Ob es super ist, wenn das Leben wieder beginnt und der erste kurze Trip einen gleich bei Kaiserwetter mit einem wunderschönen Berglauf in einer Traumkulisse belohnt? Ist die Frage ernst gemeint? Sie wurde tatsächlich gestellt– und zwar aus der ironiefreien Ecke.

Aber vermutlich gibt es tatsächlich irgendwo Menschen, die nicht jauchzen, wenn sie an einem Tag wie dem vergangenen Freitag so einen Nachmittagslauf wie wir in die Landschaft setzen können. Locker. Nicht wirklich lang. Auch nicht schnell, sondern rein und ausschließlich genussvoll …

Thomas Rottenberg

… und dankbar. Dankbar dafür, hier sein zu dürfen: Wäre ich religiös, hätte ich irgendwo eine Kerze angezündet. Aber da ich nie katholisch war, quäle ich weder mich noch Mitmenschen mit einem schlechten Gewissen dafür, dass oder wenn es mir gut geht. Stattdessen versuche ich, Schönes nicht nur zu teilen, sondern auch zu verlängern: Deswegen blieben wir – auf eigene Kosten – einen Tag länger am Katschberg und wurden dem Laufmotto unserer Gastgeber nicht nur bei einem kurzen Höflichkeits-After-Party-Pre-Breakfast-Morgenlauf gerecht, sondern auch danach, am Nachmittag, zu zweit: "Kärnten läuft" nämlich.

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Denn obwohl die Laufserie, deren Veranstalter zum 20-Jahres-Jubiläum geladen hatten, natürlich unten "am See", niemand fragt "welcher?", und im August stattfindet, ist auch hier oben Kärnten.

Zumindest teilweise: "Unser" Gipfel, das 2.024 Meter hohe Tschaneck, liegt genau hinter der Grenze nach Salzburg. Zumindest jene Kuppe, die gipfelkreuzlos wohl der Tschaneck-Gupf ist. Auf welcher Landesseite die das Set beherrschende Sessellift-Bergstation liegt, müssen Sie aber bitte selbst ergoogeln.

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Losgelaufen waren wir allerdings vom Katschberg. Katschberg ist kein Berg, sondern eine Höhe (1.650 Meter). Und vor allem ein Hoteldorf. Und auch wenn deswegen nie endgültig geklärt sein wird, ob die korrekte Katschberg-Urlaubs-Präposition "am" (Österreicher), "auf dem" (Deutsche) oder "in" (eh alle) lautet, ist unbestritten, dass Katschberg zu Kärnten gehört.

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Ich war schon öfter hier. Zuletzt im September. Bei meinem ersten – und, wie ich damals noch nicht wusste, einzigen – Schneetag in diesem seltsamen Winter. Es sollte auch – auch das wusste ich da noch nicht – meine letzte Reise für lange Zeit sein: bis vergangene Woche nämlich.

Mit dem Leben dann exakt dort wieder zu beginnen, wo es im Vorjahr aufgehört hat, ist gleich doppelt schön: Ich mag solche Klammern. Und ich mag den Katschberg. Sehr. Auch weil hier ein paar Leute versuchen, das Richtige zu tun. Zumindest in meinen Augen.

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Mit dem aktuellen Reisegrund hatte das aber nichts zu tun: Diesmal hatten nicht Klimaschutz-Touristiker geladen, sondern Michael Kummerer.

Kummer ist in der heimischen Laufwelt ein "Big Player". Nicht nur weil er vor mittlerweile 20 Jahren mit "Kärnten läuft" eine Lauf- und Eventreihe schuf, die mittlerweile – kumuliert – weit über 100.000 Teilnehmerinnen "an den See" gelockt hat, sondern weil er auch den Graz-Marathon ausrichtet.

Dass beide Events schöne und lohnende Läufe sind (wobei ich bei "Kärnten läuft" selbst noch nie angetreten bin – hier der Zieleinlauf beim Graz-Marathon 2019), ist das eine. Dass solche Veranstaltungen Wirtschaftsmotoren, Imagefaktoren und Regions-Markenbildformer sind, das andere: 2002 starteten bei "Kärnten läuft" gerade einmal 2733 Läuferinnen und Läufer in Velden der "geheimen Landeshauptstadt Kärntens" (Kummerer) mitten im August zu einem Samstag-Nachmittag-Hitze-Halbmarathon. Heute dauert der Event drei tage und hat eine regionale Wertschöpfung von fünf Millionen Euro: Dass man sich von Anfang an dagegen entschied, "just another Marathon" neben Wien, Linz, Graz, Salzburg & Co zu sein, erwies sich als Königsidee.

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Sogar der "atypische" Termin wurde zum Asset: Im August einen "harten" Halbmarathon laufen zu sollen empfinden viele Läuferinnen und Läufer als gemeine, fiese Drohung. Ich kann das nachvollziehen.

2002 hatte es prompt über 30 Grad. Michael Buchleitners Premierensieg wurde von der "Kleinen Zeitung" mit der Headline "Buchleitners Gegner verglühten am See" gefeiert. Und Buchleitner – heute als Veranstalter des Wachau-Marathons nicht nur freundschaftlich, sondern auch durch Kooperationen mit Kummerer verbunden – nennt diesen Sieg bis heute "einen meiner ganz, ganz wichtigen".

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"Kärnten läuft" mauserte sich rasch zum Familienlauffest: "Pack die Laufschuhe und die Badehose ein" holpert zwar, funktioniert aber hervorragend: Binnen weniger Jahre wurde der Event zum Festival. Der Halbmarathon rutschte auf Sonntagfrüh, dazu kamen Viertelmarathon, Nightrun, "Raiffeisen Frauenlauf + Dogging-Hundelauf" (laut Pressemappe – beide Bewerbe wurden 2005 ins Programm übernommen) und 2007 "Running Doctors" (also mitlaufende Sanis und Ärzte) hinzu. Das Rundumprogramm wuchs – aber inklusive einer "Bewegungsarena", also mit Fokus auf Sport und Bewegung. Und am ersten Jänner bitte Michael Kummerer traditionell zum (zeitnehmungslosen) Jahresanfangslauf ("Danach brummt der Schädel weniger) und verteilt Trainingspläne. Das funktioniert: 2011 gab es 5.000 Finisher, 2015 über 8.000 TeilnehmerInnen.

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Doch vor dem Veldener Schloss am Wörthersee beginnt nicht einfach der 245. Sommerlauf Österreichs. Ende August ist für die internationale Elite perfekt, um sich auf die "großen" Events im Herbst (London oder Berlin etwa) vorzubereiten. Weltstars wie Eliud Kipchoge (der erster Marathondistanzläufer unter zwei Stunden), Weltmeister Wilson Kipsang, Weltmeisterin Lornah Kiplagat oder Olympiasieger Stephen Kiprotich wären "in der Hauptsaison absolut unfinanzierbar" sagt Kummerer – im August wird die Gegenwart der Stars wohl auch bisserl mehr als ein paar Firstclass-Hotelzimmer kosten, aber "die trainieren dann hier: Der Imagewert für die Region ist enorm."

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Abgesehen davon ist die Halbmarathonstrecke hier sauschnell: 2014 lief Geoffrey Ronoh die 21 Kilometer in 59 Minuten und 54 Sekunden – die schnellste je in Österreich gemessene Zeit.

Dass Ronoh (oder sonst ein Sieger) geschummelt haben könnte, ist aber undenkbar: Die Spitze ist unter permanenter Beobachtung (hier ein Bild vom Start der Elite 2019). Und Profis haben zu viel zu verlieren. Dennoch denke ich bei "Kärnten läuft" jedes Mal an einen "Mogler": Der "lief" aufs Siegertreppchen, mit mehr als seltsamen Zwischenzeiten: Am Anfang und Ende durchschnittlich, lief er im Mittelteil Weltrekordtempo. "Zufällig" gibt es Fotos eines Radfahrers, der ihm stark ähnelt. Der Radfahrer überquert einige Zeitnehmungsmatten just in der Sekunde, als der Chip des "Läufers" registriert wird. Mysteriöserweise sieht man besagten Läufer aber auf keinem dieser Bilder.

Kärnten Läuft/Helmut WeichselbraunThomas Rottenberg

Falls Sie diese Geschichte nachlesen wollen: Sorry, wir haben sie offline gestellt. Nicht weil wir uns vor den wüsten Klagsdrohungen gefürchtet hätten: Ein paar Wochen nach der Story rief der Disqualifizierte mich an. Er kündigte an, seine Verwandten würden "Kärnten läuft" und den STANDARD aufkaufen und uns "davonjagen".

Derlei taugt als Anekdote, präziser beschrieben wäre der Mann aber leicht ausfindig zu machen: Manche Menschen muss man vor sich selbst schützen.

Funfact: Im Zuge der Überprüfung der Zwischenzeitfotos wurde auch eine ältere Dame am E-Bike "ertappt" – sie hatte es so in ihrer Altersgruppe ins erste Drittel geschafft. Wozu? Ich werde derlei nie verstehen.

DSQ ©©www.maxfunsports.com

Über solche und ähnliche Erlebnisse könnte er, sagte Kummerer, ein Buch schreiben. Vielleicht tut er es irgendwann. Davor will er "Kärnten läuft" aber bunter und größer und aufregender machen.

Und sicherer: Um alle derzeit vorstellbaren Abstands- und Covid-Regeln einhalten zu können, soll der Lauf heuer im Klagenfurter Stadion enden. Blöderweise ist das 22 Kilometer vom Schlosshotel entfernt – wenn man traditionell am Nordufer läuft. Für einen Halbmarathon sind 22 Kilometer um 900 Meter zu lang.

Am Südufer geht es sich jedoch aus – allerdings ist die Strecke dort hügeliger: Rekorde werden heuer wohl keine purzeln.

Thomas Rottenberg

Auch wenn ein Gastgeber so etwas nicht gerne liest: Journalistisch wäre es schlicht unsauber, hier etwas wegzulassen.

Denn die Frage, ob sich Kummerer sein ausgeklügeltes und kostspieliges Präventions- und Hygienekonzepte nicht sparen könnte, muss gestellt werden. Schließlich pfiffen Landespolitik und Honoratioren am Katschberg auf alle derzeit gültigen Auflagen. Landeshauptmann Peter Kaiser kam, gratulierte und lobte ("Ich bin ein Mitläufer geworden", "eine Veranstaltung zum Verlieben").

Im Sitzen am Podium legitim maskenlos. Doch Kaiser griff weder beim dichtgedrängt stehenden Indoor-Smalltalk noch sonst wo (etwa beim Anstellen beim Buffet) je zur Maske.

Politiker sind Vorbilder: Binnen Minuten trugen – trotz Hinweisen durch die Hotelmanagerin – nur noch "reguläre" Hotelgäste und ein ORF-Kameramann Maske. In der Fest-Berichterstattung ging dieses Detail unter.

Weichselbraun/Kärntenläuft

Gelaufen wurde auch. Am Morgen danach. Da lud Michael Buchleitner, der Sieger des ersten Laufes, zu einer kurzen, aber feinen Morgenrunde.

Von den rund 50 Gästen der Veranstaltung schafften es etwa zehn, um sieben Uhr in der Früh dem Katschberg einen aktiven Morgengruß zu entbieten.

Schön, kurz – und trotz der niedrigen Pace intensiv.

Denn die Läuferinnen und Läufer erlebten ein Laufdetail am eigenen Leib, das die Touristiker am Abend als Trainingsasset angekündigt hatten, das aber von den Geschichten rund um den schönen Lauf am See komplett verschluckt worden war.

Hier, am Katschberg, wird es in Zukunft nämlich Laufcamps geben.

Und die können was. Ja, auch wegen der Landschaft.

Aber vor allem wegen der Lage:

Der Katschberg liegt 1.650 Meter über dem Meer.

Beim ersten (bergauf!) Anlaufen wird Ihr Körper Sie da fragen, ob es Ihnen sonst eh noch gut geht.

Aber: Ja, das tut es.

Sehr sogar – und das macht das bisserl mehr Schnaufen dann mehr als wert.

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Der Besuch bei "20 Jahre Kärnten läuft" war eine Einladung der Veranstalter und des Hotels Das Katschberg.

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Thomas Rottenberg