollen und nichtstofflichen  "Informationsübertrag" versprechen. Am Markt "bewährt" hat sich unter anderem die Homöopathie. Frass ist Homöopath und er bringt die Magie der "Information" mit einer wunderbaren Analogie auf seiner Webseite auf den Punkt: „Wenn ein Chemiker die homöopathische Arznei untersucht, findet er nur Wasser und Alkohol; wenn er eine Diskette untersucht, nur Eisenoxid und Vinyl. Beide können jedoch jede Menge Informationen bergen." 

Für Anfänger: Auf Datenträgern sind tatsächlich Informationen gespeichert

Die Tragik der Homöopathie: Wir müssen nun einem Medizinprofessor, der der bis zum Jahr 2018 an der MedUni Wien "Homöopathievorlesungen" gehalten hat, ehe es dem Rektor ob der Scharlatanerie reichte, die Sache erklären: Auf einem digitalen Datenträger sind tatsächlich Informationen vorhanden. Wenn auf dem Cover einer Disk "Rolling Stones" drauf steht, dann kann man Mick Jagger und seine Freunde zwar nicht mittels chemischer Analyse identifizieren. Ein wunderbares Abspielgerät oder ein Computer vollbringt indes das Wunder, Töne der Burschen erklingen zu lassen. Bits und Bytes, die gibt es tatsächlich. Fassen wir für den Herrn Professor und seiner Wiener Hogwarts-Exklave zusammen: Auf einer Diskette ist drauf, was am Etikett steht, auf den Globuli und in den homöopathischen Fläschchen von Herrn Frass ist nicht drinnen, was am Etikett steht. Die Information auf einem Datenträger ist erklärbar und messbar, die geheimnisvolle "Information" in homöopathischen Medizinen ist weder erklärbar noch messbar.

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Seit Oktober 2020 nimmt die Homöopathie einen neuen Anlauf. Eine Studie von Frass et al. kommt zum Ergebnis, dass eine homöopathische Zusatzbehandlung "außerordentlich deutliche Effekte" auf die Überlebensdauer und die Lebensqualität von Lungenkrebspatienten habe. Frass verkündet auf seiner Webseite in Großbuchstaben, die bekanntlich Seriosität vermitteln: "HOMÖOPATHIE IST WIRKSAMER ALS PLACEBO!

Ein genauer Blick auf die Studie lohnt sich

Die Revolution ist also angesagt. Sogar das kritische Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) konstatierte der Studie, die im Journal "The Oncologist" erschien, zunächst: "Diese Studie sieht auf den ersten Blick ganz solide aus und liefert für die Homöopathie hervorragende Ergebnisse." Allerdings wissen die Damen und Herren von der INH, dass bei einem Mediziner, dessen Faible für Scharlatanerieprodukte bekannt ist und der Homöopathika mit Disketten vergleicht, ein zweiter, genauer Blick indiziert ist, und schon ist die Revolution wieder abgesagt. Die Studie wird von der INH und der Initiative für wissenschaftliche Medizin, namentlich von den Autoren Norbert Aust und Viktor Weisshäupl, Punkt für Punkt und nach Strich und Faden zerlegt - nachzulesen ist die Studienkritik auf der Webseite der INH

Rektorat lässt Studie unter die Lupe nehmen

Stutzig gemacht hat die Kritiker unter anderem, dass die Ergebnisse allzu gut für die Homöopathie ausgefallen seien: "Es ist nicht glaubhaft, dass eine derartig starke Wirksamkeit homöopathischer Mittel, wie sie hier festgestellt worden ist, in den bisher vorliegenden Studien und Übersichtsarbeiten unentdeckt geblieben sein soll." Mit anderen Worten: Frass und Co ließen offenkundig einen zu übermütigen Esel zum Tanz auf das Eis. Aust und Weisshäupl rufen "The Oncologist" zu einem Überprüfen der Veröffentlichung auf. Die kritische Stellungnahme erging auch an die 15 Mitautoren der Studie und an das Rektorat der Universität Wien. Letzteres hat sich bereits gemeldet: Die Angelegenheit wurde der ÖAWI ("Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität") zur Überprüfung übergeben.

Auf Homöopathieportalen wird die Studie gefeiert, mitunter auch mit kreativen Euphemismen für den Feinstoff-Kult. Auf der Plattform "Wisshom" finden wir unter dem Fazit zur Studie einen Satz, den man sich gemeinsam mit einem Löffelchen Globuli auf der Zunge zergehen lassen kann: "Die homöopathischen Arzneimittel schädigen die Umwelt nicht, die geringen Mengen an Ausgangssubstanzen passen perfekt in das anzustrebende Ziel der Nachhaltigkeit in der Medizin."

Frühere Studien von Frass: nicht mies, aber ein Scherz

Eine Studie von Frass steht nicht zum ersten Mal am Prüfstand. Eine Studie über angeblich positive Effekte von Homöopathie bei Blutvergiftung aus dem Jahr 2005 wird in der Szene mantrahaft als Beleg für die Wirksamkeit der Feinstoff-Medizin zitiert. Weniger schmeichelhaft ist das Fazit des Infektiologen Mark Crislip: "Das ist keine miese Studie. Es ist ein Scherz." 

Was Frass mit seinem Engagement für die Homöopathie bewegt, gibt den Homöopathiekritikern Rätsel auf. Sie weisen darauf hin, dass Frass als Internist in Lehre und Forschung durchaus Reputation hatte. Unter anderem hat Frass im Jahr 1987 mit der Entwicklung des "Combitube", eines Geräts zur Atemwegssicherung in Notfällen, für Aufsehen gesorgt. 

Ausschluss unerwünschter Daten?

Zurück zur Studie. Die pointierte Analyse der INH ist auch für naturwissenschaftliche Laien lesbar, die Autoren schreiben Frass et al.  ins Stammbuch: "In der Quintessenz scheint also die Vermutung berechtigt, dass mit den bis zur Veröffentlichung erfolgten umfangreichen Veränderungen wesentlicher Studienparameter die Ergebnisse in eine bestimmte Richtung verschoben wurden." 

Das ist eine noble Umschreibung für ein Wort, das den Kern der Disziplin Homöopathie beschreibt und mit dem man diverse Hersteller, Ärzte und Apotheken konfrontieren sollte: Betrug. Darum geht es, wie es aussieht, einmal mehr.

Wäre es nicht so, würde die Homöopathie von Frass tatsächlich (und gleichgültig ob bei Lungenkrebs oder Männerschnupfen) und belastbar über Placebo hinaus wirken, dann würde die Welt der Physik, Chemie und Medizin auf den Kopf gestellt, die Gesetze und Modelle der Naturwissenschaften müssten samt und sonders neu verfasst werden. Frass und die 15 Mitautoren, darunter das Elisabethinen-Spital in Linz und das Krankenhaus Lienz, wissen das, sie gehen mit dieser Studie "all in". Einen kommoden Platz in einer Grauzone zwischen Scharlatanerie und Genie, den wird es allerdings nicht geben.  (Christian Kreil, 17.6.2021)

Christian Kreil bloggt rund um Esoterik, Verschwörungsplauderei und Pseudomedizin. Soeben erschien sein Buch "Fakemedizin".

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