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Draußen lernen als Alternative zum Online-Unterricht während Corona? An rund 130 Schulen in Österreich wird das Klassenzimmer auch ohne Pandemie zeitweise ins Freie verlegt. Was es für diese Art des Unterrichtens braucht, erklärt Robert Nehfort, Leiter des Kompetenzzentrums Bildung für nachhaltige Entwicklung an der PH Burgenland*. Das Treffen fand im Wiener Rathauspark statt.

STANDARD: Warum braucht es eine eigene Ausbildung, um draußen zu lernen und lehren?

Nehfort: Immer wieder kooperieren Schulen mit Schutzgebieten, und dann lautet die Rückmeldung: Es war wunderbar, aber zu oft können wir das nicht machen, denn dann fehlt uns die Zeit zum Unterrichten. Also mussten wir einen Weg finden, wie das Lernen in der Natur zum eigentlichen Unterricht wird.

"Wir gehen von einer Lernumgebung aus, die übervoll an Reizen ist." Robert Nehfort
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STANDARD: Was braucht es, um draußen guten Unterricht zu machen?

Nehfort: Der klassische Ansatz ist ja, dass wir die Aufmerksamkeit auf den Lerngegenstand konzentrieren. Damit das funktioniert, schaffen wir in der Schule eine reizreduzierte Lernumgebung. Da ist dann alles, was an zusätzlichen Reizen dazukommt, eigentlich störend. Stellen Sie sich vor, die Klasse ist auf das Smartboard fokussiert, plötzlich fängt es an zu schneien. In diesem klassischen Unterrichtskonzept ist das eine Störung. Bei der Outdoorpädagogik haben wir den umgekehrten Ansatz: Wir gehen von einer Lernumgebung aus, die übervoll an Reizen ist. Das heißt natürlich, dass ich didaktisch andere Zugänge brauche.

STANDARD: Eignet sich das Konzept für jedes Fach? Für alle Altersstufen?

Nehfort: Da gibt es keine Limitierungen. Das Entscheidende ist der Zugang zum Lernen. Übertragen auf diesen Park bedeutet das: Wir suchen uns zu unseren aktuellen Themen im Lehrplan einige Konkretisierungen des Allgemeinen hier vor Ort. Damit arbeiten wir und entwickeln über diese konkreten Erfahrungen das Allgemeingültige. Die Lernerfahrungen werden dann im Klassenzimmer aufgearbeitet, erweitert und kontextualisiert.

STANDARD: Was mache ich beispielsweise im Fach Mathematik?

Nehfort: Sie könnten mit dem Strahlensatz die Höhe des Baums errechnen. Sie könnten bei dem Brunnenbecken ausrechnen, wie viel Liter Wasser da im Sommer drin sind. Sie könnten aber auch die Jahrgangsdaten aller Denkmäler auf einem Zeitstrahl eintragen. Es gibt nichts, was man hier nicht lernen kann.

STANDARD: Klingt ganz schön aufwendig. Wie viel Vorbereitungsarbeit braucht es für diese Art des Lernens?

Nehfort: Ich kann natürlich nicht mit den Lernenden wohin gehen, wo ich selbst noch nie war, und dann schauen, wovon ich mich überraschen lasse. Ich kenne den Lehrplan, kenne die Kompetenzmodelle und erkunde bei der Vorbereitung: Wo finde ich hier Konkretisierungen des Lehrstoffs. Auf die weise ich hin. Die werden im Unterricht zielgerichtet erkundet und beforscht.

STANDARD: Sind die Klassen dann nur noch draußen?

Nehfort: Manche Schulen entscheiden sich für ein Projekt – ein, zwei Mal im Jahr. Das ist wohl der softe Einstieg ins Thema. Schulen, die das strukturell mehr verankern, schaffen einen Tag im Monat, an dem sie fix draußen sind. Und Schulen, die das zu einer Säule ihres Schulprofils machen, etablieren einen fixen Outdoortag pro Woche. Dafür kann sogar schulautonom ein eigenes Fach geschaffen werden. Es bringt nichts, jede Woche rauszugehen, wenn die Kollegenschaft verärgert ist, die Schulleitung nervös und der Schulwart verärgert, weil womöglich zu viel Schmutz in die Schule getragen wird. Da ist es wesentlich sinnvoller, man macht zunächst einmal ein Projekt, dann sehen alle: Das geht gut, das Schulhaus verdreckt nicht. Und alle Beteiligten haben die Möglichkeit, Teil des Ganzen zu werden.

STANDARD: Was ist denn überhaupt der Mehrwert vom Draußenlernen?

Nehfort: Lernen beginnt mit Neugierde. Darauf baut das Konzept auf. Da hat man keine Motivationsprobleme. Interessant ist: Wenn es uns im anderen Unterrichtskonzept gelingt, die Neugierde der Kinder anzusprechen, wird die wahnsinnig schnell störend: "Ich, ich, ich ... biiiiittee! Ich will das probieren." Die Outdoorpädagogik ist ein Konzept, bei dem die Lernenden genau diese Begeisterung ausleben können – mit wesentlich höheren Toleranzgrenzen. Die Lernziele werden dabei nicht linear abgearbeitet, sondern eher wie ein Puzzle zusammengesetzt. Die Kinder erreichen diese in unterschiedlichen Tempi.

*Die Initiative "Lernraum Natur" ist eine Kooperation der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik, der PH Burgenland und der Österreichischen Naturparke. (Interview: Karin Riss, 14.6.2021)