"Wet Market" in Guangzhou: Wo viele Tierarten zusammenkommen, ist es auch für Viren ein Leichtes, sich auszubreiten.

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Pest, Cholera, Spanische Grippe: Seit dem Mittelalter steht Seuchenbekämpfung immer wieder im Fokus der Menschheit. Der Ursprung der Pandemien ist meist ähnlich: Rund 70 Prozent aller Viren, die Infektionskrankheiten auslösen, sind tierischen Ursprungs. 25 Hauptvirengruppen betreffen den Menschen. Modellierungen zeigen, dass es unter ihnen noch ungefähr 1,7 Millionen unentdeckte Viren gibt. Und 700.000 davon haben zoonotisches Potenzial, könnten also von Tier auf Mensch überspringen.

Christian Walzer ist Leiter des Instituts für Wildtierkunde und Ökologie an der Vet-Med-Uni Wien. Er sagt: "Man muss verstehen, dass tausende möglicherweise zoonotische Viren auf völlig natürliche Weise in Wildtierpopulationen zirkulieren." Die Art und Weise, wie wir mit Tieren zusammenleben und in ihre Lebensräume eingreifen, befördert diesen Übersprung. Mensch und Tier, Mensch und Virus kommen sich immer näher. Auch deshalb wird die Covid-19-Pandemie nicht die letzte sein, die wir miterleben, sind sich Forschende sicher.

Seit 20 Jahren arbeitet Walzer im Rahmen der Wildlife Conservation Society daran, die Übersprünge von Tier auf Mensch rechtzeitig zu entdecken. Überall dort, wo Lebensräume zerstört werden, Menschen und ihre Nutztiere in Kontakt mit Wildtieren kommen, diese verzehrt oder verkauft werden, lauert die Gefahr. Dazu kommt Biodiversitätsverlust: "Wenn man eine Landschaft zu sehr stört, schüttelt man quasi die Krankheitserreger raus", sagt Walzer. Aber nicht nur eine ökologische, auch eine sozioökonomische Störung kann das Infektionsgeschehen befördern: Wird nicht in adäquate Infrastruktur oder Gesundheitssysteme investiert, wird es schwieriger, Ausbrüche früh zu stoppen.

Vier große Krisen

Doch immer, wenn Walzer und sein Team neue potenzielle Viren entdecken, drängt sich die Frage auf: Was tun mit dieser Information? "Es wäre nicht überraschend gewesen, wenn wir schon 2019 das Sars-CoV-2-Virus beschrieben hätten – nur hätte das niemanden interessiert, weil das dauernd passiert", sagt er. Alle potenziellen Zoonosen konstant zu überwachen – und so eine neue Pandemie zu verhindern – ist unmöglich. Es brauche deshalb ein größeres Umdenken, so Walzer: "Wir haben vier globale Krisen, die alle klar zusammenhängen: Klimawandel, Biodiversitätsverlust, eine globale Gesundheitskrise und eine Krise der Ungleichheit." Haben wir aus der Corona-Krise etwas gelernt?

"Wenn man eine Landschaft zu sehr stört, schüttelt man quasi die Krankheitserreger raus", sagt der Wiener Wildtierexperte Christian Walzer.
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Schon kurz nachdem die vermeintlichen Wurzeln des Sars-CoV-2-Virus in Wuhan identifiziert wurden, machte die WHO klar: Die offenen Wildtiermärkte, wie sie in vielen asiatischen und afrikanischen Ländern üblich sind, müssen schließen. Auch in China folgten Maßnahmen. Noch im Februar 2020 wurde der Handel und Konsum von Wildtieren verboten.

Der Schritt überraschte viele. Schließlich war diese Industrie noch im Jahr 2016 rund 65 Milliarden Euro wert. 14 Millionen Menschen sind im Handel mit wilden Tieren als Lebensmittel oder für Pelze angestellt – laut den Zahlen der Chinese Academy of Engineering. Auch wenn manche der Märkte kurz danach wieder öffneten, scheint es eine nachhaltige Entwicklung zu geben: Der Handel mit exotischen Lebensmitteln wird in China seither langsam beendet.

Bereits Ende September 2020 hatten die meisten Farmen für exotische Tiere laut einem Nature-Bericht ihre Türen geschlossen. Bauernfamilien aus diesem Sektor sollen mehr als eine Milliarde US-Dollar an Kompensationen erhalten – wichtige erste Schritte, so die Experten der Universität Singapur.

Gemeinsame Gesundheit

Sie weisen aber auch auf weitere wichtige Maßnahmen hin: Will man weitere Übersprünge verhindern, reicht es nicht, nur ein Land und einen Sektor zu verändern. Stattdessen brauche es ein generelles Umdenken. Ein paar Zeichen dafür sind zu erkennen: So erstellt die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (Cepi) gerade einen milliardenteuren Aktionsplan, um das weltweite Epidemie- und Pandemierisiko zu verringern. WHO-Direktor Tedris Adhanom Ghebreyesus plädierte Ende Mai außerdem für einen internationalen Pandemievertrag, der auf einer Sondersitzung im November 2021 beschlossen werden soll. Darin enthalten: das Konzept "One-Health", also "eine Gesundheit" oder eine gemeinsame Gesundheit, bei der die Gesundheit von Menschen, Tieren und unserem Planeten zusammengedacht wird.

Dafür steht auch Christian Walzer: "Covid-19 hat aufgezeigt, dass unsere Gesundheit mit jener von Tieren und Pflanzen unweigerlich verbunden ist", sagt Walzer. "Ohne einem One-Health-Ansatz können wir die Gesundheit dieser und nächster Generationen nicht garantieren. Dieses Umdenken hat uns die Covid-19-Pandemie ermöglicht." (Katharina Kropshofer, 4.7.2021)